Interview

Der deutsche Schauspieler Daniel Brühl spielt den Modedesigner in der Miniserie «Becoming Karl Lagerfeld». Was der 45-Jährige ausser Pferdeschwanz, Sonnenbrille und Fächer noch für seine Metamorphose benötigte – und wie er persönlich zum Thema Mode steht.

Daniel Brühl, wie sind Sie in das Universum von Karl Lagerfeld eingetaucht?

Das gab eine Menge zu tun! Ich habe erst einmal drei Biografien gelesen, die sich interessanterweise alle widersprachen. Das hat natürlich damit zu tun, dass Lagerfeld vieles erfunden hat. Das fand ich sehr sympathisch, weil ich als kleiner Junge auch gerne alles ausschmückte und mein Leben blumiger darstellte, als es war – sehr zur Irritation meiner Eltern.

Welche Fertigkeiten mussten Sie für diese Rolle lernen?

Ich wollte unbedingt selbst zeichnen, weil ich auch früher als Jugendlicher gern skizziert habe. In Paris, wo ich meine Vorbereitungszeit verbrachte, hatte ich zum Schluss eine ganze Mappe voller eigener Zeichnungen, die ich ganz okay fand. Ich hatte 200 Stifte und malte die ganze Zeit vor mich hin.

Wie half Ihnen Paris bei der Verwandlung in Lagerfeld?

Ich wollte bewusst in dem Viertel leben, wo er die meiste Zeit verbracht hatte, also Saint-Germain-des-Prés. Ich bin dort in seine Lieblingscafés gegangen, das «Flore» und die anderen, in sein Lieblingskino «Le Champo», in die von ihm favorisierten Museen und Bücherläden. Ich wollte das Leben da aufsaugen, wo sich sein Leben abgespielt hatte. Und mich natürlich auch an sein rasantes Französisch herantasten.

Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Sie ihn erfassten?

Als halber Spanier kam mir die Eingebung, dass Lagerfeld mich in seinem Habitus – schnell, wendig, elegant, kerzengerade – an einen Stierkämpfer erinnert. Ein Stierkämpfer hat etwas sehr Feminines, Graziles, steht unter enormer Spannung und Beherrschung, hat aber auch etwas enorm Machohaftes. Als ich Patrick Hourcade traf, einen langjährigen Freund von Lagerfeld, hat er sofort zugestimmt: «Oui, oui, c,est ça! C,est le matador!» Das Bild hatte ich immer im Kopf.

So eine Ikone zu verkörpern, birgt auch ein hohes Risiko. Hatten Sie keine Scheu?

Ich liebe die Momente des Zweifelns, des Sich-aufs-dünne-Eis-Wagens, des eventuellen Auf-die-Fresse-Fliegens. Das ist ja gerade der Kick: Im ersten Moment denkt man: «Wahnsinn, mir wird diese Figur, so schillernd, aufregend, aber auch ungreifbar, angeboten!» In der nächsten Sekunde denke ich: «Jetzt muss ich es auch machen – nur wie zum Teufel?!»

Wie lange dauerte es, bis Sie sich selbst den Charakter abnahmen?

Die erste Stufe ist immer Frustration, meist schon beim Kostüm. Da guckst du in den Spiegel und denkst: «Oje, ich werde das nicht tragen, ich nehme mir das selbst nicht ab.» Aber ich nahm mir meine paar Stücke mit nach Hause, ging ein bisschen für mich allein darin herum, und so wurde das nach und nach.

Sie liefen zu Hause in den Kleidern Ihrer Filmfigur herum?

Sie muss sich ja langsam aufdröseln, die Fremdheit. Und dann denkt man eines Tages: «So, jetzt habe ich was. Da bleib ich jetzt mal dran.» Und plötzlich scheint der Gipfel nicht mehr so schwer begehbar zu sein.

Wie sieht das aus, wenn Sie zu Hause den Lagerfeld geben?

