Freitag, Oktober 11

In der spirituellen Welt geht es um Gemeinschaft und Menschlichkeit, um das grosse Ganze und die feinen Schwingungen? Nicht unbedingt. Ein Besuch bei den Gauklern und Schaustellern der modernen Esoterik.

Es ist kalt, und es ist feucht – November in Basel. Aber auf den Gesichtern einiger Menschen, genau genommen einiger Frauen, die im Tram Richtung St.-Jakobs-Halle fahren, liegt ein Leuchten. Die meisten tragen ein blaues Heft bei sich. «Festivalmagazin Find Your Flow» steht darauf.

Esoterik, das klingt für viele nach etwas realitätsfremder, aber zufriedener Verschrobenheit. Glückliches Lächeln an grauen Tagen. Die Esoterikmesse in Basel wird von den Organisatoren als «Festival der urbanen Spiritualität» angepriesen, als das grösste seiner Art in ganz Europa. Hier geben sich Schamanen und Mystiker, Achtsamkeits-Alchemisten und Quantenheiler das Mikrofon in die Hand. Ihr gemeinsames Ziel: das Leben ihrer Anhänger und die ganze Welt verbessern. So zumindest erzählen sie das ihren Fans.

Viele Besucher reisen allein an – Gleichgesinnte treffen sie erst vor Ort. Grosses Hallo darum am Eingang, der für ein Wochenende zur Schleuse zwischen Alltag und Fluchtort wird. Hier schälen sich die Menschen mit bunten Schals, Filztaschen und wallenden Kleidern aus der Menge vorbeieilender Passanten. Die Einzelnen wachsen zu Gruppen zusammen, aufgekratzt und mittelalt. Zwei Frauen hüpfen auf und ab, vielleicht vor Kälte, vielleicht vor Aufregung. Andere kichern, tuscheln, rufen und winken einander zu. Maibummelgefühl im Herbst.

Heute werden einige dieser Menschen den ersten grossen Schritt hinein in die Esoterikfalle tun. So, wie es auf einem T-Shirt steht, das es am Festival zu kaufen gibt: «One Day oder Day One – das entscheidest Du».


Alles ist ganz einfach

Drinnen riecht es ein bisschen nach bedrucktem Papier und ein bisschen nach Räucherstäbchen. Letzteres ist wohl auf das Publikum zurückzuführen. Ersteres auf die unzähligen Werbeprospekte für spirituelle Kurse. Zudem hat der Messe-Organisator Younity eine veritable Selbsthilfe-Buchhandlung aufgebaut. Von Ratgebern zum Umgang mit Ernährung, Emotionen oder Engeln gibt es hier alles zu kaufen. Die grösste Schlange an diesem Samstagmorgen hat sich allerdings vor der Deep-Dive-Stage gebildet – tief eintauchen also.

«Applausstufe zehn für Frank – bekommen wir das hin?», ruft der Moderator von der Bühne. Er wärmt das Publikum auf für Frank Kinslow, Quantenheiler. «Applausstufe eins!» Klatschen. «Applausstufe zwei!» Klatschen und Johlen. Bei «Applausstufe zeeeeeehn!» dürften manche der Anwesenden vor lauter Stampfen und Klatschen ganz vergessen haben, dass sie auf einen Referenten warten und nicht auf das Ende der Sportstunde.

Dann ist er da, Frank – der Nachname tut wenig zur Sache, man begegnet sich hier auf der Du-Ebene, ganz intim, bei 8500 Besuchern – und bringt gleich eine grosse Frage mit. Was ist das Wichtigste im Leben? Gesundheit? Liebe? Freiheit? Nein. «Awareness, also Bewusstsein», sagt Frank, «ganz ohne Anstrengung.» Damit trifft er ins Schwarze: Wer hier ist, möchte zwar viel verändern, aber leicht muss es sein und gut soll es sich anfühlen.

