Mittwoch, März 12

Können die Amerikaner einen Kampfjet aus der Ferne ausschalten? Vermutlich nicht. Aber die USA können den europäischen Armeen empfindlich schaden. Umso wichtiger sind analoge Ersatzverfahren.

Wenn ein Feuerschlag sofort erfolgen soll, dann greifen die älteren Artillerieoffiziere der Schweizer Armee auch heute noch zum herkömmlichen Sprechfunk. Denn noch immer fehlt den taktischen Funkgeräten aus den 1990er Jahren die nötige Bandbreite, um die Daten des digitalen Führungssystems zu übertragen. Bis die einzelnen Pakete übermittelt sind, dauert es oft zu lange. Auf die analogen Ersatzverfahren ist bis heute Verlass.

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Genauso funktioniert auch die ukrainische Armee: so vernetzt und digital wie möglich, aber stets mit einer Rückfallebene. Seit die Amerikaner nicht mehr alle Daten für das Raketenartilleriesystem Himars liefern, greifen die Ukrainer auf ihre eigenen Aufklärungsmittel zurück: Späher weit in der Tiefe des gegnerischen Raums, Bayraktar-Drohnen oder schlicht Google-Maps. Himars schiesst weiterhin, verliert aber an Wirkung und Präzision.

Donald Trumps Druck auf die Ukraine und die europäisch-amerikanische Entfremdung der vergangenen Wochen haben in der Schweiz Hektik ausgelöst: Bundesrat und Parlament hatten bei der Erneuerung der Luftwaffe praktisch ganz auf die Karte USA gesetzt und 2022 für insgesamt acht Milliarden 36 moderne Kampfjets des Typs F-35A beschafft, dazu das Patriot-Luftverteidigungssystem. Doch nun gibt es Zweifel, ob die Typenentscheide richtig waren.

Selbst überzeugte Verfechter des F-35 sind plötzlich nachdenklich geworden: Hätte ein europäischer Kampfjet, die Rafale oder der Eurofighter, mehr Unabhängigkeit gebracht? Viel Handlungsfreiheit gab es allerdings nicht, weil die Politik sich strenge Regeln auferlegt hatte. Nur bei einem knappen Resultat der Evaluation hätte es Raum für aussenpolitische Überlegungen gegeben.

Einsatz notfalls gegen den Willen der USA?

Beim Kampfjet war der F-35 der eindeutige Sieger. Selbst eine differenzierte Auslegeordnung der Testresultate änderte nichts: Die amerikanische Technologie schlug die Idee einer Allianz mit den Nachbarländern haushoch. Auch die Rafale, das Rückgrat der strategischen Bonsai-Autonomie Frankreichs, kam im Verhältnis von Preis und Leistung nicht annähernd an den F-35 heran.

Ein Zurück wäre mit erheblichen Risiken verbunden. Die bisherigen F/A-18 sind am Ende ihrer Lebenszeit und müssen spätestens ab 2030 ausser Dienst gestellt werden. Die ersten F-35 werden 2027 erwartet. Anzeichen für eine Verzögerung gibt es bis jetzt nicht. Zudem hat die Schweiz dem amerikanischen Verteidigungsministerium bereits eine Milliarde Franken als Anzahlung überwiesen.

Bei der Beschaffung des neuen Kampfflugzeugs argumentierte das Verteidigungsdepartement (VBS) stets damit, dass die «grösstmögliche Autonomie» ein Kriterium der Evaluation gewesen sei. Heute stellt sich jedoch die Frage, wie unabhängig die hochvernetzten Waffensysteme in einem Krieg gegen den Willen der USA tatsächlich eingesetzt werden können. Zum einen brauchen sie stabile, leistungsfähige Verbindungen, zum andern Daten und Upgrades – wie bei einem Smartphone.

Die Diskussion um die Abhängigkeit von amerikanischer Technologie läuft auch in Deutschland, wo der F-35 den Tornado als Trägerflugzeug für Atombomben ablösen soll. Weitere Nato-Staaten wie Grossbritannien, die Niederlande, Finnland oder Italien setzen ebenfalls auf den F-35, weil das Flugzeug mit seinen Sensoren praktisch alles erkennt, was am Boden, in der Luft und im elektromagnetischen Raum geschieht.

Können die Amerikaner den F-35 abstellen?

Der F-35 ist mit elektronischen Systemen vollgepackt. Das weckt die Befürchtung, dass die Amerikaner den Jet aus der Ferne steuern könnten. Oder dass das Flugzeug einen sogenannten «Kill Switch» hat, also einen virtuellen Schalter, mit dem die Amerikaner den Jet ausschalten oder unbrauchbar machen könnten.

