Donnerstag, Januar 16

Vor drei Jahren fuhr der Bündner am Lauberhorn sein letztes Rennen. Nun hilft der 38-Jährige anderen Menschen, ihre Ziele zu erreichen – etwa der Gesamtweltcup-Siegerin Petra Vlhova.

Carlo Janka, vor fünfzehn Jahren gewannen Sie die Lauberhornabfahrt, vor drei Jahren hörten Sie hier auf, weil der Körper nicht mehr mitmachte. Wie geht es Ihnen heute?

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Eigentlich gut. Wenn wir mit der Familie schlitteln und Ski fahren, spüre ich den Rücken am Morgen danach schon mehr. Aber nicht so, dass es mich im Alltag stören würde.

Wie viel einfacher lassen sich Schmerzen ertragen, wenn ein funktionierender Körper nicht die Lebensgrundlage ist?

Es ist viel angenehmer. Wenn es weh tut, mache ich ein, zwei Tage nichts, dann ist es wieder okay. Vorher war ich gezwungen dranzubleiben und hatte die Zeit nicht, meinem Körper die Pause zu geben, die er benötigt hätte. Heute weiss ich, dass ich nicht abhängig von meinem Körper bin.

Sie beschäftigten sich während der Karriere intensiv mit dem Körper, wussten viel über seine Funktionen, die Anatomie – auch, weil Sie viele Probleme hatten, für die es keine einfachen Lösungen gab. Nun haben Sie mit Ihrer Frau Jenny eine Coaching-Firma aufgebaut. Erwarten Sie von Ihren Klienten die gleiche Hingabe?

Erwarten nicht, aber die Arbeit ist für mich interessanter, wenn jemand den Horizont erweitern möchte. Am erfüllendsten ist für mich deshalb, mit Sportlern zusammenzuarbeiten. Die ticken so, wie ich es tat, und setzen alles möglichst um, damit sie Erfolg haben. Ich verstehe aber, dass der Normalbürger nicht alles umsetzen kann. Ich muss noch etwas mehr lernen, Geduld und Verständnis dafür aufzubringen, dass nicht jeder das Sportlerdenken in sich hat.

Wie setzt sich Ihre Kundschaft zusammen?

Im vergangenen Jahr hat es sich noch mehr zum Spitzensport hinbewegt, ich mache das Konditionstraining für den EHC Chur, das füllt einen grossen Teil meines Pensums. Dazu trainiere ich Schwinger, ab Januar kommt regionaler Fussball hinzu, und ich baue im Skisport aus. Sonst kommen Menschen zu uns, die Probleme haben abzunehmen.

Stimmt es, dass Sie mit der slowakischen Gesamtweltcup-Siegerin Petra Vlhova zusammenarbeiten?

Ja, das läuft seit Oktober. Ihre Reha nach dem Kreuzbandriss läuft nicht wunschgemäss. So suchten sie und ihr Trainer Mauro Pini andere Lösungen. Via meinen ehemaligen Konditionstrainer Michi Bont kam sie zu mir. Wir sind immer noch dran, es bleibt intensiv, sie hat ein Problem mit dem Knorpel. Ich versuche gemeinsam mit dem Physiotherapeuten, dass sie möglichst schnell und fit wieder zurückkommt.

Ist Vlhova hierfür oft in der Schweiz?

Sie war zweimal für einen Block hier in Ilanz. Ihr Ärzteteam ist aus Genf, je nachdem kann sie die Termine verbinden. Vieles läuft aber aus der Ferne, das funktioniert gut, mit Plänen und ihrem Physiotherapeuten, der in den Trainings immer dabei ist. Es ist auch für mich spannend, weil ich durch solche Athletinnen viel dazulerne.

Sie arbeiten mit Ihren Klienten mit der Philosophie, die Sie schon in Ihrer Karriere mit Michi Bont angewandt haben. Was macht sie aus?

Es geht zum Beispiel ums Energiemanagement. Dass man im Alter den Mut hat, mehr Pausen zu machen, die es wirklich braucht. Oder dass auch bei den Jungen mehr nicht immer mehr bedeutet. Der Trainingsaufbau kommt vom Programm «Exos» aus Amerika. Das ist keine Raketenwissenschaft, es geht darum, dass die Vorbereitung fürs Training fast ebenso lange ist wie das Training selbst. Um die richtigen Partien im Körper so bereit zu machen, dass er das Maximum herausholen kann in der Einheit.