An diesem Wochenende muss man wenig wissen, aber viel glauben. Vermittelt wird: Nicht machen, sondern fühlen ist wichtig. Ein Gegensatz also zum hektischen Alltag, zu Stress, Leistungsdruck und dem Gefühl, vielleicht allem Effort zum Trotz nie ganz zu genügen. «Quantenheilung ist eine faszinierende Methode, die sehr rasch und ohne jegliche Vorkenntnisse angewendet werden kann», sagt Frank. Dann setzt er kurzerhand zur 15-minütigen Meditation an. Es wird still im Saal.


Das Glück kann man kaufen

Die zuvor stampfenden Beine sind nun bei vielen gestreckt, die laut klatschenden Hände zur Ruhe gekommen. Das gedimmte Scheinwerferlicht fällt auf geschlossene Augen. Neben Franks ruhiger Stimme ist zu hören, wie einige tiefer atmen. Sich umzusehen in dieser Masse von Menschen, die mit geschlossenen Augen und vollem Vertrauen auf ihren Stühlen sitzen, fühlt sich verräterisch an. Besser, es ihnen gleich tun, hinter den eigenen Augenlidern verschwinden, mitmachen und das Denken für diesen Augenblick pausieren.

Fühlt sich tatsächlich gut an. Ging auch ganz leicht. Dann gemeinsames Augenöffnen. «Wenn wir das alle zusammen praktizieren, können wir die Welt verändern», ruft Frank in die Runde. Gleichzeitiges Blinzeln, sich Aufrichten und Strecken – ein grosses Wir-Gefühl. Wer mehr davon will, kann sich das kaufen. Frank sagt, seine Bücher könne man direkt bei ihm auf der Website bestellen. Ein Leitfaden gebe es sogar für kurze Zeit zum Gratisherunterladen. Tickets für weitere Events gebe es auch zu kaufen. Für wenige scheint die Krämer-Ansprache das Wir-Gefühl zu stören. Die meisten aber machen sich eine Notiz im dafür vorgesehenen Teil des Festivalmagazins.

Frank gehört mit seinen Büchern zur alten Garde. Viele der Jüngeren bieten Telegram-Chats und Online-Kurse an. Der «Achtsamkeits-Alchemist» Scott Schwenk etwa verkauft für seine «einzigartige, aber sehr einfache» Technik ein Jahresabo zu 12 Dollar pro Monat. Die Lektionen gibt es auf Video, einmal aufgenommen und tausendfach verkauft. Dass viele Kurse nur teilweise oder gar nicht live durchgeführt werden und stattdessen auf Videomaterial basieren, läuft unter positiven Argumenten wie «Flexibilität» und «eigenes Lerntempo».


Besuch von den Sternen

In der Pause springt erneut der Moderator auf die Bühne, um das Publikum zu einer Einheit zu verschmelzen: Wer hier ist, will nicht nur Referate hören, sondern auch Gleichgesinnte treffen. Dazugehören zu etwas Grossem. «Find your flow! Find your flow!», intonieren die Menschen bald einstimmig unter der Anleitung des Moderators. Strahlende Gesichter im Publikum. Manche haben wieder zu stampfen begonnen. Dann kommt das Medium Birgit Fischer auf die Bühne.

Fischer erzählt von den verschiedenen Sternenvölkern, die sie auf ihren Traumreisen kennengelernt hat. Denn: «Zu glauben, dass wir nur schlafen, damit der Körper sich ausruht, ist ein bisschen naiv, nicht? Oder warum, denkt ihr, fühlt man sich am Morgen manchmal gerädert, obwohl man genug geschlafen hat? Weil man die ganze Nacht im eigenen Bett lag und nichts gemacht hat?» Fischer lacht, und das Publikum lacht mit.

Dann erzählt sie, wie durch eine Entführungswelle Aliens auch auf die Erde gelangten und sich mit den Menschen vermischt haben. Klingt unglaubwürdig? Da müsste man erst einmal Beweise sehen? «Hellfühlen bedeutet nicht zu sehen, sondern zu fühlen. Wenn das gelingt, weiss man die Antwort und die Wahrheit.» Damit ist jeglichen Gegenargumenten der Wind aus den Segeln genommen: Wer die Präsenz der Sternenvölker nicht fühlt, wer die Ausführungen Fischers nicht glaubt, ist einfach nicht hellfühlig genug. Und zu sehr auf Fakten fokussiert.

