Seit dem Sturz des Asad-Regimes verlegt Russland immer mehr Ausrüstung und Einheiten nach Libyen. Im Interview erklärt die Sicherheitsexpertin Hager Ali, warum das nordafrikanische Land trotzdem keinen Ersatz für Militärbasen in Syrien darstellt.
Jahrelang stützte Russland das Regime von Bashar al-Asad. Moskau schulte etwa syrische Soldaten im Umgang mit Drohnen und unterhielt Luftwaffen- und Marinebasen, von denen aus es seinen Einfluss auf die östliche Mittelmeerregion projizieren konnte. Doch seit dem Umsturz im Dezember ist die russische Präsenz infrage gestellt. Nach wie vor ist unklar, ob die neuen Machthaber in Damaskus Moskaus Anwesenheit in Syrien überhaupt tolerieren werden.
Frau Ali, seit dem Sturz von Bashar al-Asad hat sich die Zahl der russischen Flugzeuge, die von Syrien nach Libyen fliegen, deutlich erhöht. Warum?
Russland verlegt schon seit einiger Zeit immer mehr Truppen auf die Militärbasis al-Khadim in der Nähe von Benghasi in Ostlibyen. Seit dem Sturz von Asad fliegt mindestens einmal täglich ein russisches Flugzeug aus Syrien dorthin. Auf diesem Weg werden Waffen, Radargeräte und Ausrüstung zur Flugabwehr nach Libyen transportiert. Darüber hinaus wurden mindestens 1000 Söldner zur Al-Khadim-Militärbasis verlegt. Für die Truppenverlegung gibt es mehrere Gründe.
Welche?
Einerseits ist es unter den gegenwärtigen Umständen sehr kostspielig, die russische Präsenz in Syrien aufrechtzuerhalten, da russische Aktivitäten unmittelbar an das Asad-Regime gekoppelt waren. Nach dem Sturz von Asad ist noch nicht klar, wie sich die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zu Russland positionieren wird. Moskau muss aber schnell handeln – auch um den strategischen Rückschlag in Syrien zu begrenzen. In Libyen ist Russland sofort startklar und kann von dort aus in anderen afrikanischen Ländern mitmischen. Das macht es bereits seit mehreren Jahren. Al-Khadim ist ein wichtiger Knotenpunkt für das Afrika-Korps, das aus der paramilitärischen Truppe Wagner hervorgegangen ist und mittlerweile direkt dem russischen Verteidigungsministerium untersteht.
Ist Libyen ein Ersatz für die russischen Militärbasen in Syrien, deren Zukunft jetzt unklar ist? Oder verfolgen die Russen mit ihrer Präsenz in Libyen andere Ziele?
In Syrien hat Russland mithilfe der Wagner-Truppe das Regime von Bashar al-Asad unterstützt. In Libyen ist das nicht direkt möglich. Der Osten Libyens wird von dem Kriegsherrn Khalifa Haftar kontrolliert. Seine Regierung ist international nicht anerkannt; Haftar fehlt die politische Legitimation. Allein deswegen kann Russland in Libyen nicht das gleiche politische Gewicht erreichen wie in Syrien. In Libyen geht es Russland nicht in erster Linie darum, ein Regime zu stärken. Viel eher versucht es, die international anerkannte Regierung in Tripolis, mit der Khalifa Haftar konkurriert, zu untergraben.
Welche Interessen verfolgt Russland denn in Libyen?
Russland mischt zwar in der libyschen Politik mit, aber seine Interessen reichen darüber hinaus. Indem Moskau seine Präsenz in Libyen verstärkt, kann es eine südliche Flanke zur Nato und zur EU ausbauen, ohne mit der EU offen auf Kollisionskurs zu gehen. Über Libyen hat Russland auch Zugang zum Sudan, in dem seit 2023 Krieg herrscht, und zu den Rohstoffen im Land. Der Sudan ist ein wichtiger Absatzmarkt sowohl für russische Waffen als auch für russische Söldner. In den vergangenen Jahren hat Moskau ausserdem seine Präsenz in Westafrika und im Sahel ausgebaut. Dort unterstützt es die neuen Militärregierungen in Mali, Niger und Burkina Faso militärisch, logistisch und politisch.
Zur Person
Hager Ali
Die deutsche Politikwissenschafterin forscht am Institut für Nahost-Studien des German Institute for Global and Area Studies (Giga) in Hamburg zu aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen im Nahen Osten und in Nordafrika.
Was bietet der libysche Osten Russland?
In Libyen herrscht eine kontinuierliche Instabilität – und wo es Instabilität und kaum staatliche Infrastruktur gibt, kann man sich leicht einmischen oder fernab der internationalen Aufmerksamkeit operieren. Syrien bekommt gerade sehr viel Aufmerksamkeit; viele Menschen hoffen auf Demokratie und Entwicklung. In Libyen ist diese Hoffnung, dass es mithilfe von Wahlen eine geeinte Regierung für das ganze Land geben kann, noch in weiter Ferne. Vor allem im Süden Libyens, wo selbst unter Ghadhafi die staatlichen Strukturen nicht bis an die Landesgrenzen reichten, gibt es Möglichkeiten, beispielsweise im Schmuggel von Waffen oder Bodenschätzen aktiv zu werden und weiter in die Nachbarländer zu gelangen – zum Beispiel nach Tschad. Dort nutzen die Russen den französischen Truppenabzug, um sich noch weiter in der Region auszubreiten.
Wie profitiert Haftar von der russischen Präsenz?
Während Russland und westliche Staaten versuchen, ihre geostrategischen Interessen in Libyen auszufechten, macht Haftar sich zunutze, dass er von mehreren Seiten umgarnt wird. Er kann sich als Machthaber positionieren, der zwar nicht in offiziellen staatlichen Strukturen agiert, aber trotzdem eine
gewisse Vetomacht hat. Haftar sucht sich jeweils das beste Angebot aus. Frankreich musste seine Einheiten aus mehreren Ländern der Region abziehen und ist auch Ziel von russischen Desinformationskampagnen. Vor allem im Sahel und im frankofonen Afrika hat Russland Ressentiments gegen Frankreich geschürt und diese ausgenutzt, um die eigene Einflusssphäre zu erweitern.
Kann Europa etwas gegen den russischen Einfluss in Libyen tun?
Erst einmal sollte Europa sich bewusst machen, dass Russland immer stärker in Afrika Fuss fasst und dass dieser Vorstoss auf dem afrikanischen Kontinent viel mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hat. Es ist eine direkte Auswirkung der zunehmenden wirtschaftlichen und internationalen Isolierung Russlands und der Front zwischen der Nato und der EU und Russland. Denn über den afrikanischen Kontinent, vor allem über den Sudan und die Sahelzone, sichert sich Moskau weiterhin Zugang zu Ressourcen wie Gold, um die eigene Kriegswirtschaft zu finanzieren. Das bedeutet: Wenn die EU den Verkauf von russischem Treibstoff mit Sanktionen belegt, kann Russland stattdessen im Sudan verkaufen und die Auswirkungen europäischer Sanktionen aushebeln. Wo Krieg und Repressionen herrschen, ist der Vertrieb von Waffen immer lukrativ.