Freitag, November 15

Das Verbot für Anwälte, russische Unternehmen rechtlich zu beraten, stösst im eidgenössischen Parlament auf grossen Widerstand. Während das Gericht der EU die Sanktionsregel als zulässig ansieht, dürfte sie in der Schweiz fallen.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 hat die Europäische Union 14 Sanktionspakete gegen Russland erlassen. Es geht um Einreise- und Vermögenssperren, Finanzmassnahmen, Wirtschaftsbeschränkungen, Verbote für Dienstleistungen und vieles andere mehr. Der Bundesrat übernimmt die Sanktionen zügig und zuverlässig, in der Regel auch dann, wenn sie überschiessend sind oder Fragwürdiges enthalten. Denn wer nicht mitmacht (auch wenn er dafür gute Gründe anführt), gilt schnell einmal als Sanktionen-Saboteur.

Das zeigte sich vor ein paar Wochen, als die Landesregierung beschloss, ausnahmsweise eine der Bestimmungen des vierzehnten Sanktionspakets nicht zu übernehmen. Die betreffende Vorschrift richtet sich gegen mögliche Umgehungsgeschäfte, die ausländische Tochtergesellschaften von in Europa ansässigen Firmen begehen könnten. Der Bundesrat erachtet die EU-Vorschrift als nicht zielführend und wegen ihrer Unbestimmtheit als rechtsstaatlich problematisch. Die Linke zeigte sich empört, und auch der (scheidende) amerikanische Botschafter in Bern, Scott Miller, machte in den Tamedia-Zeitungen einmal mehr Stimmung gegen sein Gastland und erklärte der Schweiz, dass das so nicht gehe.

Selbst für schlimmste Kriminelle

Ähnlich ist die Situation beim achten EU-Sanktionspaket. Der Bundesrat hat das Paket im Herbst 2022 vollständig übernommen und in der Ukraine-Verordnung umgesetzt. Eine der Vorschriften ist allerdings seit Beginn umstritten. Es handelt sich um das Verbot, in Russland niedergelassenen Unternehmen und Organisationen Rechtsberatung anzubieten. Ein Anwalt, der das tut und einem russischen Klienten beratend zur Seite steht, macht sich strafbar.

Bei Schweizer Anwälten sorgt das Beratungsverbot für viel Kritik. Dabei geht es um lukrative Geschäftsinteressen, über die man nicht unbedingt gerne spricht, darüber hinaus aber auch um Grundsätzliches. Es könne nicht sein, dass der Zugang zum Recht und der Rechtsschutz aus politischen Gründen für bestimmte Personen eingeschränkt oder ausgeschlossen würden, lautet der Vorwurf der Anwälte.

Auch im Parlament stösst das Verbot der Rechtsberatung auf Widerstand. So hat der Ständerat im September mit 34 zu 10 Stimmen eine Motion des Walliser Mitte-Vertreters Beat Rieder gutgeheissen. Der Vorstoss verlangt vom Bundesrat, die entsprechende Vorschrift aus der Ukraine-Verordnung zu streichen. Rieder und mit ihm die Mehrheit der Ständeräte sind der Ansicht, dass ein solches Verbot wichtige rechtsstaatliche Verfassungsprinzipien verletze. Jeder habe das Recht, sich in juristischen Dingen beraten zu lassen, dies stehe selbst dem schlimmsten Kriminellen zu, so der Tenor.

Die linke Minderheit in der kleinen Kammer warnte demgegenüber vor dem politischen Signal, das die Schweiz aussenden würde, wenn sie sich von der EU-Linie absetze und einen eigenständigen Weg gehe. Auch wollte sie dem Rat vergeblich beliebt machen, das Urteil abzuwarten, welches das EU-Gericht in dieser Sache fällen werde. Anwaltskammern aus mehreren europäischen Ländern hatten beim Gericht der EU Klage gegen das Verbot der Rechtsberatung erhoben: Der Zugang zur anwaltlichen Rechtsberatung sei grundrechtlich geschützt, ein Verbot sei unverhältnismässig, so das Hauptargument der Anwaltskammern.

