Dienstag, Oktober 1

Die französischen Grossbanken stehen unter massivem Druck aufgrund des Rechtsrutsches, der bei den Neuwahlen erwartet wird. Gleichzeitig wirken die fundamentalen Treiber für Bankaktien im übrigen Europa höchst vorteilhaft. Eine Einordnung.

Europäische Bankaktien haben einen enormen Lauf. In den vier Jahren seit der Erholung vom Pandemieschock haben sich ihre Kurse in Summe verdoppelt und damit den breiten Markt um 60 Prozentpunkte überflügelt.

Doch jüngst – am 17. Mai hat der Stoxx Europe 600 Banks den bisherigen Höchststand markiert – folgte ein jäher Rücksetzer um fast 10%. Grund sind die französischen Banken: Crédit Agricole, Société Générale und BNP Paribas. Alle drei Titel sind seither um 18% eingeknickt.

Auslöser dafür waren die Europawahlen. Es hatte sich abgezeichnet, dass das Rassemblement National (RN) beim Urnengang als Sieger hervorgehen und Renaissance, die Partei von Präsident Emmanuel Macron, am 9. Juni eine Niederlage würde eingestehen müssen. Am darauffolgenden Wochenende – das RN hatte doppelt so viele Stimmen erhalten wie die Renaissance – hat Macron das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angekündigt. Sie werden in zwei Wahlgängen bis zum 7. Juli stattfinden.

Das schürt nun die Angst, dass Marine Le Pen an die Macht kommen und das französische Haushaltsdefizit mit ihrer nationalistischen Politik noch mehr ausweiten wird. Das RN fährt fiskalpolitisch ein überaus populistisches Programm, verspricht unter anderem eine Senkung des Rentenalters, Subventionen für Treibstoffe, Steuersenkungen und diverse andere Geschenke für die breite Bevölkerung.

Das bleibt an den Kapitalmärkten nicht folgenlos: Die Rendite zehnjähriger französischer Staatsanleihen hat sich seither deutlich ausgeweitet. Die Zinsdifferenz (Spread) zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit hat sich um 30 Basispunkte vergrössert und erreichte das höchste Niveau seit 2017, als Le Pen letztmals vor einem Kräftemessen mit Macron stand. Entsprechend an Wert eingebüsst haben die französischen OAT (Obligations assimilables du Trésor).

Das Problem dabei ist: Die französischen Banken halten auf ihren Bilanzen OAT im Umfang von rund einem Drittel ihres Eigenkapitals. Verlieren die Papiere an Wert, nagt das an der Widerstandskraft der Institute. Zwar fliessen Wertschwankungen solcher Papiere lediglich als unrealisierte Verluste in die Bilanz ein. Dennoch leidet das Vertrauen in die Banken darunter.

Dieser Mechanismus hat sich vor rund einem Jahr eindrücklich bei den US-Regionalbanken gezeigt und zum Untergang der kalifornischen Silicon Valley Bank geführt. Da Banken eng miteinander verwoben sind, strahlen solche Ereignisse immer auch auf das gesamte Finanzsystem aus.

Kein Flächenbrand

Es gibt jedoch einen bedeutenden Unterschied zwischen dem, was im Frühling 2023 die US-Banken erschüttert hatte, und dem, was derzeit mit Ursprung in Frankreich den europäischen Instituten droht.

Gemäss der Bank of America haben sich die unrealisierten Verluste bei den US-Banken damals im Schnitt auf fast 30% des Eigenkapitals (Tier 1) summiert, bei europäischen Banken hingegen sind es lediglich rund 5%.

Gleichwohl könnte der Druck auf europäische Bankaktien und insbesondere die französischen Institute noch nicht überstanden sein. Die Analysten von Citi stellen zwar fest, dass das bis vor kurzem grosse Übergewicht von 5 Prozentpunkten (Pp), das institutionelle Anleger auf europäische Bankaktien fuhren, sich im Juni rasant auf gegen 1 Pp verringert hat. Doch während der Krise der US-Regionalbanken war die Positionierung von 5 auf bis zu 2 Pp in den negativen Bereich gesunken, bevor erneut eine Trendumkehr einsetzte.

Zudem geben die Analysten zu bedenken, dass französische Bankaktien in Zeiten sich ausweitender Spreads in der Vergangenheit im Schnitt Kursverluste von mehr als 30% erlitten. Auch hier steht die aktuelle Marke von 18% also möglicherweise lediglich bei gut der Hälfte des Wegs.

Gemäss den Finanzspezialisten von KBW hat die bisherige Spread-Ausweitung jedoch noch keinen Einfluss auf das Gewinnpotenzial sowie die Kapitalausstattung der französischen Banken. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen sie den Kursrücksetzer primär als Folge vorsichtig gewordener Investoren. Diese bereiten sich auf den Fall vor, dass sich die Spreads weiter erhöhen, was tatsächlich zu bedeutenden Verlusten für die französischen Banken führen könnte.

Fundamental starke Ausgangslage

Bei all diesen Risiken muss aber auch vergegenwärtigt werden, warum institutionelle Investoren bis vor kurzem mit historisch fast maximalem Übergewicht auf europäische Banktitel gesetzt haben: Grundsätzlich sind alle positiven Treiber für die Banken weiterhin in Kraft – und europäische Bankvaloren sind auch das vierte Jahr in Folge immer noch auf Kurs, den breiten Markt zu übertreffen, trotz jüngstem Rücksetzer.