Viel Nicken im Publikum. Kaum jemand hier will es verpassen, sich das grosse Potenzial der Sternenvölker zum Vorteil zu machen. Wie? Steht in Fischers Büchern. Man kann sie direkt vor Ort kaufen. Zudem kann man Trance-Sitzungen buchen, um das Traumreisen zu lernen.

All denen, die ungeduldig werden, weil nach den ersten Sitzungen oder der Lektüre der ersten Bücher nichts geschieht, sagt sie: «Gebt euch Zeit! Die braucht es. Betrachtet das Leben als Forschungsreise.» Wenn die kostenpflichtige Trance also nicht funktioniert, liege das an der Ungeduld. Oder daran, dass man sich noch nicht genügend habe öffnen können.


10 000 Franken für den guten Glauben

Im Publikum von Birgit Fischer sitzt auch Heike. «Wunderbar, Birgit endlich einmal live zu sehen», sagt sie. Du-Ebene, darum tue auch ihr Nachname nichts zur Sache, findet Heike. Bunter Schal, wallendes Kleid, weissgraues, langes Haar. Und sowieso: In den «Mainstream-Medien» möchte sie nicht mit vollem Namen erscheinen. Aber zurück zu Birgit und den Sternenvölkern: Heike ist schon lange Teil der Telegram-Gruppe, in der Birgit Fischer Nachrichten, Bilder und Videos teilt, mit denen sie ihre Bezahlprodukte bewirbt.

Auch Heike hat schon für einige ihrer Videos bezahlt. «Insgesamt», Heike überlegt, «habe ich für Kurse, Unterrichts- und Referatsvideos und Messebesuche vielleicht 10 000 Franken ausgegeben über die Jahre.» Viele ihrer Freunde, Heike malt Anführungszeichen in die Luft, hätten ihr gesagt, das sei doch zu viel Geld für diesen Schwachsinn.

Bedeuten die Anführungszeichen, dass diese Menschen nicht mehr Heikes Freunde sind? Sie strafft die Schultern. Ja, aber das sei nicht schlimm. «Sie tun mir eigentlich leid. Sie haben es einfach immer noch nicht verstanden.» Es? «Na, das hier, alles. Dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als manche einfachen Gemüter glauben.» Zum Beispiel Sternenvölker? «Mir hat bisher niemand beweisen können, dass es sie nicht gibt», sagt Heike.


Kaffeesatz- und Auralesen

An Messen wie «Find Your Flow» geht Sonia Kälin, pensionierte Buchhalterin, heute nicht mehr. Wir treffen uns draussen zum Kaffee. Denn das Thema beschäftigt sie weiter. Sie war 42 Jahre alt, als die Fragen kamen: Was habe ich erlebt und erreicht, was soll noch kommen? Wer will ich künftig sein? Manche machen diese Fragen mit sich selbst aus. Kälin ging zur Astrologin, zum Handleser, liess jemanden ihren Kaffeesatz deuten. Die Antwort sei stets die gleiche gewesen: «Die Esoterik ist dein Weg.»

Erstaunt war Kälin darüber nicht. Bereits als Kind habe sie die Gedanken anderer Menschen gehört, Bilder aus dem Leben Fremder plötzlich im Kopf gehabt und ihre Emotionen gefühlt, als wären es die eigenen. «Ich dachte aber, bis ich 14 war, ich hätte einfach eine blühende Phantasie.» Heute dagegen wisse sie: «Ich habe die Gabe der Mantik, des Auralesens, bin aber auch ein Empath, fühle also die Emotionen anderer. Ich kann Kontakt mit dem Jenseits aufnehmen und mittels Energiefluss die Aura heilen.»

Ob sie das alles auch beweisen kann? Kälin schüttelt den Kopf. «Ich muss nichts beweisen», sagt sie dann und lächelt. Sie arbeite nach dem Prinzip «Take it or leave it» – nimm es, oder lass es bleiben. «Nicht alle Menschen haben einen Zugang zur Esoterik, zu dieser erweiterten Welt.» Esoterik habe viel mit Loslassen zu tun, «aber die Menschen haben so gerne Kontrolle».