Bundesrat kann sich auf EU-Richter stützen

Doch die europäischen Richter sehen das anders: Sie gelangten in ihrem Urteil vom 2. Oktober zum Schluss, dass die Bestimmung rechtens sei. Tätigkeiten, die ein Anwalt im Zusammenhang mit einem Ge­richts-, Ver­wal­tungs- oder Schieds­ver­fah­ren erbringe, seien vom Verbot nicht tangiert. Lediglich Rechts­be­ra­tung, die keinen Bezug zu einem Verfahren habe, falle darunter. Laut Gericht handelt es sich um eine vertretbare Sanktionsregel, die durch das Gemeinwohl gerechtfertigt ist.

Der Bundesrat beziehungsweise Wirtschaftsminister Guy Parmelin kann sich durch das Urteil der europäischen Richter in seiner Haltung bestärkt fühlen. Parmelin hat das von der EU übernommene Verbot der Rechtsberatung stets verteidigt und sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Anwälte weiterhin russische Unternehmen in Streitfällen vor Gericht vertreten dürften. Damit bleibe der Zugang zum Schweizer Recht gewahrt. Untersagt sei einzig die ausserprozessuale Beratung russischer Firmen.

Das ergebe keinen Sinn, kontern die Gegner. Rechtsberatung und anwaltliche Vertretung vor Gerichten und Behörden seien miteinander verknüpft. Durch eine gute Information und Aufklärung des Klienten könnten Verfahren häufig gerade vermieden werden – je besser die Beratung, desto unwahrscheinlicher ein Prozess. Weiter wird argumentiert, dass die Sanktionsbestimmung Anwälte in eine schwierige Lage bringe. Da ein Verstoss er­heb­li­che Kon­se­quen­zen für die Anwälte hätte, be­stehe das Risiko, dass sie sicherheitshalber jede Ver­tre­tung rus­si­scher Un­ter­neh­men ablehnten. Damit werde die Rechtsstaatlichkeit lediglich vorgespiegelt.

Nebulöse Formulierung

In der Dezembersession wird sich der Nationalrat als Zweitrat mit der Motion Rieder befassen. Die vorberatende Rechtskommission stellt sich im Grundsatz hinter das Anliegen, wie sie vor ein paar Tagen mitteilte. Allerdings gibt es Unterschiede in der Semantik. So bevorzugt die Kommission eine restriktivere Formulierung, als sie der Ständerat gewählt hat. Sie will nicht die Rechtsberatung per se, sondern nur die «typische anwaltschaftliche Tätigkeit» zugunsten von russischen Firmen erlauben. Was das genau bedeutet und worin der Unterschied zur ständerätlichen Fassung besteht, ist nebulös.

Das Bundesgericht hat sich in der Vergangenheit schon mehrmals mit der Frage beschäftigt, was alles unter die typische anwaltliche Tätigkeit fällt. In beständiger Praxis hat es festgehalten, dass zur Anwaltstätigkeit «typischerweise nicht nur die Vertretung von Parteien vor Gericht, sondern auch die Rechtsberatung» zählt. Anders gesagt: Die beiden Bereiche gehören für das höchste Gericht zusammen – ein Anwalt vertritt seine Klienten nicht nur in Verfahren, sondern er berät sie vorgängig auch.

Dass sich Rechtsberatung und Rechtsvertretung nicht scharf voneinander trennen lassen und beides unter die «typische anwaltschaftliche Tätigkeit» fällt, weiss natürlich auch die Nationalratskommission. Es scheint, dass sie den Ball flach halten und mit einer formell abgeschwächten Formulierung die zu erwartenden negativen Reaktionen dämpfen möchte (so wurden die Ständeräte wegen ihrer Zustimmung zur Motion Rieder in Medienberichten sinngemäss als Komplizen Russlands bezeichnet). Gleichzeitig ist klar, dass die Kommission nicht gewillt ist, sich am Urteil des EU-Gerichts zu orientieren und jede beratende Anwaltstätigkeit zugunsten russischer Firmen zu verbieten. Nur so direkt sagen möchte man das offenbar nicht.

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