Donnerstag, Januar 30

Das EU-Vertragspaket sorgt für föderalistische Unruhe. Die Konferenz der Kantonsregierungen möchte die Vernehmlassung zentralisieren. Doch das wird nicht überall goutiert.

Wer sich für die «Bilateralen III» beziehungsweise für den «EU-Unterwerfungsvertrag» interessiert, dem dürfte es im Sommer nicht langweilig werden. Der Bundesrat wird voraussichtlich vor der Sommerpause die Vernehmlassung zu dem Geschäft eröffnen. Dabei geht es vorab um das Vertragspaket selbst, daneben aber auch um die Gesetzesanpassungen, die durch die Übernahme von EU-Recht notwendig werden, und um die flankierenden Massnahmen vor allem im Bereich des Lohnschutzes. Klar ist: Es handelt sich um ein ausserordentlich umfangreiches Geschäft, die Rede ist von 1400 Seiten, die in die Vernehmlassung geschickt werden. Und das während der Sommerferien.

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Der SVP gefällt dieses Vorgehen gar nicht. Es handle sich um eine «Husch-husch-Vernehmlassung», die es verunmögliche, das Vorhaben seriös zu prüfen, kritisiert sie. Das sei eine undemokratische Trickserei. In der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates stellten die Vertreter der Volkspartei den Antrag, die Frist von drei auf sechs Monate zu verlängern, fanden damit aber bei den anderen Parteien kein Gehör.

Bleibt die Frage, wie ernsthaft und intensiv sich die Kantone, die Parteien, die Verbände und andere interessierte Kreise mit dem Vertragspaket und den Gesetzesentwürfen in lediglich drei Monaten auseinandersetzen können. Das Tempo ist angesichts der Komplexität der Vorlagen und deren Masse auf jeden Fall sehr sportlich.

18 Kantone machen die Mehrheitsmeinung

Innerhalb der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) weiss man bereits, wie man vorgehen will: Die Vernehmlassung soll schlank und straff gehalten werden. So ist geplant, dass die Kantone eine einzige, gemeinsame Stellungnahme zuhanden des Bundesrats einreichen. Die Kantonsregierungen sollen ihre jeweiligen Positionen lediglich der KdK-Zentrale melden. Möglicherweise wird das KdK-Sekretariat eine Mustervorlage ausarbeiten, um ihnen die Aufgabe zu erleichtern. Die Rückmeldungen der 26 Kantonsregierungen sollen dann, so die Absicht, von der KdK-Zentrale zu einer einzigen Stellungnahme zusammengeschmiedet werden.

Gemäss den Statuten der KdK reicht es, wenn 18 Kantonsregierungen einer Stellungnahme zustimmen. Dies ist das notwendige Quorum, damit die KdK gegenüber dem Bund offiziell im Namen «der Kantonsregierungen» sprechen kann, und dieser kann sich umgekehrt auf die Meinung «der Kantone» berufen.

Wie diese Meinung zustande kommt, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Die KdK legt grössten Wert auf Vertraulichkeit. Was in ihren Plenarversammlungen genau abläuft, ist geheim. Wie es zu einem Resultat kommt, ob abgestimmt wird, welcher Regierungsrat dafür oder dagegen votiert, welche Dynamiken und Zufälle hineinspielen, welche Koalitionen sich unter den Kantonsvertretern bilden – das alles bleibt im Dunkeln. Die Vorgänge in der KdK sind, gelinde gesagt, undurchsichtig.

Bei der KdK erachtet man das skizzierte Vorgehen als unproblematisch, auch bei einem derart bedeutsamen Vorhaben wie der institutionellen Anbindung der Schweiz an die EU. Die Kantonsregierungen hätten bisher zu allen europapolitischen Vorlagen eine gemeinsame Stellungnahme über die KdK verabschiedet, sagt Generalsekretär Roland Mayer. Mayer ist ebenso wie der KdK-Präsident und Aargauer Mitte-Regierungsrat Markus Dieth ein überzeugter Unterstützer des EU-Vertragspakets. Eine gemeinsame Haltung führe dazu, dass die Kantone ihre Anliegen gegenüber dem Bund effektiver wahrnehmen könnten.

Die Kantone sind allerdings keine homogene Masse. Das Wallis dürfte beim Stromabkommen andere Interessen haben als beispielsweise der Kanton Basel-Stadt, der Grenzkanton Tessin wird die Zuwanderungsfrage anders sehen als beispielsweise Zürich oder Bern. Innerschweizer Kantone stehen einer EU-Annäherung traditionell zurückhaltender gegenüber als die europafreundliche Westschweiz.