Diese Behauptung kursiert insbesondere unter den Kritikern des Jets, seit das System auf dem Markt ist. Erst kürzlich hatte der Chef des Airbus-Konzerns – ein Konkurrent des F-35-Herstellers Lockheed Martin – gesagt, für bestimmte Missionen brauche es eine Freigabe durch die Amerikaner in Form eines Software-Tokens. Den Beweis zu erbringen, dass der F-35 keine solchen Funktionen aufweist, ist kaum möglich.

Allerdings spricht einiges dagegen, dass es einen «Kill Switch» oder eine Fernsteuerung gibt. Denn dazu braucht es einen Datenaustausch mit dem Jet, bei einer Fernsteuerung müsste die Verbindung gar permanent bestehen. Die Systeme der Kampfflugzeuge lassen sich jedoch nur eingeschränkt und unter strenger Kontrolle modifizieren. Sie sind nicht einfach mit dem Internet verbunden. Denn jede Verbindung zum Kampfjet ist ein möglicher Angriffspunkt für einen Gegner.

Die NZZ hatte vor vier Jahren, kurz vor dem Entscheid des Bundesrats zugunsten des F-35, die Verwundbarkeit der elektronischen Systeme analysiert. Dabei zeigte sich, wie ein Kampfjet für die Einsatzplanung, während des Flugs oder zur Wartung Daten mit externen Systemen austauscht und welche Abhängigkeiten bestehen.

Die Einsatzplanung zum Beispiel findet in der Schweiz auf einem Computer statt, der nicht mit dem Internet verbunden ist. Eine Manipulation ist schwierig. Abhängigkeiten bestehen aber zum Beispiel bei der Wartung. Dann werden die Flugdaten ausgewertet und teilweise mit der Herstellerfirma geteilt. Zudem erhalten auch Kampfjets System-Updates mit neuen Funktionen. Das bietet die Möglichkeit für eine Manipulation.

Während des Fluges läuft die Kommunikation mit den Schweizer Jets über den verschlüsselten Datenlink 16 der Nato. Daneben ist die Luftwaffe auf Ersatzteile angewiesen, wobei die Schweiz bei der Logistik eine Autonomie von sechs Monaten anstrebt.

Generell gilt heute für den F/A-18 wie auch künftig für den F-35: Die Flugzeuge können auch noch fliegen, wenn zum Beispiel die GPS-Navigation oder der Datenlink ausfallen. Dann arbeiten die Schweizer Kampfpiloten mit Trägheitsnavigation und Sprechfunk – notfalls unverschlüsselt –, was sie auch regelmässig trainieren.

Mit eingeschränkten Systemen sind die Einsätze aufwendiger zu fliegen und zu führen. Der Kampfjet mit seinen elektronischen Sensoren kann seine Stärken nicht voll ausspielen. Aber grundsätzlich funktionieren die Flugzeug trotzdem. Um die Waffen am Jet einzusetzen, braucht es laut Armee keinen Schlüssel.

Die USA betreiben verschlüsselte Nato-Kommunikation

Nicht nur die Schweiz ist von den USA abhängig. Das Problem betrifft die gesamte Nato und reicht weit über den F-35 hinaus. Exemplarisch für die zentrale Rolle der USA in der westlichen Verteidigung ist der Link 16, der Nato-Standard zur Datenübertragung über Funksignale.

Der Datenlink 16 ist ein System, das stark unter amerikanischer Kontrolle steht. Der verschlüsselte Betrieb wäre ohne die USA möglicherweise für alle Nato-Staaten eingeschränkt. Die Schweiz ist komplett abhängig: Ohne die USA kann der F/A-18 nicht verschlüsselt Daten zur Bodenstation schicken. Das wird auch beim F-35 so sein. Die Schlüssel für eine abhörsichere Kommunikation erhält die Luftwaffe in regelmässigen Abständen von den USA.

Neben dem F-35 stammen auch weitere Waffensysteme in europäischen Armeen von amerikanischen Herstellerfirmen. Diese stehen letztlich unter einer gewissen Kontrolle der US-Regierung. Dazu gehört etwa das Flugabwehrsystem Patriot, das in Deutschland oder der Ukraine im Einsatz steht und das die Schweiz beschaffen will. Die neuen Lenkwaffen dazu, die PAC 3, kommen von der amerikanischen Herstellerfirma Lockheed Martin.

Dass sich bei Waffensystemen Einschränkungen einprogrammieren lassen, zeigt das Beispiel der Himars-Raketenwerfer in der Ukraine. Die USA hatten diese Systeme vor der Lieferung so modifiziert, dass sie keine weitreichenden Raketen des Typs Atacms verschiessen konnten. Die Amerikaner wollten sichergehen, dass die Ukraine die Himars nicht für Angriffe auf russische Gebiete einsetzt.

