Mittwoch, Oktober 2

Die Zürcher Bildungsdirektorin präsentiert eine Vorlage – und wird von fast allen Seiten kritisiert.

«Die Massnahmen sind ausgewogen, politisch mehrheitsfähig und finanzierbar. Und sie sind umsetzbar, in Zeiten des Lehrermangels ist das ein ganz wichtiger Punkt.»

Die einleitenden Worte der Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner klangen sehr pragmatisch, als die Mitte-Politikerin am Dienstag vor den Medien ausführte, wie der Regierungsrat den sogenannten neuen Berufsauftrag für Lehrpersonen der Volksschule anzupassen gedenkt. Allzu hohe Erwartungen waren also fehl am Platz – zumal die geplanten Massnahmen über ein Jahr lang in der Vernehmlassung zirkulierten und dort von Parteien, Verbänden und den mitfinanzierenden Gemeinden genau durchleuchtet und je nach Standpunkt kritisiert oder zurechtgestutzt wurden.

Jetzt aber ist klar, wie die Exekutive die Anstellungsbedingungen der Lehrerinnen und Lehrer verbessern und Primar- und Sekundarschulen somit stärken will. Die wichtigsten Punkte der Vorlage lauten:

  • Höhere Mindestpensen: Laut dem Vorschlag der Bildungsdirektorin müssen Primarlehrer und Sekundarlehrerinnen im Kanton Zürich künftig mindestens 40 Prozent arbeiten. 35-Prozent-Pensen soll es nicht mehr geben.

    Myriam Ziegler, die Chefin des Volksschulamts, stellte sich auf den Standpunkt, dass diese minimale Erhöhung die Absprachen zwischen Lehrerinnen und die Stundenplangestaltung der Schulen vereinfachen werde. Aber natürlich wolle man auch künftig familienfreundliche Teilzeitarbeit ermöglichen.

  • Mehr Zeit für Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer: Statt wie bisher pauschal 100 Stunden pro Jahr und Klasse sollen Klassenlehrer mindestens 120 Stunden zur Verfügung haben für Elterngespräche, Schülergespräche, Koordinationsaufgaben oder zur Vorbereitung von Schulreisen, Klassenlagern oder weiteren Exkursionen.

    Da nicht jede Klasse gleich viel zu tun gibt, sollen Klassenlehrer auch mehr Zeit eingeräumt bekommen können. Die Bildungsdirektion geht davon aus, dass für diese Aufgaben durchschnittlich 140 Arbeitsstunden pro Jahr notwendig sind.

  • Administrative Entlastung: Bis anhin gab es fünf Tätigkeitsbereiche für Lehrerinnen und Lehrer. Künftig wird es nur noch drei geben: «Unterricht», «Zusammenarbeit» und «Weiterbildung». Die Verwaltung will dies als Flexibilisierung verstanden wissen. So soll es laut Ziegler künftig möglich sein, aus dem Pool an Stunden, die für «Zusammenarbeit» vorgesehen sind, einer Klassenlehrerin mehr Zeit zur Verfügung zu stellen.

    Die obligatorische Zeiterfassung entfällt – eine Tätigkeit, auf die nicht nur Lehrer gerne verzichten würden, um sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. Schulleitungen sollten ihren Angestellten aber weiterhin nahelegen können, ihre Arbeitszeit zu dokumentieren, um Phasen der Überlastung sichtbar zu machen, sagte Ziegler.

  • Mehr Zeit und Unterstützung für Berufseinsteiger: Lehrerinnen und Lehrer sollen während oder nach dem Studium von sogenannten Fachbegleitern betreut werden, also erfahrenen Lehrern am Arbeitsort. Dies während der ersten zwei Jahre im Beruf.

    Ebenfalls in den ersten zwei Jahren erhalten Berufseinsteiger mehr Zeit, um ihre Lektionen vor- und nachzubereiten. Statt wie bisher 59,5 Stunden im Jahr pro Wochenlektion werden hierfür neu 61 Arbeitsstunden veranschlagt, eine weniger als vor der Vernehmlassung vorgesehen.

  • Nicht mehr Zeit für die Vorbereitung der Schulstunden: Vor einem Jahr war geplant, dass auch die übrigen Lehrpersonen mehr Zeit erhalten sollen für die Vorbereitung des Unterrichts, nämlich 60 statt 58 Stunden pro Jahr und Wochenlektion. Doch jetzt bleibt hier alles beim Alten.

