Hat sich das Verhältnis der Schweiz und der EU jüngst getrübt? Sefcovic, der einiges zu diesem Eindruck beigetragen hat, versucht nun, diesen Eindruck zu zerstreuen. Gleichzeitig mahnt er zu Tempo beim Schlüsseldossier Zuwanderung.

Seit dreieinhalb Monaten verhandeln die Schweiz und die EU über eine neue bilaterale Übereinkunft. Vereinzelt dringen Details der Gespräche seitens der EU nach aussen. Dabei ist aber stets schwierig zu beurteilen, ob es sich dabei um taktische Spiele mit Hintergedanken handelt – etwa um die Öffentlichkeit zu beeinflussen oder auf die Gegenseite Druck auszuüben – oder um wirkliche Fortschritte der Gespräche.

Ein Zückerchen für die Forscher

Ein zuversichtliches Signal hat Maros Sefcovic, der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar, am Donnerstagmorgen auf dem Kurznachrichtendienst X gesendet. Er habe ein produktives Telefongespräch mit Bundesrat Ignazio Cassis gehabt, schreibt er. Dieses hat am Mittwochabend stattgefunden.

Fortschritte habe man, so schreibt Sefcovic, besonders bei institutionellen Fragen und auf dem Gebiet der Beihilfen erzielt. Dabei geht es erstens darum, wie die Schweiz neues EU-Binnenmarktrecht übernehmen muss, und was passiert, wenn sich die Partner in dieser Frage nicht einig sind. Um Konflikte zu klären, ist neu ein paritätisch besetztes Schiedsgericht vorgesehen. Es hätte das letzte Wort bei politisch nicht bereinigten Differenzen und muss bei Fragen rund um das EU-Recht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) für eine verbindliche Auslegung beiziehen.

Bei den Beihilfen geht es zweitens darum, dass diese in der EU zwar grundsätzlich verboten sind, der Staatenbund solche aber immer wieder gewährt, beispielsweise um in der EU eine Halbleiterindustrie aufzubauen. Die Gespräche mit der Schweiz drehen sich um staatliche Hilfen für Fluggesellschaften, den Energiesektor und die Eisenbahn. Der Bundesrat selbst hat das Thema der Beihilfen allerdings als ziemlich unproblematisch eingestuft.

Gleichsam ein Zückerchen hatte Sefcovic in seinem Tweet auch auf Lager. Schweizer Forscher dürfen sich ebenfalls für drei Projekte des Forschungsprogramms Horizon bewerben, die 2025 anlaufen und in diesem Jahr ausgeschrieben werden. Dieser wichtige Schritt stärke den Schweizer Forschungs- und Innovationsplatz, schreibt der Bundesrat dazu. Finanziert werden die Beteiligungen bis zu einer Assoziierung durch den Bund.

Das Entgegenkommen der EU ist also eher als eine Überbrückung zu verstehen, bis die neue bilaterale Übereinkunft besteht. Sefcovic liess in Brüssel dazu ausrichten, dass die Verhandlungen bis Ende Jahr abgeschlossen werden sollen.

Den Eindruck der Verstimmung vermeiden

Allgemein schlägt der EU-Kommissar nun einen versöhnlicheren Ton an als in den vergangenen Wochen. Geplant war eigentlich, dass Sefcovic am 20. Juni nach Bern reist, um mit Cassis über den Fortschritt der Verhandlungen zu sprechen. Das Treffen kam dann aber nicht zustande.

Laut Aussagen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) war es damals noch zu früh für eine Bestandesaufnahme auf politischer Ebene. Die Positionen der Schweiz und der EU lägen in gewissen Bereichen noch weit auseinander, meinte eine Sprecherin des EDA damals.

Umso mehr erstaunt auf den ersten Blick Sefcovics Tweet kurz vor den Sommerferien. Ein erfahrener Verhandler meint allerdings, er würde das Telefongespräch unter «normaler diplomatischer Praxis» abbuchen. Man wolle damit zum Ausdruck bringen, dass der abgesagte Besuch keinesfalls zu einer Verstimmung geführt habe.

Sefcovics Tweet könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass sich die EU-Mitgliedsländer und das EU-Parlament in den kommenden Monaten einigen müssen, wie die 27 Posten in der Kommission verteilt werden sollen. Sefcovic will dem Gremium weiterhin angehören und strebt selbstverständlich gewichtige Dossiers an. Somit hat er ein gewisses Interesse daran, zu kommunizieren, dass er die Verhandlungen mit der Schweiz vorantreibt.

Dazu passt, dass sein Tweet auch eine Aufforderung an die Schweiz enthält. Es sei nun wichtig, das Momentum bei den Gesprächen zur Personenfreizügigkeit (PFZ) aufrechtzuerhalten.

Die Zuwanderung ist das gewichtigste Thema

Diese stellt der grosse Brocken der Verhandlungen dar. Die Schweiz hätte gerne einen Schutzmechanismus für den Fall, dass die Zuwanderung aus den EU-Ländern überdurchschnittlich hoch bleibt. Vorstellbar wären etwa Kontingente, wenn die Immigration weit über dem Mittelwert in den EU-Ländern liegt.

Gegen aussen hat Sefcovic stets den Eindruck vermittelt, dass er mit der Schweiz nicht über die PFZ sprechen wolle. Er berief sich dabei auf das Common Understanding, das die Verwaltungen der beiden Seiten 2023 als Vorstufe zu einem neuen Vertrag vereinbart hatten. Darin ist von einem Schutzmechanismus keine Rede, und die EU hat immer betont, sich bei den Verhandlungen eng an das Common Understanding halten zu wollen.

Gleichzeitig gibt es in der EU Bedenken, dass Mitgliedsländer ebenfalls die Zuwanderung begrenzen könnten, wenn man der Schweiz in diesem Punkt entgegenkommt. Im Staatenbund ist die Personenfreizügigkeit zwar kaum umstritten, ein gewisser Unmut hat sich allerdings in den Niederlanden geregt.

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