Keine Aussenseiterin mehr

Ihre Gabe, wie Kälin sagt, habe sie geschult. «Ich habe eine mediale Ausbildung gemacht, Kurse in Hand- und Gesichtlesen, Seminare zur Numerologie und Tantra-Kurse.» Später ging sie, die sich immer anders gefühlt habe als die andern, auch gerne an Esoterikmessen: «In dieser Gemeinschaft bin ich keine Aussenseiterin.» Doch je tiefer sie in die Esoterik eintauchte, umso stärker litten ihre bestehenden Beziehungen. «Ich hatte Freunde, die sich wegen der Esoterik von mir abgewandt haben. Andere waren derart desinteressiert, dass sie wiederum für mich als Freunde nicht mehr spannend waren.»

Um nicht unanständig viel über jemanden zu erfahren, ohne dass diese Person sich ihr anvertraue, hat Kälin in weiteren Kursen gelernt, sich zu verschliessen. Auch für dieses Interview übrigens. Sie habe während des Gesprächs keine Gedanken gelesen und keine Gefühle übertragen.

Vor Pandemie und Lockdown fanden die meisten Kurse, die Kälin besucht, vor Ort statt. Mittlerweile werde viel digital veranstaltet. «Online funktioniert das aber auch. Das Energiefeld bei solchen Veranstaltungen ist ja immer gross. Man kann sich also sehr gut verbinden.» Sie fühle sich auch in Online-Kursen gesehen. An Messen dagegen mag sie nicht mehr gehen. Das sei in den letzten Jahren zu kommerziell geworden. Dazu, dass auch die Kurse teilweise viel Geld kosten, sagt sie: «Nach der obligatorischen Schule kostet jede Ausbildung. Und eine Therapie, um besser mit sich und anderen umgehen zu können, gibt es auch nicht gratis.»


Lichtnahrung und Corona-Gegner

In Basel geht die grosse Show nach der Mittagspause auf der Hauptbühne weiter. Scheinwerfer gleiten in der grossen und gut gefüllten St.-Jakobs-Halle über das Publikum. Hier werden die Referenten wie Pop-Stars inszeniert – und lassen auch entsprechend auf sich warten. Das Publikum allerdings stört sich nicht daran. Aus den Lautsprechern wummert dem Event entsprechend kuratierte Musik. Auf Pharrell Williams’ «Happy» folgt «Can’t stop the feeling» von Justin Timberlake. Manche Leute tanzen. Die Stimmung ist aufgekratzt. Dann kommt Ruediger Dahlke.

Dahlke hat in den siebziger Jahren in der Humanmedizin promoviert, später dann eine Ausbildung zum Reinkarnationstherapeuten gemacht und diverse esoterische Sachbücher geschrieben. Darin vertritt er unter anderem die These, dass ein kranker Körper die Folge einer kranken Seele sei. Wer schwer erkranke, habe ein traumatisches Erlebnis nie richtig aufgearbeitet und sei dementsprechend selber schuld. Bei Männern mit Prostatakrebs geht Dahlke davon aus, sie hätten «zu wenig Liebesfeste gefeiert». Kranke tragen laut Dahlke die Verantwortung für ihren Zustand selbst. Das kann dazu führen, dass Betroffene zu spät oder keine medizinische Hilfe holen.

Zudem hält Dahlke ein Leben ohne «grobstoffliche» Ernährung, also nur mittels «Lichtnahrung», für möglich und glaubt an die Thesen der Physiognomik, wonach Kopf- und Körperform Aufschluss über Intelligenz und Persönlichkeit eines Menschen geben. In Basel wird er mit grossem Applaus empfangen.

