Samstag, September 28

Lithium, seltene Erden und andere Rohstoffe sind essenziell für die Elektromobilität und andere Hightech-Branchen. Darum wollen sich die Europäer künftig damit selbst versorgen. Gesucht wird auch im Oberrheingraben.

Mit heissem Salzwasser, das aus den Tiefen des Oberrheingrabens sprudelt, erzeugt die Firma Vulcan Energy schon seit mehreren Jahren in der Nähe von Karlsruhe Strom für 6500 Haushalte. Künftig soll das Salzwasser aus dem Untergrund vor allem dabei helfen, deutsche und europäische Hightech- und Autohersteller mit einem wichtigen Rohstoff zu versorgen: Lithium.

Das leichte Metall wird benötigt, um Akkus und Batterien herzustellen, etwa für Elektroautos. Derzeit stammt gemäss einer Analyse von Deloitte knapp die Hälfte des in Deutschland benötigten Lithiums aus Chile, ein Viertel aus China. Mit dem Plan, Salzwasser als heimische Rohstoffquelle anzuzapfen, gehört Vulcan Energy zu einer noch kleinen, aber wachsenden Branche neuer Bergbauunternehmen, die sich auf strategisch relevante Rohstoffe spezialisieren.

Die Pilotanlage dafür hat nur eine Kapazität von bescheidenen 45 Tonnen pro Jahr. Das Unternehmen verspricht seinen Investoren und den Industriekunden, ab Ende 2026 rund 24 000 Tonnen pro Jahr verarbeiten zu können: «Dies würde für die Herstellung von Batterien für rund 500 000 Elektrofahrzeuge pro Jahr ausreichen.»

Ende April unterzeichnete Vulcan Energy ein Kooperationsabkommen mit dem Schweizer Technologiekonzern ABB. Anfang Juni gab das Unternehmen bekannt, es habe aus Australien und Deutschland weitere 40 Millionen Euro Investitionsmittel erhalten.

Bis vor kurzem war Ende 2025 als Ziel für den Einstieg in die industrielle Produktion genannt worden. Die Verzögerung zeigt: Ein Selbstläufer ist das Vorhaben nicht. Mitten im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet in die Rohstoffförderung einzusteigen, ist nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch mit aufwendigen Genehmigungsverfahren verbunden.

Brüssel unterstützt die Förderung von Rohstoffen

Um ihre Ziele zu erreichen, setzen Unternehmen wie Vulcan Energy nun auf Rückenwind aus Brüssel. Kurz vor der Europawahl am 9. Juni hat Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, den industriepolitischen Erfolg eingefahren, dass die Critical Raw Material Act (CRMA) in Kraft getreten ist.

Das Gesetz, dessen Vorgeschichte ins Jahr 2008 zurückgeht, soll sicherstellen, dass Rohstoffe, die für die «grüne Transformation» gebraucht werden, also zum Beispiel für Elektroautos, Windkraftanlagen und Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion, dauerhaft verfügbar sind. Mehr als 80 Rohstoffe sind als «strategisch wichtig» eingestuft, neben Lithium zum Beispiel Vanadium, Indium, Phosphatgestein, Kupfer und Kobalt.

In Brüssel und in vielen EU-Hauptstädten ist die Sorge gross, dass die im Green Deal vorgezeichnete Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise scheitern könnte, wenn Rohstoffe unbezahlbar sind oder schlichtweg nicht mehr geliefert werden.

«Im sich zuspitzenden geopolitischen Systemwettbewerb zeigt China als eines der wichtigsten Lieferländer, dass es bereit ist, auch im Bereich kritischer Rohstoffe Exportkontrollen durchzuführen, so zuletzt bei Gallium, Germanium und Grafit», sagt Anne Lauenroth, Rohstoffexpertin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Zugleich habe der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine demonstriert, wie problematisch Abhängigkeiten werden können. «Das macht es nötig, Förderung, Weiterverarbeitung und Wiederverwertung von kritischen Rohstoffen auszubauen», sagt Lauenroth.