Gesamtweltcup- und Olympiasieger

eva. Im Winter 2009/10 gewann der Bündner Carlo Janka als erster Schweizer seit Paul Accola (1992) den Gesamtweltcup und wurde Olympiasieger im Riesenslalom, ein Jahr davor war er Weltmeister. Insgesamt siegte er elf Mal im Weltcup. Heute betreibt der 38-Jährige mit seiner Frau Jenny die Firma Janka Coaching und organisiert Skicamps. Janka lebt in Obersaxen und hat drei Kinder. Kürzlich ist das Buch «Durchbruch. Mein Weg – Dein Erfolg» erschienen.

Vor drei Jahren fuhren Sie am Lauberhorn Ihr letztes Rennen. Wie ist Ihnen der Übergang ins Leben nach der Sportkarriere gelungen?

Seit vergangenem Sommer habe ich das Gefühl, ich sei richtig im normalen Leben angekommen. Zu Hause war das schon immer der Fall, nun bin ich auch im Coaching schön ausgelastet – aber ich habe auch genug Zeit mit der Familie. Ich wusste, dass die Welt nicht auf mich, den ehemaligen Spitzensportler, wartet. Und das war auch so. Man muss wissen, was man will, und sich dem mit dem gleichen Elan widmen wie dem Sport.

In Ihrem kürzlich erschienenen Buch haben Sie in Bezug auf Ihre Coaching-Tätigkeit den Grundsatz formuliert: «Man muss Menschen mögen.» Wurden Sie während Ihrer Karriere zu Unrecht als Einzelgänger eingeschätzt und als Teamplayer unterschätzt?

Absolut. Vom Charakter her wäre ich eher ein Mannschaftssportler. Ich mochte es immer, Teil eines Teams zu sein, das würde man vielleicht von aussen nicht so wahrnehmen. Das gefällt mir nun auch an der Arbeit mit einer Mannschaft. Den Spirit, der sich in einer Garderobe bildet, finde ich faszinierend. Auch wenn wir das in einer Form auch beim Skifahren hatten: Du reist in der Gruppe, bewegst dich in einer Mannschaft, aber auf der Piste bist du alleine für deine Leistung verantwortlich. Das war ideal für mich.

Sie sagen heute, dass manches einfacher gewesen wäre, wenn Sie in Ihrer Karriere mehr geredet hätten. Wann wurde Ihnen das bewusst?

Erst viel später, als es notwendig gewesen wäre. Als es nicht mehr so gut lief, habe ich mich sehr isoliert. Das war mein Weg, und in dem Moment stimmte es für mich, aber es wäre viel einfacher gewesen, wenn ich dort eine Ansprechperson oder eine Vertrauensperson gehabt hätte. Oder ich mich den Trainern gegenüber mehr geöffnet hätte. Dann wäre es wohl schneller wieder vorwärtsgegangen. Aber damals habe ich die Kämpfe mit mir selbst ausgefochten.

Mittlerweile reden Sie viel offener, auch über sich. Was hat sich verändert?

Dieser Prozess findet im Leben halt statt. Man wird reifer, betrachtet Dinge anders. Man lernt im Verlauf der Karriere auch viele Menschen kennen, die anders sind und denen man etwas abschaut. Das Ziel ist, dass man sich persönlich weiterbringt. Gegen den Schluss der Karriere habe ich mich auch immer mehr kritisch geäussert, manchmal nicht optimal, aber doch musste ich diese Rolle übernehmen. Dafür wäre ich am Anfang nicht bereit gewesen.

Wie hilft Ihnen diese persönliche Öffnung im Coaching von fremden Menschen?

Sehr. Es fällt mir heute leichter, auf andere Leute zuzugehen und auf sie einzugehen. Als Coach brauchst du eine gewisse Ausstrahlung. Menschen müssen das Vertrauen finden in die Person, die ihnen etwas beibringen soll.

Brauchen Sie trotzdem noch Momente der Stille? Das dürfte mit drei Kindern unter fünf Jahren nicht ganz einfach sein.

Diese Momente sind schon weniger geworden. Ich nutze den frühen Morgen, stehe vor 6 Uhr auf. Dann arbeite ich zwar meistens, aber es ist Zeit für mich, es ist noch ruhig und dunkel, das finde ich schön. Das ist meine Ruheoase, in der ich auftanken kann. Der Schlaf ist so zwar etwas kürzer, aber das ist es mir wert.

Im Buch beschreiben Sie auch, wie Sie den Moment am Start eines Rennens erlebt haben. Dass jeder Fahrer für sich ein Bild finden müsse, das diesen «Zustand von standhaftem Selbstvertrauen» herstelle. Welche Bilder waren das bei Ihnen?