Dahlke kennt die Szene, und er kennt sein Publikum. Darum ruft er auch bald einmal: «Entweder sind es die westlichen spirituellen Frauen, die uns noch retten, oder es rettet uns nichts.» Applaus. Später erzählt er, der 2020 als Redner bei einer Protestveranstaltung von «Querdenkern» aufgetreten ist, man habe ihn gefragt, ob er sich als Arzt nicht impfen lassen wolle, als Vorbild. «Nein, da fehlt mir der Todesmut», habe er geantwortet. Tosender Applaus.

Vom Coronavirus geht es weiter zum Geld. Früher sei das ja ein wunderbares Zaubermittel gewesen, aber heute? Heikel. Dabei zähle eigentlich nur diese eine Frage: «Was machst du mit deinem Geld, um deiner Seele gut zu tun? Und wie viel hinterlässt du, um deinen Nachkommen das Leben zu versauen?»


Welchen Wert hat das Geld?

So offen wie Dahlke mag in der Szene kaum jemand über Geld sprechen. «Willkommen in der anderen Realität. Der Wirklichkeit, die sich dem Verstand und der Vernunft entzieht», heisst es im Prospekt des Channel-Mediums Bea Rubli. Wer bei ihr eine siebenmonatige Online-Ausbildung bucht, entdeckt «die Essenz der eigenen Signatur». Wie viel das kostet, steht dagegen nirgends.

Niemand soll von nackten Zahlen abgeschreckt werden. Darum informieren die aufgelegten Broschüren zwar ausführlich darüber, welche «absolut einzigartigen Ausbildungen» belegt werden können, anstelle einer Preisliste wird aber stets auf ein kostenloses Beratungsgespräch verwiesen.

Obwohl die wirklich wichtige Frage sowieso nicht laute: «Kann ich mir die Ausbildung leisten?», sondern: «Wie viel Geld ist mir die Erschaffung einer neuen Zukunft für mich und meine Mitmenschen wert?» So steht es beispielsweise in einem Prospekt von Bea Rubli.

Auch am Beispiel der Messetickets lässt sich aufzeigen, wie das Erwartungsmanagement der Esoterikwelt funktioniert. Ein Wochenendpass Silber kostet 199 Euro «statt 399 Euro», wie kleiner gedruckt darüber steht. Dass der höhere Preis tatsächlich einst gegolten hat, darf bezweifelt werden. Denn bei den Tickets für den Event im kommenden Herbst kostet der Silberpass 149 Euro «statt 299». Vielmehr dürfte der durchgestrichene Preis dazu dienen, den Kunden zu suggerieren, dass sie hier gerade ein Schnäppchen machen. Sie zahlen zwar viel Geld, aber das, was sie dafür bekommen, hätte vermeintlich sogar noch mehr Wert.

Klar, Messen sind dafür gemacht, Dinge zu verkaufen. Aber meistens sind es Uhren, Bücher, Möbel oder Maschinen. Doch wenn es um die eigene Glückseligkeit, alternative Wahrheiten und neue Weltordnungen geht, fühlt sich das ungemütlicher an, als wenn an der Weinmesse eine Kiste hochwertig vergorener Traubensaft den Besitzer wechselt. Warum?

Immerhin vermag beides den Bewusstseinszustand zu verändern. Doch bei der Esoterik geht es um mehr als einen Rausch. Verkauft wird ein umfassendes Heilsversprechen, eine Garantie auf Glück. Was genau man bekommt, bleibt aber schleierhaft. Hat sich trotz Garantie noch keine tiefere Einsicht oder höhere geistige Entwicklung eingestellt? Dann ist man selbst noch nicht so weit. Muss noch mehr kostenpflichtige Module absolvieren. Muss sich trennen vom Weltlichen, vom alten Umfeld, dessen kritische Fragen zu spirituellen Blockaden führen. Dass die Methode versagt und das Versprechen unhaltbar ist, steht nicht zur Debatte.

Zur Sehnsucht nach Glück und Heilung kommt das Schüren der Angst. Die Welt ist im Wandel, die gegenwärtigen Krisen lassen Schlimmes ahnen. Und in dieser gefährlichen Lage versprechen die esoterischen Bücher, Kurse und Seminare einen einfacheren, ja besseren Weg. Vielleicht, so tönen es alle an, ist es gar ein Ausweg.