Hinzu kommen noch tiefer gehende Ursachen: Bergbau war in Europa lange «out» und sehr unbeliebt. Die Industrie, sagt Antje Wittenberg von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit Sitz in Hannover, nutze Rohstoffe in allen denkbaren Anwendungen, «will beziehungsweise kann sie aber nicht kostendeckend gewinnen, aufbereiten oder veredeln». Dies sei «unter anderem der geringen Akzeptanz unserer Gesellschaft für diese Arbeiten geschuldet», also Widerständen aus der Bevölkerung gegen Bergbau.

Die Critical Raw Material Act soll dem nun wie folgt entgegenwirken:

  • 10 Prozent der benötigten kritischen Rohstoffe sollen in der EU gefördert werden.
  • 40 Prozent sollen selbst weiterverarbeitet werden, also zum Beispiel für den technischen Einsatz von Verunreinigungen befreit werden.
  • 25 Prozent sollen rezykliert werden.

Zudem soll bei keinem der kritischen Rohstoffe mehr ein einzelnes Lieferland mehr als 65 Prozent Anteil haben. Das betrifft zum Beispiel alle seltenen Erden, die fast vollständig aus China stammen, Bor mit einem Anteil von 99 Prozent aus der Türkei oder Platin, das zu fast drei Vierteln aus Südafrika stammt.

Für die geforderte «Diversifizierung» der Lieferländer wird eine grossangelegte Rohstoffdiplomatie eingesetzt: Ende Mai unterzeichnete die EU zum Beispiel ein Kooperationsabkommen mit Australien.

Es muss schneller gehen

Die Zielzahlen für mehr Rohstoffsicherheit gelten für 2030. Sechs Jahre, das ist im Rohstoffsektor mit seinen schweren Geräten und langen Vorlaufzeiten quasi übermorgen. Ein ungeheures Tempo ist erforderlich, um die Ziele zu erreichen.

Bis zum 22. August können sich Unternehmen erstmals darum bewerben, dass ihre Rohstoffvorhaben als «strategisches Projekt» anerkannt werden. Dieser Status verheisst schnellere Genehmigungsverfahren und eine leichtere Finanzierung. Wie viele andere Unternehmen strebt Vulcan Energy an, den Status zu bekommen.

Aus der Schweiz erfährt das neue Gesetz grosse Anerkennung: «Die CRMA ist ein wichtiger Schritt in Richtung grösserer Unabhängigkeit Europas in der Rohstoffversorgung», sagt Alessandra Hool, Geschäftsführerin des Entwicklungsfonds Seltene Metalle mit Sitz in Bern. Die Organisation, auch ESM Foundation genannt, beschäftigt sich schon seit 1951 mit metallischen Rohstoffen für die Schweizer Industrie.

Geht es nach ihren Machern und Unterstützern, wird die Critical Raw Material Act etwas auslösen, was es zuletzt im 19. Jahrhundert gegeben hat: einen Bergbau-Boom. Bis Mai 2025 muss jedes Mitgliedsland ein «nationales Explorationsprogramm» für kritische Rohstoffe auflegen.

Quer durch Europa werden dann Geologen ausrücken. Mit Bohrungen, Sonden an Helikoptern, Drohnen und unterstützt von Satellitenmessungen werden sie noch ungehobene Rohstoffvorkommen aufspüren. Die BGR-Expertin Wittenberg sagt, die Messtechnik habe sich deutlich verbessert, weshalb es durchaus möglich sei, bisher unbekannte und zugleich wirtschaftlich rentable Vorkommen zu finden.

In traditionellen Bergbauregionen wie dem Harz in Norddeutschland könnten zudem Abraumhalden und Abwasserbecken aus früheren Jahrzehnten zu Rohstoffquellen werden. Daniel Goldmann, Professor am Institut für Aufbereitung, Recycling und Kreislaufwirtschaftssysteme der Technischen Universität Clausthal, arbeitet daran, dass ein Konsortium in der Nähe von Goslar sogenannte Bergeteiche ausbeutet.