Ich habe meistens auf Bilder aus der Heimat hier in Obersaxen zurückgegriffen, sie haben mir Kraft gegeben und die Situation etwas einfacher erscheinen lassen. Wenn man sich wie ich damals nach Dani Albrechts Sturz in Kitzbühel die Piste hinunterstürzen muss, braucht man einen positiven Anreiz, um sich der Herausforderung zu stellen. Es war eine harte, aber lehrreiche Schule.

Die Sicherheit in der Abfahrt ist gerade wieder ein grosses Thema. Sie konnten das Risiko jeweils sehr gut dosieren. Lässt sich das bewusst steuern?

Ich hatte im Rennen schon das Gefühl, dass ich am Limit war. Aber mein Limit war nie dort, wo es bei den anderen lag, sondern auf einem stabilen Fundament. Das kannst du nicht lernen oder bewusst steuern, das ist abhängig vom Charakter und davon, wie du aufgewachsen bist, wie deine Eltern ticken, weil du als Kind Dinge abschaust. Das prägt. Ein sehr risikofreudiger Fahrer kann vielleicht versuchen, sich ein wenig zurücknehmen, aber das ist schwierig. Sarrazin ist ein solches Beispiel. Bei ihm ist die Chance grösser, dass etwas passiert.

Damit lebt man einfach als Rennfahrer.

Am Schluss wird es immer auf die Eigenverantwortung heruntergebrochen. Der Weltverband FIS nimmt sich so auch aus der Schusslinie: Alle fahren freiwillig, niemand wird gezwungen. Jeder ist verantwortlich für sein Leben, mit den Konsequenzen, die daraus entstehen. Wenn es für jemanden zu gefährlich ist, soll er nicht runterfahren. Aber ich verstehe die FIS schon auch. Bormio war schon bei uns immer sehr schwierig, es ist nicht immer einfach, optimal zu präparieren. Es ist eine schwierige Diskussion, sie gehört zum Skisport.

Dass jemand nicht fährt, ist aber wohl noch nie vorgekommen bei den Männern. Sollten die Fahrer mehr auf sich hören?

Es ist ein Tabuthema zu sagen: Ich fahre nicht, weil es mir zu gefährlich ist oder ich mich nicht wohl fühle. Ein-, zweimal müsste das jemand von den ganz Grossen machen, dann wäre das Thema schnell erledigt. Dort wäre Entwicklungspotenzial vorhanden, aber für einen Sportler ist es schon ein grosser Schritt. Man will ja fahren. Und sollte auch, sei es für die Sponsoren oder die Punkte.

Die Schweizer sind momentan sehr erfolgreich. Was beeindruckt Sie an Marco Odermatt am meisten?

Alles. Wie er mit dem Ganzen umgeht, mit schwierigen Situationen wie in Bormio, oder wie er Interviews gibt. Die Klugheit, die er entwickelt, im Training nicht Vollgas zu geben. Zu Beginn war er im Weltcup zeitweise auf dem Sarrazin-Weg, sehr anfällig, hatte ein-, zweimal Glück in Kitzbühel. Mittlerweile ist er sehr stabil. Sportlich ist es Wahnsinn, wie er die Rennen locker heimfährt, wenn er nach dem ersten Lauf führt, etwa bei seinem ersten Sieg in Adelboden, als ein riesiger Druck auf ihm lastete.

Was hätten Sie gerne gehabt, was er hat?

Er hat sicher den Körper, den es braucht, um diese Erfolge zu erringen. Mir diese Grundvoraussetzungen zu erschaffen, dem bin ich immer nachgerannt. Bei ihm ist es so, wie es sein sollte, er ist physisch auf einem Top-Level.

Gibt es Momente, in denen Sie noch hadern, weil Sie wissen, dass mit einem gesunden Körper mehr möglich gewesen wäre?

Ein bisschen hadere ich, wenn ich an die Olympiaabfahrt in Sotschi 2014 zurückdenke, an den einen Fehler. Da würde ich gerne wissen, was ohne diesen möglich gewesen wäre. Aber der Rest gehörte einfach zu mir. Es war nicht optimal, aber es brachte mich schliesslich zu dem, was ich heute mache, und das tue ich sehr gerne.

Hadern Sie auch nicht jetzt, da die Lauberhornrennen anstehen – und Sie wissen, dass Sie auf Ihrer Lieblingsstrecke noch mehr hätten gewinnen können?

Nein. Der erste Sieg ist ohnehin der schönste, das hat auch Dario Cologna immer wieder gesagt. Das Einzige, was man als Sportler noch anstrebt, wie Marco Odermatt jetzt, ist der Sieg in Kitzbühel, das habe ich nicht geschafft. Oder in Adelboden. Aber im Grossen und Ganzen muss ich dankbar sein, dass ich eine solche Karriere hatte.

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