Der politische Wille ist entscheidend

Die europäischen Armeen sind in vielen Bereichen stark abhängig von den USA. Wenn die US-Regierung den Einsatz amerikanischer Waffen sabotieren möchte, kann sie das tun.

Entscheidend ist deshalb die politische Haltung der amerikanischen Regierung. Sollte es zu einem Szenario kommen, in dem sich die USA gegen Europa stellten, würde das bei den hiesigen Armeen zu grossen Problemen führen. Es käme zu Engpässen bei der Munition, die Wartung von Waffensystemen wäre erschwert, und die Datenübertragung würde nicht mehr im heutigen Umfang funktionieren.

Interessant ist es, einen möglichen Bruch mit der amerikanischen Rüstungsindustrie auf der Zeitachse zu betrachten. Je länger ein Lieferstopp oder die Funktionseinschränkung dauern, desto grösser würden die Probleme der europäischen Armee. Denn für Munition oder Ersatzteilen gibt es Lagerbestände, die aber nach einigen Wochen oder Monaten aufgebraucht sind.

Gleichzeitig würden die europäischen Armeen in einem solchen extremen Szenario, in dem die USA zu einem Gegner Europas würden, rasch nach Lösungen suchen. Sie würden eigene Entwicklungen vorantreiben. Das könnte konkret bedeuten, dass die Ingenieure die Waffensysteme aus den USA so hacken würden – also auf nicht vorgesehene Weise modifizieren würden –, dass sie wieder funktionieren. Sie wären in diesem Szenario nicht mehr an vertragliche Vereinbarungen mit den amerikanischen Herstellerfirmen gebunden.

Wie kreativ ein kleines Land im Extremfall werden kann, zeigt das Beispiel Ukraine. In den vergangenen drei Jahren ist es im Rüstungsbereich zu viel Innovation gekommen. Startups und Forscher entwickeln zum Beispiel neuartige Drohnen oder unbemannte Fahrzeuge. Diese müssen keinen Nato-Standards genügen, sondern sich einzig auf dem Schlachtfeld bewähren.

Auf den F-35 übertragen bedeutet dieses Beispiel, dass die Schweizer Flugzeugmechaniker in einem extremen Szenario kreativ werden müssten. Sie könnten den Sprechfunk oder den Datenlink 16 mit einer eigenen Verschlüsselung versehen. Auch Navigationskomponenten oder gewisse Sensoren liessen sich vermutlich ersetzen.

Das Know-how dazu sollen die Spezialisten des Rüstungsbetriebs Ruag in den nächsten Jahren aufbauen. Denn es ist vorgesehen, dass die Endmontage von vier F-35 in der Schweiz geschieht. Die Beteiligten werden die Jets danach sehr gut kennen.

Die Swisscom entwickelt die neue IT-Plattform

Die Schweizer Armee ist zudem nicht überall von amerikanischer Technologie abhängig. Der frühere Verteidigungsminister Ueli Maurer hatte den Mut, den Aufbau einer souveränen IT-Plattform anzustossen – anstatt ein ausländisches Cloud-System ab Stange zu beschaffen. Das Projekt fordert die Entwickler der Swisscom und der Armee zwar regelmässig heraus, steht aber für eine zeitgemässe Form der autonomen Landesverteidigung. Wichtig ist deshalb, dereinst auch die Daten des F-35 in das System zu integrieren.

Im Krieg gibt es keine Sicherheiten. Wechselnde Bündnisse können Lieferketten unterbrechen, gegnerischer Beschuss kann die Führungseinrichtungen zerstören oder die Bewegung der eigenen Truppen einschränken. Doch heute fehlen die nötigen Reserven und Redundanzen für einen Plan B. Der Primat der Finanzpolitik hat auch bei der militärischen Planung dazu geführt, dass der Gefechtsgrundsatz der Handlungsfreiheit in den Hintergrund gerückt ist.

Die technologischen Abhängigkeiten von den USA erinnern daran, dass auch die modernsten Armeen im Extremfall auf mechanische Ausrüstung, analoge Drahtverbindungen und geometrisch-mathematische Ersatzverfahren angewiesen sind. Das Wissen zur Degradation, zum Kampf ohne Hightech, ist in der Schweiz noch vorhanden. Ein Stopp des F-35-Kaufs ist nicht nötig, aber vielleicht der parallele Rückgriff auf die Erfahrungen der Vergangenheit: Neben den Computer-Terminals und Grossbildschirmen braucht es auf den Kommandoposten auch weiterhin Karten, Packpapier und farbige Filzstifte.

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