Bohrproben haben zu der Schätzung geführt, dass sich in den abgelagerten Rückständen unter anderem 43 Tonnen Indium, 170 Tonnen Gallium, 1200 Tonnen Kobalt und rund 1,4 Millionen Tonnen Bariumsulfat befinden. Dass solche und ähnliche Vorkommen nicht schon längst erschlossen werden, liegt auch daran, dass Länder wie China mit geringen Löhnen und Umweltstandards auf dem Markt agieren.

Die BDI-Expertin Anne Lauenroth fordert ein Umdenken weg von der reinen Effizienz, also dem Fokus auf den niedrigsten Preis, hin zur Resilienz, also der sicheren Versorgung auch in Krisenzeiten. «Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wozu wir bereit sind, um nicht länger fast ausschliesslich vom Ausland abhängig und damit anfällig für externe Schocks zu sein», sagt sie. Abnehmer und Verbraucher müssten bereit sein, «für heimisch verarbeitete Rohstoffe einen Aufpreis, eine Art Resilienzprämie, in Kauf zu nehmen.»

Wichtig sei auch, dass Bergbau in Europa mit wesentlich höheren Umweltstandards erfolge, sagt Lauenroth. Statt «im Tagebau riesige Löcher zu buddeln und Halden zu schaffen», werde es zunehmend «minimalinvasive Verfahren» geben.

Die Metalle müssen frei von Fremdstoffen sein

Mit einer Rückkehr zum Bergbau werden die Probleme aber nur teilweise gelöst. Ein unerlässlicher Schritt, damit Metalle in Elektroautos oder den Magneten von Windrädern zum Einsatz kommen können, ist, sie hochrein zu machen, also die letzten Spuren von Fremdstoffen zu beseitigen. Für diese sogenannte Aufreinigung sind eigene Anlagen nötig. «Diese kritische Nische haben wir freigelassen, und China ist zu einem Zeitpunkt, wo es noch nicht wirtschaftlich war, mit strategischem Weitblick hineingesprungen», kritisiert Antje Wittenberg von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

Für seltene Erden gibt es zum Beispiel nur eine einzige geeignete Anlage in Estland. Anne Lauenroth vom BDI hält es für «eine Herkulesaufgabe», die Aufreinigung zu reaktivieren oder neu aufzubauen. Firmen sollten sich dabei zu Abnehmergemeinschaften zusammentun, damit sich entsprechende Investitionen lohnten.

Für den dritten Schritt der grossen europäischen Rohstoffinitiative, das Recycling, sind ebenfalls neue Anlagen nötig. Für Lithium-Ionen-Batterien kommt deren Bau nun in Gang, bei vielen anderen Stoffen fehlen noch entsprechende Verfahren. Das bedeutet, dass wertvolle Rohstoffe in riesigem Massstab im Müll landen. Zudem entsorgen Firmen als «kritisch» eingestufte Rohstoffe – etwa Zink, Phosphor und Nickel – noch immer in grossem Stil im Abwasser. Bis 2030 quer durch alle Sektoren zu einem Recyclinganteil von 25 Prozent zu gelangen, ist das wohl anspruchsvollste Ziel der CRMA.

NZZ Planet A

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Trotz den vielen offenen Fragen attestiert die Schweizer Rohstoffexpertin Alessandra Hool dem neuen EU-Gesetz eine «starke Signalwirkung». Erstmals werde eine «unmittelbare Verbindung» von den Rohstoffen zu den strategischen Bereichen Dekarbonisierung, Digitalisierung, Verteidigung und Raumfahrt offiziell verankert. In der Schweiz, kritisiert sie, gebe es noch keine entsprechende Strategie.

Führend sei die Schweiz nur in der Verarbeitung und dem Recycling von Gold, wobei es um kleine Mengen mit einem stabil hohen Wert gehe, sagt Hool. Bei weniger teuren oder volatileren Rohstoffen befinde sich die Schweizer Industrie dagegen in einer doppelten Abhängigkeit: von EU-Staaten, aus denen man Halbfabrikate importiere, und von deren Lieferländern. Für den Wirtschaftsstandort Schweiz sei es daher wichtig, von Lieferabkommen bis zum Recycling ebenfalls vorzusorgen.

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