«Ohne jüdische Sammler wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen», sagt der Historiker Raphael Gross. Die Abklärungen zur Herkunft der Werke im Kunsthaus sind seiner Ansicht nach ungenügend.

Vor einem guten Jahr hat Raphael Gross den Auftrag bekommen, die Bestände der Sammlung Bührle zu überprüfen. Der am Deutschen Historischen Museum in Berlin tätige Schweizer Historiker hatte konkret die Frage zu klären, welche Werke der Sammlung aus jüdischem Besitz stammen und während der NS-Zeit allenfalls unter Druck verkauft worden sein könnten. Und ob die Abklärungen, welche die Stiftung Bührle selbst getroffen hatte, in diesem Punkt ausreichend sind.

Am Freitag hat Gross seinen Bericht in Zürich vorgestellt. Und kommt zum Schluss: Die Abklärungen waren nicht ausreichend. Die Stiftung habe zwar umfangreiche Forschungen angestellt, sagte Gross vor der Presse. Diese erfüllten allerdings die Standards nicht, welche die Stadt und der Kanton im Subventionsvertrag vom Kunsthaus Zürich verlangen.

Seit Herbst 2021 ist die Sammlung Bührle im neuen Erweiterungsbau des Kunsthauses zu sehen. Damit ging die Verantwortung für die Provenienzforschung ans Kunsthaus über. Die von der Stiftung Bührle angestellte Forschung, hält Raphael Gross in seinem Bericht fest, erlaube es nicht, sicherzustellen, dass im Kunsthaus keine Werke gezeigt würden, bei denen es Hinweise darauf gebe, dass sie aus dem Besitz vom Menschen stammten, die vom NS-Regime verfolgt worden seien.

«Ein Teil der jüdischen Geschichte»

Bei der Überprüfung der Bestände habe sich gezeigt, dass eine grosse Zahl von Werken aus jüdischem Besitz stammt, bei denen dies bisher nicht bekannt gewesen sei. Ein beträchtlicher Teil des Bestandes der Sammlung Bührle stamme von jüdischen Vorbesitzern, hält der Bericht von Raphael Gross fest. Dass Emil Bührle beim Ankauf von Werken wenig zimperlich vorging, ist schon länger bekannt. Er kaufte viel und kaufte auch dort, wo sich andere Sammler, etwa der Winterthurer Mäzen Oskar Reinhart, zurückhielten: zum Beispiel Werke aus Beständen, die jüdischen Händlern in Frankreich gestohlen worden waren.

«Ohne die jüdischen Sammler», sagte Gross am Freitag, wäre die Sammlung Bührle eine andere. «Oder anders gesagt: Ohne Verfolgung wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen.» Die Sammlung Bührle sei aufgrund ihrer Entstehungsumstände Teil der Schweizer als auch der jüdischen Geschichte.

Gross gibt am Ende des rund 160-seitigen Berichts drei Empfehlungen ab. Erstens müsse weitere Provenienzforschung betrieben werden. Diese müsse sich in erster Linie darauf konzentrieren, ob die Werke aus jüdischem Vorbesitz stammen und ob von verfolgungsbedingtem Entzug gesprochen werden könne. Darunter fallen Verkäufe unter Druck, weil die Besitzer auf der Flucht waren, unfreiwilliges Zurücklassen von Besitz bei Deportationen oder nach Plünderungen.

«Eine moralische Aufgabe»

Zweitens empfiehlt Gross, dass das Kunsthaus Zürich ein Gremium einsetzt, das aus Vertretern verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und mit verschiedenen persönlichen Hintergründen besetzt ist. Dieses soll ein Schema entwickeln, nach dem Fälle von NS-verfolgungsbedingtem Entzug beurteilt werden. Diese sollen dann auf die Sammlung des Hauses und auf die Dauerleihgaben angewendet werden.

Drittens empfiehlt Raphael Gross dem Kunsthaus Zürich eine öffentlich geführte Auseinandersetzung zur Sammlung Emil Bührle. Die Sammlung, die Bührle zwischen 1936 und 1956 angelegt hat, ist ein Hauptanziehungspunkt des im Herbst 2021 eröffneten Erweiterungsbaus des Kunsthauses Zürich. Für eine städtische Institution wie das Kunsthaus, so Gross, stelle sich deshalb die Aufgabe, die Sammlung mit der moralischen Haltung in Übereinstimmung zu bringen, die ein öffentliches Museum zeigen müsse.

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