Den Einwand, dass es unter föderalistischen Gesichtspunkten fragwürdig anmute, wenn die Gegensätze und Differenzen unter den Kantonen eingedampft würden und die Öffentlichkeit nichts darüber erfahre, lässt Mayer nicht gelten: «Die föderalen unterschiedlichen Befindlichkeiten fliessen in die Diskussionen ein, welche zwecks Verabschiedung einer gemeinsamen Haltung zu führen sind.» Das habe man auch beim institutionellen Rahmenabkommen, das 2021 gescheitert ist, so gehalten.

Tatsächlich haben die Kantone beim institutionellen Rahmenabkommen mit einer Stimme gesprochen, nämlich mit jener der KdK. Damals führte der Bundesrat aber lediglich eine Konsultation zu den strittigen Punkten durch und nicht eine ordentliche Vernehmlassung, wie sie im Sommer ansteht. Dieses Mal will der Bundesrat denn auch anders vorgehen. Wie das Aussendepartement mitteilt, sollen die einzelnen Kantonsregierungen und die KdK zur Stellungnahme eingeladen werden. «Die Kantone werden selber entscheiden, ob sie einzeln oder über die KdK ihre Rückmeldung machen.»

Widerspruch aus Schwyz und Nidwalden

Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sich die Kantonsregierungen verhalten und welche von ihnen sich dem Wunsch der KdK-Spitze nach einem geeinten Auftreten anschliessen werden. Namentlich Regierungsräte aus europakritischen Kantonen werden sich gut überlegen, ob sie es sich mit Blick auf die heimische Wählerschaft leisten können, einfach im KdK-Chor mitzusingen und auf eine abweichende Position zu verzichten.

Der Schwyzer SVP-Regierungsrat Herbert Huwiler jedenfalls kann mit der Idee, dass die Kantone beim EU-Vertragspaket mit einer Stimme sprechen sollen, nichts anfangen. Der Kanton Schwyz werde voraussichtlich eine eigene Stellungnahme abgeben und sich nicht darauf beschränken, seine Meinung allein bei der KdK einzubringen, sagt er. Derselben Meinung ist Res Schmid, Landammann von Nidwalden. Er hält es für falsch, wenn die KdK bei diesem zentralen Dossier für die Kantone spricht und die Mehrheitsmeinung vertritt. Die Stimmen der Minderheiten würden auf diese Weise untergehen. Schmid rechnet damit, dass sein Kanton eine eigene Vernehmlassungsantwort einreichen werde. Im föderalistischen System der Schweiz sei das der richtige Weg, sagt der SVP-Regierungsrat.

Anders sieht es die Zuger Regierungsrätin Silvia Thalmann-Gut, Mitglied des Leitenden Ausschusses der KdK. Zug werde voraussichtlich einzig eine Rückmeldung an die KdK geben. Die Mitte-Politikerin hält es nicht für opportun, dass abweichende Haltungen unter den Kantonen öffentlich werden. «Eine Stellungnahme der KdK hat viel mehr Gewicht als eine Stellungnahme von 26 Kantonen.» Im Zuger Regierungsrat gebe derzeit eine andere Frage zu reden: Sollen die Mitglieder bei der EU-Vorlage an das Kollegialitätsprinzip gebunden sein, oder sollen sie ihre persönliche Ansicht nach aussen tragen dürfen? «Es ist ein hochpolitisches Geschäft. Wenn jeder Regierungsrat seine Meinung äussern kann, dann entschärft das die Diskussion», sagt Thalmann-Gut.

Wie hält es die KdK mit dem Ständemehr?

Viel Zunder steckt in der Frage, wie dereinst über das EU-Vertragspaket abgestimmt wird. Soll es dem obligatorischen Referendum mit Volks- und Ständemehr unterstellt werden oder lediglich dem fakultativen Referendum mit Volksmehr? Der Bundesrat hat sich noch nicht festgelegt, wird dies aber vor der Eröffnung der Vernehmlassung tun müssen. Auch die KdK hat diesen heiklen Punkt bislang offengelassen.

Als die Vertreter der Kantonsregierungen vor einem Jahr über die Referendumsfrage diskutierten, zeigten sich tiefe Risse. Die Meinungen gingen auseinander, Schwyz scherte aus, und Nidwalden enthielt sich der Stimme, die Uneinigkeit innerhalb des Gremiums wurde publik. Das war innerhalb der KdK gar nicht gern gesehen.

Die KdK will an ihrer Plenarversammlung im März über das weitere Vorgehen in Sachen Vernehmlassung entscheiden.

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