Dienstag, Januar 7

Ein 30-jähriger, ehemaliger Sicherheitsmann eines grossen Kaufhauses hat einen IV-Rentner verprügelt. Nun ist er vor Gericht gestanden.

Am 11. Mai 2023 versuchte ein heute 49-jähriger Schweizer IV-Rentner in einem grossen Zürcher Warenhaus im Kreis 1, einen Geschenkgutschein ebendieses Warenhauses in der Höhe von 1000 Franken gegen Bargeld umzutauschen.

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Als eine Verkäuferin ihm sagte, dass dies nicht möglich sei, sprach er im Geschäft mehrere Kunden an und fragte sie, ob er ihnen ihren Einkauf über den Geschenkgutschein bezahlen könne und sie ihm dafür das Bargeld geben würden.

Ein Ladendetektiv erhielt daraufhin den Auftrag, den IV-Rentner aus dem Geschäft zu begleiten und ihm allenfalls ein Hausverbot zu erteilen. Das Aufeinandertreffen der beiden Männer artete dann aber in eine brutale Prügelei aus.

Eineinhalb Jahre später treffen sie sich vor einem Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich wieder. Beide sind unterschiedlicher Delikte angeklagt und gleichzeitig Privatkläger im Prozess des Kontrahenten.

Der heute 30-jährige türkische Sicherheitsmann verlor seinen Job nach dem Vorfall und ist bis heute arbeitslos geblieben. Laut Anklage stellte er sich dem IV-Rentner immer wieder in den Weg, dieser versuchte mehrmals auszuweichen.

Überwachungsvideos zeigen die Keilerei

Beim Ausgang packte der Ladendetektiv den Kunden am Hals, stiess ihn nach einer Rangelei zu Boden und landete auf ihm. Der Kunde wehrte sich heftig. Es gelang ihm aufzustehen. Gemäss Anklage «verkeilten sich» die beiden «ineinander». Der Kunde wurde erneut zu Boden geworfen.

Schliesslich verharrte der Ladendetektiv dreieinhalb Minuten lang kniend über dem Geschädigten. Auf Überwachungsvideos ist sogar zu sehen, wie ein Arbeitskollege ihn erfolglos wegzuziehen versuchte. Der IV-Rentner zog sich einen Wadenbeinbruch oberhalb des Sprunggelenks, Hämatome und Schürfungen zu.

Dem 49-jährigen Kunden wirft die Anklage mehrfache Drohung, einfache Körperverletzung und Tätlichkeiten vor. Er soll den Sicherheitsmann gefragt haben, ob er eine Kopfnuss wolle und ihm – so der Sicherheitsmann – sogar gedroht haben, dass er ihn abstechen werde. Zugegebenermassen drückte er dem Ladendetektiv bei der Rangelei die Hoden zusammen und biss ihn in ein Ohr.

Der Sicherheitsmann ist vorbestraft

Die Staatsanwältin, die im Einzelrichterverfahren nicht vor Gericht erscheinen muss, beantragt eine bedingte Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 60 Franken für den IV-Rentner und 180 Tagessätze à 30 Franken für den Ladendetektiv. Dessen Geldstrafe soll vollzogen werden, denn er ist bereits zweimal einschlägig vorbestraft. Er hatte Polizisten, seine Ex-Freundin und deren neuen Partner mehrfach bedroht.

Die Frage, wie er trotz den Vorstrafen eine Anstellung im Warenhaus als Sicherheitsmann bekam, wird im Prozess nicht beantwortet.

Der 30-jährige Türke macht vor Gericht keine Aussagen zur Sache. Er sei zu nervös dazu, gibt er an und verweist auf die staatsanwaltschaftliche Einvernahme. Dort hatte er offenbar stets geltend gemacht, der Kunde sei aggressiv gegen ihn gewesen und er habe eine Angriff befürchtet. Im Gerichtssaal verneint er zweimal klar, dass er den Kunden angerempelt habe. Seit eineinhalb Jahren ist er auf Stellensuche. Er werde von seinen Eltern finanziert, bei denen er wohne, sagt er.

Sein Verteidiger verlangt im Hauptantrag Freisprüche. Für eine Freiheitsberaubung fehle es an der Intensität. Den Wadenbeinbruch müsse sich der Kunde nicht bei diesem Vorfall, sondern erst später zugezogen haben. Zudem äussert er den Verdacht, dass der Geschenkgutschein gestohlen sei. Entsprechende Ermittlungen der Polizei nach dem Vorfall blieben aber ergebnislos.

Freiheitsberaubung ist eine sogenannte «Katalogtat», die einen obligatorischen Landesverweis zur Folge hätte. Die Staatsanwältin beantragt allerdings, davon sei abzusehen, da es sich beim in der Schweiz geborenen und aufgewachsene Türken um einen Härtefall handle. Allerdings beantragt der Gegenanwalt, der Landesverweis sei trotzdem anzuordnen.

Der 49-jährige IV-Rentner räumt im Gegensatz zum Sicherheitsmann die meisten ihm vorgeworfenen Tathandlungen ein, auch das Zusammendrücken der Hoden und den Biss ins Ohr. Er sei angegriffen worden. Der Ladendetektiv habe ihm den Hals zugedrückt. Er habe sich befreien wollen und in Notwehr gehandelt.

Er habe den Ladendetektiv tatsächlich gefragt, ob er eine Kopfnuss wolle. Etwas von «Abstechen» habe er aber nie gesagt. Das sei absolute Phantasie des Ladendetektivs. Sein Verteidiger verlangt einen vollumfänglichen Freispruch.

Aggressiver Sicherheitsmann – Notwehr des Kunden

Das Bezirksgericht Zürich eröffnet sein Urteil erst vier Tage nach dem Prozess: Wichtiges Beweismittel sind die Überwachungsvideos, welche die Konfrontation aufgezeichnet haben. Laut dem Einzelrichter sei aus Sicht des Gerichts klar erstellt, dass der Kunde den Detektiven nicht anrempelte und ihm sogar immer wieder ausweichen wollte.

Der Detektiv habe hingegen mehrfach den Kunden physisch bedrängt und ihn angegriffen. Es werde durch die Videos widerlegt, dass der Detektiv seinerseits mit einem Angriff habe rechnen müssen. Für die aufgeheizte Situation sei allein der Sicherheitsmann verantwortlich gewesen.

Die Videos zeigten zudem klar, dass sich der Kunde in einer Notwehrsituation befunden habe. Er habe sich wehren dürfen. Deshalb wird der IV-Rentner von allen Vorwürfen freigesprochen. Er erhält für die öffentliche Erniedrigung im Warenhaus 800 Franken Genugtuung zugesprochen.

Der arbeitslose Sicherheitsmann ist hingegen in allen Punkten schuldig und wird mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 30 Franken (5400 Franken) bestraft. Wegen der Vorstrafen wird die Geldstrafe vollzogen. Die Probezeit einer bedingt ausgesprochenen Vorstrafe wird um eineinhalb Jahre, bis Ende 2026, verlängert. Und dann gibt es noch eine Busse von 300 Franken.

Auf einen Landesverweis verzichtet das Gericht hingegen, weil es sich um einen klaren persönlichen Härtefall handle.

Der Ex-Ladendetektiv muss neben der Geldstrafe und der Genugtuung auch noch 2100 Franken für das Vorverfahren, 2000 Franken Gerichtsgebühr und 3470 Franken für den Anwalt des IV-Rentners, also insgesamt rund 14 000 Franken bezahlen. Hinzu kommen auch noch die Kosten für seinen eigenen erbetenen Verteidiger.

Urteil GG240204 vom 5. 12. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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