Wir verbringen jetzt viel Zeit auf dem Land in Spanien. Wenn meine Lieben aus dem Haus waren, habe ich mir Stiefel mit Absätzen angezogen, bin auf und ab gegangen und habe mit mir selbst Französisch geredet. In der ersten Zeit haben mir immer zwei Schafe und ein Esel dabei zugeguckt. Die haben vielleicht mal etwas müde abgenickt – dann habe ich gefragt: «Na, wie findet ihr das?» Ich glaube, die fanden es gut. Auch wenn die ersten Schritte noch etwas eckig waren.

Was war Ihre grösste Angst bei dieser Rolle?

Ich wollte nicht in eine Karikatur hineingeraten, in eine blöde Kopie. Wollte nicht zu heftig sein. Es geht einfach um die Suche nach Wahrhaftigkeit, nach der Wahrheit in dieser Figur, auch in der Verteidigung dieser Figur, die man spannend findet.

Sind Sie der Legende einmal selbst begegnet?

Die einzige Begegnung ist etwa zwanzig Jahre her. Lagerfeld hat mich damals für den «Stern» fotografiert, an der Berlinale, um «Good Bye, Lenin» herum. Nach diesem Shooting muss er wohl gesagt haben: «Ist das nicht der Junge von «Good Bye, Lenin»? Und er hat in Berlin ein Kino gesucht, wo er den Film gucken konnte. Danach hat er wohl gesagt: «Jetzt bin ich ein Fan von dem Jungen!»

Oh, là, là, Komplimente verteilte Lagerfeld selten!

Diese Anekdote habe ich heute erst gehört. Das hat mich natürlich extrem gefreut, es gibt mir die Hoffnung, dass er zufrieden mit mir wäre. (Lacht.) Ich kann nur sagen: Er war für mich eine der schwierigsten Rollen überhaupt.

Wie lief das Shooting damals mit Lagerfeld?

Es war eine schöne Begegnung, kurz, aber intensiv. Es war ein Shooting mit vielen Schauspielern. Irgendwann gab es eine unangenehme Situation: Auf der kleinen Plattform hatten nicht alle Platz. Aber alle wollten sich ganz aufgeregt ins Bild quetschen, weil sie wussten, das Gruppenbild wird wohl das Cover-Motiv. Mir war das zu läppisch. Mit meinem spanischen Stolz fand ich es uncool, mich da reinzupressen . . . Das hat Karl registriert. Er guckte erst irritiert, nickte mir dann aber zu, mit einem Zwinkern. Als verstehe er, dass ich den Zirkus nicht mitmache. Und danach hat er mich allein fotografiert.

Hat er Sie eingeschüchtert? War er einschüchternd?

Ich war ja noch jung und fand seine Ausstrahlung schon imposant. Aber er hat diese Verkrampfung gleich mit einem Gag gelöst und fing dann auch an, mit mir über Architektur und Berlin zu reden. Und schon waren wir in einem Gespräch, dann wurde es richtig schön, weil es sehr knackig und lustig war.

Was halten Sie von seinen Obsessionen?

Wenn er sich ein Haus gekauft hat, musste dort alles stimmig sein, bis zur Gabel. Und er wusste auch genau, welche Gabel dahin gehört. Oder dass er acht Bücher gleichzeitig lesen konnte! Dass er mit so einer Power, so einer Disziplin, so viel Passion durchs Leben ging, das finde ich bewundernswert.

Wofür bewundern Sie Karl Lagerfeld noch bis heute?

Für diesen unstillbaren Hunger und seine Neugierde auf alles. Am Puls der Zeit zu bleiben, den Kontakt zur Jugend nicht zu verlieren. Was mich auch fasziniert hat, ist die fast romantische Ebene: dass jemand, der so lebenshungrig ist, der aber im echten Leben oft nicht so glücklich war, andere Lebensentwürfe und Welten in Perfektion erschaffen hat, mit einer unglaublichen Akribie, Obsession und Klarheit.