    Myriam Ziegler machte bei diesem Punkt nicht nur die höheren Kosten geltend, die zwei Stunden mehr Vorbereitungszeit für alle Lehrerinnen und Lehrer bedeutet hätten. Mehr Vorbereitungszeit würde weniger Unterricht pro Lehrperson nach sich ziehen – und somit laut Berechnungen des Volksschulamts auf einen Mehrbedarf von 600 Lehrerinnen und Lehrer im ganzen Kanton hinauslaufen.

  • Mehr Geld für Schulleitungen: Die operative Führung von Primar- und Sekundarschulen ist in den vergangenen Jahren immer anspruchsvoller geworden. Krisenphasen wie die Corona-Pandemie oder die Flüchtlingswelle aus der Ukraine, aber auch die Rekrutierung fähigen Personals verlangten Profis an der Spitze, findet die Bildungsdirektion.

    Und die sollen angemessen bezahlt werden: Laut der Bildungsdirektion sollen Zürcher Schulleiterinnen und Schulleiter eine Lohnklasse nach oben verschoben werden. Nimmt man die kantonalen Lohntabellen für 2024 zum Massstab, würden diese Berufsleute je nach Stufe und Erfahrung also zwischen 126 816 und 185 152 Franken im Jahr verdienen. In der bisherigen Lohnklasse bewegt sich der Grundlohn exakt zwischen 119 223 und 172 818 Franken.

    Die Führungsgremien der Schulen sollen ebenfalls ausgebaut werden. Allerdings sollen die Schulen dafür lediglich 30 zusätzliche Stellenprozente erhalten. Vor der Vernehmlassung waren 50 Prozent mehr vorgesehen als heute.

    Im Gegenzug müssen Zürcher Schulleiter künftig eine längere (und teurere) Weiterbildung absolvieren als bisher.

  • Tiefere Kosten als vorgesehen: Die Kosten der vorgeschlagenen Massnahmen fallen deutlich moderater aus als vor der Vernehmlassung. Für ihr ursprüngliches Vorhaben rechnete die Bildungsdirektion 2023 mit 150 Millionen Franken pro Jahr. Jetzt geht man von wiederkehrenden Kosten von 67 Millionen Franken aus. 13 Millionen davon würde der Kanton finanzieren, den Rest hätten die Gemeinden zu tragen. Ziegler liess durchblicken, dass der Kanton mit dem reduzierten Umfang der Massnahmen den Gemeinden entgegengekommen sei.

Das Paket schafft Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern gehören die Schulleitungen. Lehrerinnen und Lehrer hingegen dürften enttäuscht sein, da sie anders als erhofft nicht mehr Zeit erhalten, um ihre Lektionen vorzubereiten.

Silvia Steiner indes zeigt sich überzeugt, dass man Lehrer am besten entlaste, wenn die Schulleitung ihnen «für ihr Kerngeschäft» den Rücken freihalte. Die Schulen stünden in der Verantwortung, ihre Ressourcen sinnvoll einzusetzen. «Das ist das Ziel unseres Modells.» Weniger Lektionen pro Lehrperson ist für die Bildungsdirektorin keine Option. Das würde zu noch mehr Ansprechpersonen für Schülerinnen und Schüler führen, sagte Steiner.

Unter den Parteien löste die Vorlage gemischte Reaktionen aus. Die FDP begrüsst zwar, dass Klassenlehrer mehr Zeit bekommen, die Vorbereitungszeit für den Unterricht aber gleich belassen wird. Ob die Schulleitung den Lehrerinnen und Lehrern tatsächlich den Rücken freihalten wird, steht für die Partei nicht fest. «Schule muss wieder einfacher werden», schreibt die FDP in einem Communiqué. Lehrer sollen unterrichten und sich nicht mit unnötigen Projekten und Formularen herumschlagen müssen.

Die SP hingegen bedauert, dass Klassenlehrer nicht mehr Zeit bekommen sollen. Die Erhöhung des Mindestpensums sehen die Sozialdemokraten kritisch. «Dies kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie beeinträchtigen», teilt die Partei mit. Ähnlich äussern sich die Grünen. Die Alternative Liste bezeichnete die Vorlage gar als «Ohrfeige» für Lehrerinnen und Lehrer.

So weit möchte Christian Hugi nicht gehen. Der Präsident des Zürcher Lehrerverbands ist enttäuscht über die Vorlage. Er setzt jedoch darauf, dass der Kantonsrat Korrekturen vornehmen wird. Dort gab die Entlastung von Lehrpersonen bereits vor kurzem zu reden. Ein Vorstoss der GLP und der Linken, den Klassenlehrern künftig 200 Stunden pro Jahr für Klassenlehreraufgaben einzuräumen, scheiterte denkbar knapp.

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