Donnerstag, März 6

Der europäische Aktienmarkt gewinnt seit Ende Dezember an relativer Stärke, der amerikanische S&P 500 fällt zurück. Die Verschiebung der Präferenzen hat sich in der Breite durchgesetzt – der Trend könnte für längere Zeit anhalten.

Wenn ein Index wie der S&P 500, der praktisch identisch ist mit dem MSCI Nordamerika, trotz seines Gewichtes von rund 70% im MSCI Welt relativ schwach zu diesem wird, hat das etwas zu bedeuten. Und zwar muss etwas anderes, ausserhalb der USA, relativ stark geworden sein.

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Dabei befindet sich der Kursverlauf des S&P 500 immer noch innerhalb der Parameter, die für einen Aufwärtstrend gelten:

Allerdings hat das Kursmomentum abgenommen. Der Verlauf relativ zum MSCI Welt ist deutlich negativ geworden:

Auf der obigen Grafik sehen wir, wie gleich nach den Präsidentschaftswahlen in den USA Anfang November ein kräftiger Kurs-Schub im S&P 500 einsetzte, der relativ zum MSCI Welt nur bis zum 13. November anhielt.

Von der ersten roten bis zur zweiten roten vertikalen Linie ist dieser Kurssprung von rund 5% in sieben Handelstagen verbunden mit einem massiven Anstieg relativ zum MSCI Welt erkennbar.

Danach flachte sich, wie im ersten unteren Fenster sichtbar, dieser relative Trend bis zum 18. Dezember ab. Daraufhin folgte zwischen den grünen vertikalen Linien ein weiterer starker Schub relativ zum MSCI Welt bei einem Kursanstieg von 2,8%.

Seither bildet sich die relative Stärke des S&P 500 wieder zurück. Sie ist sogar deutlich unter den 50-Tage-Durchschnitt gefallen, wie im unteren Fenster dargestellt.

Ähnlich bis zum 24. Dezember 2024 der Verlauf zum DJ Stoxx Europe 600, der praktisch dem MSCI Europa entspricht:

Hier sehen wir die Zäsur nach dem 24. Dezember, auf welche für den S&P 500 eine ausgeprägtere relative Schwäche zum Stoxx 600 folgte als zum MSCI Welt, wie die erste Grafik es zeigt.

Was steht hinter diesem Wandel?

Die Gegenüberstellung dieser beiden Muster ist von hoher Relevanz für die Einschätzung der Veränderung des relativen Verlaufs von S&P 500 und Stoxx 600.

Auf der einen Seite haben wir einen Markt, der auf ein exogenes Ereignis reagiert, nämlich auf den Ausgang der Wahlen in den USA. Solche Reaktionen prägen prekäre Muster. Für ihre Fortsetzung brauchen sie den nächsten, nachrichteninduzierten Schub.

Auf der anderen Seite die scharfe Zäsur der letzten Dezember-Woche zugunsten des Stoxx 600.

Bereits am 16. Januar sah ich guten Grund, die Ausgabe des Aktien-Monitors Gesamt-Europa mit dem Satz zu eröffnen: «Die Bullen entdecken fette Wiesen in Europa.»

Was war geschehen, um einen Markt, dessen führender Index gemessen am 50-Wochen-Durchschnitt seit März 2023 relativ schwach sowohl zum MSCI Welt als auch zum S&P 500 gewesen war, plötzlich mit solchen Lorbeeren zu versehen?

Exogen: nichts! Aber die technische Verfassung des Marktes hatte sich erheblich verbessert. Darüber hatte ich ausführlich in meinem Beitrag vom 20. Februar berichtet. Die darin veröffentlichten Kennzahlen haben sich seither weiter zugunsten des europäischen Aktienmarktes, gemessen am Stoxx 600, bewegt.

Neue Kreise sehen Chancen in Europa

Muster, die entstehen, ohne dass sie auf kurstreibende Nachrichten zurückgeführt werden können, weisen darauf hin, dass sich etwas Grundsätzliches in der Mikrostruktur des Marktes verändert – und zwar, in diesem Fall, in der Weise, dass Populationen, die ihre Hausaufgaben machen, jene bislang dominierenden Akteure ablösen, die mit dem Blick in den Rückspiegel mit voller Wucht nach vorne fahren.