Ein Baum voller Sehnsucht

Vor einem der Fenster in Basel stehen zwei Bäumchen. Schmale Stämme, zu Kugeln geschnittene Kronen. Draussen ist es noch immer grau und langsam auch düster. Im Fensterglas spiegelt sich das künstliche Licht der Messehalle. «Baum der Wünsche» steht auf einem pink-violetten Plakat, das die beiden Gewächse überragt. Wer möchte, kann hier einen Wunsch teilen. Mit schwarzem Stift auf buntem Papier, lesbar für alle. Esoterik bedeutet auch Preisgabe; von Träumen und Ängsten, letztlich der eigenen Verletzlichkeit also. «Sich öffnen», würden die Redner auf den Bühnen sagen.

Am Wunschbaum hängt nun also, was die Menschen sich von ihrem Besuch an der Esoterikmesse erhoffen. «Erfüllung in allen Bereichen», steht in fein säuberlichen Grossbuchstaben auf einem gelben Zettel. «Gesehen werden», «Verständnis», «Orientierung» oder «Frieden in mir und auf der Welt» auf anderen. Oft sind die i-Tüpfelchen Herzen.

Die Zettel zeugen von der Sehnsucht nach Sinnstiftung, einfachen Antworten und Orientierung. Aufgaben, die einst vor allem die Religion übernommen hatte. Je mehr die Religiosität im Westen abnimmt, umso mehr Platz wird für die Esoterik frei. Dazu kommen die gegenwärtigen Krisen, die eine Suche nach Erklärungen, einen Hunger nach Gewissheiten ausgelöst haben. In einer Welt, die immer komplizierter wird, kann eine Pseudowissenschaft, bei der alles ganz leicht ist – die Anwendung, die Antworten, die Regeln –, erlösend wirken.


Die nächste Generation

Thérèse und Anna, Mutter und Tochter, sind aus der Innerschweiz angereist, um das Wochenende in Basel zu verbringen. Thérèse sagt, Homöopathie sei für sie ein Teil der Medizin. Auch dort gehe es um das Herstellen eines inneren Gleichgewichts. Darum habe sie auch einen leichten Zugang zur Esoterik. Sie hält inne, bevor sie etwas leiser sagt: «Also, nicht zu ganz allem, was man hier so zu hören bekommt.»

Anna sagt, sie habe mit «Globuli und Schüssler Salz und so» nie viel anfangen können. Aber seit einer Weile folge sie auf Instagram einigen Astrologinnen und habe mit dem Manifestieren begonnen. Wer manifestiert, wiederholt bestimmte Wünsche, bis diese tatsächlich wahr werden – sich also real manifestieren. Eine solche Affirmation können etwa «Ich werde befördert» oder «Ich bekomme das Sabbatical» sein. Anna lacht verlegen. «Nützt s nünt, so schad s au nünt, oder?», sagt sie dann.


Sternenstaub im Internet

«Mit den Füssen auf der Erde und dem Kopf in den Sternen», so beschreibt sich Noemi Christoph auf Instagram. Dort folgen ihr etwas mehr als 7400 Menschen. Viele von ihnen finden sich auf dem Account ein, weil sie wissen wollen, was in den Sternen steht. Und wie sie einem Stapel Tarotkarten Antworten auf die wichtigen und nichtigen Fragen des Lebens entlocken können.

Christoph ist eine der zahlreichen jungen Astrologinnen, die die sozialen Netzwerke nutzen, um den Sternenstaub im WWW zu verstreuen. Ein Gegenentwurf auch zur gut geölten Marketingmaschine, die an Messen wie jener in Basel brummt und vor allem eines soll: den Verkauf ankurbeln. Auf Christophs oberstem Instagram-Post steht denn auch: «Ich fühle mich in der Spiri-Szene verdammt oft fehl am Platz.»

Der Post brachte ihr fast tausend Herzen, also Likes, ein. Vielen ihrer Follower scheint es ähnlich zu gehen. Skepsis und Faszination halten sich die Waage. «Ja, ich kann davon leben, dass ich Karten lege, Horoskope erstelle, Kurse gebe und Coachings anbiete», sagt Noemi Christoph am Telefon, «aber mit all den Aluhüten habe ich nichts zu tun!»