Die grosse Liebe in Lagerfelds Leben war Jacques de Bascher. Wie sind Sie diese intensive Romanze angegangen?

Es wird wirklich emotional im Verlauf der Serie – und das kann dann nicht nur Pose sein und künstlich hergestellt werden. Das musste sich echt anfühlen. Wir zwei, mein Kollege Théodore Pellerin und ich, sind da mit Grosszügigkeit, Respekt und auch Zärtlichkeit aufeinander zugegangen. Meiner Frau habe ich gesagt: «Verzeih, ich bin jetzt mal ein paar Monate in einen Mann verknallt.»

Oh. Und wie hat sie reagiert?

Sie meinte: «Das ist okay. Ich mag den.»

Warum wollten Sie so weit gehen, so viel fühlen, anstatt nur zu spielen?

Ich möchte möglichst nah an die Wahrheit herankommen, um Lagerfeld gerecht zu werden. Die Nörgler wird es sicher wieder geben, die sagen: «So hat er doch nicht . . . So war er doch nicht . . . So ist er doch nicht», bla bla bla. Aber da habe ich genug Selbstbewusstsein, wie Lagerfeld selber, dass ich denke: Ganz egal! Ich habe wirklich alles, was ich zur Verfügung hatte, in diese Figur gesteckt. Und ich gehe sowieso mit mir selbst am härtesten in die Kritik.

Sind Sie persönlich auch an Mode interessiert?

Ich hatte das Glück, dass mich schon früh, vor 20 Jahren, der Head-Designer von Zegna, Alessandro Sartori, irgendwie cool fand und zu einer Show in New York einlud. So lernten wir uns kennen, wurden Freunde – er kam sogar zu meinem 30. Geburtstag nach Berlin –, und wir blieben in Kontakt, selbst als er zu einer anderen Firma wechselte. Als Alessandro zurück zu Zegna ging, wurde ich wieder zum Testimonial der Marke. Mittlerweile kenne ich auch die ganze Familie. Sie halten ihre Werte hoch.

Gibt es Modesünden und Looks, bei denen Sie heute zusammenzucken?

Wenig. Ich habe bereits als Kind Wert auf Hemden gelegt. Die gefielen mir schon als Dreikäsehoch. Aber es gab auch Lieblings-T-Shirts, mit einer bestimmten Typo oder einem besonderen Design. Ich kann mich heute noch an diese erinnern. Natürlich gab es auch furchtbare Stücke, totale Sünden. Wenn ich heute Fotos von meinen ersten roten Teppichen angucke, denke ich: Huch – was war denn da mit dir los?

Fehleinschätzungen? Fehlkäufe?

Verfehlungen! Ich dachte, ich hätte ein Händchen für Mode. Aber das war nicht immer der Fall. Vielleicht sah es auch nur auf Fotos schlecht aus oder in Kombination mit meiner Frisur. Haare sind bei mir eh ein schwieriges Thema. Vielleicht hätten die Sachen an jemand anderem sogar gut ausgesehen. Das ist ja dann auch die Sache einer gesunden Eitelkeit oder Selbsteinschätzung. Ich bin nun mal kein Model. Und auch nicht James Dean.

Wären Sie denn gern ein James-Dean-Typ?

Als Junge wollte ich ja eigentlich Delon oder Mastroianni sein. Irgendwann muss man sich eingestehen, dass dem nicht so ist. (Lacht.) Dann muss man dementsprechend gucken, was man tragen kann und was nicht. Auch jetzt im Alter.

In welchem Alter?

Na ja, ich werde im Juni 46. Dann sollten auch beim Mann die Jeans nicht immer enger und der Turnschuh immer lauter werden. Man kann sich ja noch cool kleiden, aber immer schön im Blick behalten, wie alt man ist.

Exit mobile version