Montag, November 17

Nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien suchten über zwei Millionen Menschen Schutz in Europa. Die Chancen auf Asyl waren hoch. In den letzten Jahren nahmen die Anträge wieder zu.

Nur etwas mehr als 24 Stunden hatten sich die Menschen in Syrien über den Sturz von Langzeitdiktator Bashar al-Asad gefreut. Schon hiess es aus Berlin, Bern, London, Rom oder Stockholm, dass man die Asylverfahren von Syrern vorerst sistiere. Weitere Länder zogen im Verlauf der Woche nach.

Die Sistierung sei der unklaren Lage in Syrien geschuldet. Eine Prüfung, ob die Antragsteller tatsächlich gefährdet seien, sei derzeit nicht möglich, erklärten die Regierungen. Dies, nachdem kurz vor dem Sturz des Diktators in Italien, Deutschland und Österreich zuletzt noch Forderungen laut geworden waren, die Beziehungen zu Asad zu normalisieren, um Flüchtlinge abschieben zu können. Auch in der Schweiz liebäugelte insbesondere die SVP damit, Syrien oder zumindest Teile des Landes als sicher einzustufen. Das ist eine Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Abschiebungen.

Während europäische Politiker verschiedener Parteien nun bereits auf eine schnelle Rückkehr von Syrern in deren Heimat spekulieren, fürchten andere eine Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015.

Knapp sechs Millionen Menschen flohen seit 2011 gemäss Zahlen des UNHCR vor den Kämpfen zwischen islamistischen Rebellen und dem Asad-Regime ausser Landes. Während mehr als die Hälfte in den Nachbarländern Libanon, Jordanien und der Türkei Zuflucht fanden, zogen auf dem Höhepunkt der Krise 2015 und 2016 Hunderttausende nach Europa – ein Ereignis, das die Migrationsdebatte auf dem Kontinent bis heute prägt.

In Europa leben über zwei Millionen Syrer mit Flüchtlingsstatus. Deutschland mit etwa 800 000 und Österreich mit 113 000 Flüchtlingen haben bisher die meisten syrischen Vertriebenen aufgenommen – dies auch gemessen an ihrer Einwohnerzahl. Zum Vergleich: Die Schweiz nahm bisher rund 20 000 syrische Flüchtlinge auf. Damit liegt das Land auf Rang 16 der Länder, die weltweit am meisten Syrern Schutz geben.

Die meisten Flüchtlinge beantragen auch Asyl

Der Flüchtlingsstatus des UNHCR stützt sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und ermöglicht es, in einem Staat Asyl zu beantragen. Das haben die meisten Syrer in Europa auch getan. In den letzten elf Jahren wurden mehr als 1,7 Millionen Asylanträge von Syrern registriert.

Nachdem die Zahl der Gesuche nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 stark zurückgegangen war, steigt sie seit 2021 wieder kontinuierlich an. Bis August 2024 – noch vor dem Sturz Bashar al-Asads – stellten rund 112 000 Syrer in EU- oder Efta-Staaten ein Asylgesuch, etwa 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Syrien ist nach der Ukraine derzeit das Hauptherkunftsland für Schutzsuchende in Europa.

Zahlreiche Asylgesuche werden in den Staaten an der EU-Aussengrenze wie Griechenland, Bulgarien oder Zypern gestellt, doch viele Schutzsuchende werden dort nicht daran gehindert, in beliebtere Zielländer wie Deutschland und Österreich weiterzureisen. In Deutschland wurden allein 2023 rund 100 000 Anträge eingereicht, in Österreich waren es 20 000. In der Schweiz lag die Zahl der syrischen Gesuche 2023 mit rund 1400 sehr viel niedriger.

Die Schutzquote für Syrer sank nach 2015 zunächst

Der Anteil positiver Asylentscheide für Syrer ist jüngst wieder gestiegen: Seit dem Ende der Corona-Pandemie liegt die Schutzquote bei über 90 Prozent. 2021 war sie kurzzeitig auf unter 60 Prozent gefallen – der tiefste Wert seit Beginn der Flüchtlingskrise.

Im Jahr 2015 bekamen gar 99 Prozent der syrischen Asylsuchenden in der EU einen positiven Bescheid. Dieser Wert wurde seither nicht mehr erreicht. Eine solche Schutzquote erreichten in den letzten Jahren einzig kurzzeitig Venezolaner, die nach den Unruhen 2019 und 2023 Schutz in Europa suchten. In einer Mehrheit der Fälle warten aber selbst syrische Antragsteller mehr als sechs Monate, bis entschieden ist, ob ihnen Asyl gewährt wird.

Die wenigen tausend Syrer, die in den letzten Jahren von den europäischen Migrationsbehörden einen abschlägigen Entscheid erhielten und den Kontinent verlassen mussten, reisten kaum aus. Nur etwa ein Prozent der ausreisepflichtigen Syrer hat Europa in den letzten drei Jahren tatsächlich verlassen.

Dass jetzt Hunderttausende, die bereits Asyl in Europa erhalten haben, schnell zurückkehren, bleibt fraglich. Viele Regionen in Syrien sind zerstört und bieten Rückkehrern keine Wohngelegenheit. Das UNHCR mahnte in einem Bericht, dass die Bedingungen in Syrien «noch nicht geeignet sind, eine freiwillige Rückkehr in grossem Umfang in Sicherheit und Würde zu ermöglichen». Die Sicherheitslage ist keinesfalls stabil. Etwa 90 Prozent der Menschen in Syrien leben in Armut.

Der neue starke Mann in Damaskus, HTS-Führer Mohammed al-Julani, forderte die syrischen Flüchtlinge im Ausland derweil dazu auf, nach Hause zurückzukehren und beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. In einer ersten Euphorie strömten zwar aus den Nachbarländern Syrer zurück in die Heimat. Die Frage ist, ob sie sich längerfristig dort niederlassen.

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