Die Heilsversprechen, die manche Menschen in der «Spiri-Szene», wie Christoph das nennt, anbieten, finde sie falsch. Das Guru-tum sowieso. Aber manche Menschen in der Szene würden auch nichts infrage stellen, «denen kannst du jeden Scheiss erzählen. Und dann wird es gefährlich», sagt sie.


Problematische «Spiri-Szene»

Dass manche Menschen ihren Astrologinnen oder den Medien blind vertrauten, liege einerseits daran, dass «der Mensch halt das Bedürfnis nach Spiritualität hat». Gerade in Zeiten wie unseren, in denen vieles unsicher scheine. «Die Faszination für die Esoterik kommt auch daher, dass sie vielen Orientierung gibt.» Und dass ganz stark auf die Einzelperson fokussiert werde. «Jeder Mensch will als einzigartig erkannt und gesehen werden. Das tut einfach gut», sagt Christoph. Manchmal sei es dann schwierig, eine Grenze zu ziehen; die Dinge, die einem so gut tun, auch kritisch zu hinterfragen.

Es habe aber auch mit denen zu tun, die ihre esoterischen Dienste anböten und daran arbeiteten, dass die Fans zu ihnen hochschauten. Christoph hat, bevor sie sich als Astrologin selbständig machte, eine Coaching-Ausbildung in der Schule einer Sozialarbeiterin gemacht. «Die Menschen müssen sich immer um sich selber kümmern können», das habe sie damals gelernt. «Ich will, dass die Leute bei mir hinauslaufen und denken: Wenn ich mir etwas Zeit nähme, könnte ich das selber machen.»

Es ist diese lockere Herangehensweise – und neben Instagram vor allem die Videoplattform Tiktok –, die Esoterik für die junge Generation zugänglich macht. Seit der New-Age-Bewegung der achtziger Jahre war Esoterik nicht mehr so erfolgreich wie gerade jetzt. Laut einer Studie der britischen Trendforschungsagentur WGSN glauben 62 Prozent der Generation Z, dass ihr Horoskop ihre Persönlichkeitsmerkmale akkurat wiedergebe.


Esoterik ist auch Lifestyle

Bereits im kurzen Beschrieb bei der Dating-App Tinder das eigene Sternzeichen notieren, um von vornherein inkompatible Partner fernzuhalten? Effizient. Tarotkarten legen, bevor ein wichtiger Karriereentscheid ansteht? Kann dabei helfen, herauszufinden, was man will – und was nicht. Sich eine Reiki-Behandlung gönnen – durch Handauflegen die Energie der Behandelten dorthin lenken, wo sie gerade gebraucht wird, um Schmerzen zu stillen, den Körper zu entgiften oder Energie freizusetzen? Self-Care. Sich etwas Gutes tun; andere fahren dafür ins Wellness-Wochenende.

«Karten legen ist für mich auch ein Achtsamkeitsritual», sagt Christoph. Viele junge Astrologinnen gehen spielerisch um mit der Esoterik. Ihr erstes Tarotdeck hat Christoph sich gekauft, weil ihr die Karten gefielen. Manchmal, wenn ihr eine der gezogenen Karten nicht passt, schiebt sie sie zurück in den Stapel. «Dann kommt sie aber meistens einfach wieder. Oder eine andere, mit sehr ähnlicher Bedeutung.» Für Christoph ein Zeichen dafür, dass «es» funktioniert. Warum, weiss sie nicht. Bloss, dass man auch ein bisschen Vertrauen haben muss.

Problematisch wird Esoterik erst dann, wenn dieses Vertrauen zum eigenen Vorteil ausgenutzt wird. In Basel steht eine Gruppe von Besuchern vor einem der Stände mit Fan-Waren. Stofftaschen gibt es dort zu kaufen und T-Shirts mit verschiedensten Slogans. Auf einem steht: «Keine Sorge, das wird morgen alles noch viel schlimmer.»

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