Solche Muster sind robust, auf solche Muster beziehe ich mich, wenn ich sage, dass es darum gehe, die Gegenwart auf den Punkt zu bringen. Denn solche Muster verflüchtigen sich selten, sehr selten, innert kurzer Zeit, ohne dass man im Marktgeschehen Hinweise auf signifikante Veränderungen erkennen kann.

Die Drehung relativer Schwäche in relative Stärke des Stoxx 600, gekoppelt mit der Information, die schon lange bekannt war, dass Europas Aktienmärkte deutlich tiefere Bewertungen aufweisen als der US-Markt, lässt die Zeit für gekommen erachten, sich vermehrt nach Europa zu orientieren.

Der Wandel findet in der Breite statt

Charts dienen dazu, die Geschichte zu erzählen, die wahr sein könnte. Da sie nur wahr sein könnte, es aber nicht sicher ist, dass sie sich auch bewahrheitet, stellt sich immer die Frage, ob es nicht auch eine andere Erzählung geben könnte, die ebenso wahr sein könnte. In diesem Fall ist die Frage durchaus berechtigt, ob der bessere Lauf der europäischen Märkte gegenüber dem US-Markt nur eine wenige Wochen anhaltende Erscheinung sein wird oder ob sich das neue Muster zu einem regelrechten Trend entwickeln wird.

Diese Frage beantwortet sich wie immer im Verlaufe der Zeit über die Veränderungsrate der wesentlichen Kennzahlen, von denen einige ich vor zwei Wochen benannt hatte.

Jedenfalls ist es nicht so, dass die relative Schwäche des S&P 500 zum MSCI Welt und die relative Schwäche zum DJ Stoxx Europe 600 alleine darauf zurückgeführt werden könnte, dass die grosskapitalisierten Halbleiterwerte in Nordamerika schwächeln und die Banken, die im Stoxx 600 ein höheres Gewicht aufweisen als amerikanische Banken im S&P 500, stark sind.

In allen Sektoren und Industrien in der MSCI-Familie holt Europa zu Nordamerika auf, und in den meisten hat Europa Nordamerika bereits überholt. Die Verschiebung der Präferenzen hat sich somit in der Breite durchgesetzt.

Das spricht für eine gewisse Nachhaltigkeit, wobei ich «gewisse Nachhaltigkeit» heute in Zusammenhang mit der Emotionalisierung der Politik und der dadurch erhöhten Wirkung politischer Entwicklungen auf die Aktienmärkte verstanden haben möchte. Krasse Verdrehungen belegter Tatsachen führen gerne zu emotionalen Gegenreaktionen. Das beste Mittel ist, wie so oft, Humor. Wie zum Beispiel enthalten in einer Feststellung von Winston Churchill über den damaligen britischen Premierminister Stanley Baldwin: «Occassionally he stumbles over the truth but hastily picks himself up as if nothing happened.»

Auch längere Phasen relativer Stärke sind für Europa möglich

Perioden relativer Stärke des Stoxx 600 zum S&P 500 hat es – man will es kaum glauben – immer wieder gegeben, wovon eine der längeren von Mai 2003 bis Juli 2007 anhielt. Es ist also alles andere als ausgeschlossen, dass Europa über eine für den Anlageerfolg relevante Phase besser abschneidet als Nordamerika.

Die Geschichte, dass die US-Wirtschaft ungleich dynamischer, innovativer und stärker sei als die europäischer Länder, greift in dieser Marktkonstellation nicht. Diese Geschichte wurde bis vor kurzem gespielt. Jetzt spielen andere Faktoren eine Rolle, darunter ziemlich sicher Bewertungen, die Aufrüstung in Europa und eine vom Präsidenten skizzierte Wirtschaftspolitik in den USA, die, wenn sie umgesetzt wird, ganz einfach nicht aufgehen kann.

Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass nicht «Feuer im Dach» in Amerika ist. Somit erübrigt sich wenigstens momentan die Sorge, dass der amerikanische Leitindex die positive Entwicklung in Europa durchkreuzen könnte.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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