Banken überraschen wieder positiv

Nach Jahren der Enttäuschung hatte Ende 2020 die Trendwende eingesetzt. In der Dekade zuvor hatten die Analysten ihre Gewinnschätzungen in jedem Jahresverlauf aufs Neue nach unten anpassen müssen. Doch mit Blick auf 2022 – und alle seither folgenden Perioden – konnten die Aussichten nun stets über die ursprüngliche Erwartung hinaus nach oben revidiert werden.

Im Vierjahresvergleich hat sich so die Gewinnerwartung an die europäischen Banken verdreifacht – während sich der Kurs lediglich verdoppelt hat.

Die Folge davon ist, dass die Bewertung gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) trotz der beeindruckenden Kursavancen auf einen Tiefstand gesunken ist.

Höhere Zinsen geben Schub

Der Hauptgrund für die positive Gewinnentwicklung der Banken ist das Zinsniveau. Die steigenden Zinsen haben dem Sektor und seinem wichtigsten Ertragspfeiler wuchtig Schub verliehen.

Mit dem Erreichen des Zinshöchst hat das Momentum im zweiten Halbjahr 2023 zwar nachgelassen, aber das höhere Zinsniveau bringt noch immer Wachstum. Der wider Erwarten langsamere Gang der Notenbanken bei den Zinssenkungen dürfte dafür sorgen, dass die europäischen Banken zudem länger als bisher erwartet von einer normalisierten Zinsumgebung profitieren.

Eigenkapitalrenditen von mehr als 10%

Das höhere Gewinnniveau hat die Eigenkapitalrendite der europäischen Banken in die Höhe schnellen lassen. Während sie in der Tiefzinsphase nur selten 5% erreicht hatte, erklommen die Institute 2023 im Schnitt ein Niveau von 12% – und die Analysten erwarten auch für die folgenden Jahre zweistellige Eigenkapitalrenditen.

Doch die Grafik zeigt auch: Die Eigenkapitalrendite hat zwar abgehoben, das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) aber reagiert kaum. Üblicherweise korreliert dieses Bewertungsmass eng mit der erwarteten Rendite.

Der derzeitige Bewertungsschnitt der europäischen Banken zu 0,7 Buchwert (in der Grafik oben aus Darstellungsgründen um den Faktor 10 erhöht abgebildet) ist im historischen Vergleich ausserordentlich günstig – ebenso, wie das bereits die Bewertung anhand des KGV gezeigt hat.

Wie stark die Korrelation von Rendite und Bewertung in der Regel ist, zeigt auch Vergleich der einzelnen Banken miteinander.

Die nordischen Banken Nordea, SEB, Swedbank und DNB bieten eine Eigenkapitalrendite von 15% und mehr, und ihre Aktien notieren alle zu einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von über 1. Am Ende der Bewertungsskala finden sich Société Générale und die Deutsche Bank. Sie erreichen weniger als 6% Eigenkapitalrendite und werden dafür mit einem KBV unter 0,5 bestraft.

Grundsätzlich zeigt die Grafik: Banken mit hoher Eigenkapitalrendite handeln zu einem höheren KBV als solche mit schlechteren Rentabilitätsperspektiven. Die Ausnahme ist UBS. Sie liegt weit oberhalb der Trendlinie, was auf den ersten Blick eine klare Überbewertung andeutet. Der Zusammenschluss mit Credit Suisse hält ihre Eigenkapitalrendite derzeit unter den Werten aller Konkurrenten. Doch angesichts der positiven Aussicht für die Jahre nach der Integration bewertet die Börse die Titel von UBS dennoch auf Höhe der renditestärksten Banken.

Kapitalpolster verdoppelt

Besonders bemerkenswert ist der Anstieg der europäischen Banken, wenn man ihre deutlich verbesserte Kapitalausstattung mitberücksichtigt. Im Mittel halten sie inzwischen doppelt so viel Eigenkapital wie vor der Finanzkrise.

Die gestärkte Widerstandskraft der Banken spricht eigentlich auch dafür, dass die Aktien Raum für eine höhere Bewertung bieten. Dazu kommt, dass der Kapitalaufbau für viele Institute weitgehend beendet sein dürfte. Die Milliarden an Gewinn, die zuvor in die Stärkung des Eigenkapitals geflossen waren, werden künftig frei für Ausschüttungen an die Aktionäre.

Ausschüttung springen an

Nachdem Europa im ersten Pandemiejahr ihren Banken verboten hatte, Ausschüttungen vorzunehmen, steigen sie seither rasant und haben im vergangenen Jahr eine Dividendenrendite von im Schnitt 7% gebracht. Die Analysten erwarten, dass das Ausschüttungspotenzial weiter zunimmt und mit Blick auf 2026 gar eine noch höhere Rendite möglich wird.

Auf der Ebene von Einzelaktien gehen die Analysten im Konsens davon aus, dass die grösste italienische Bank, Intesa Sanpaolo, 2025 eine Dividendenrendite von mehr als 10% abwerfen wird. Am tiefsten ist die Renditeschätzung für die Schweizer Grossbank UBS, der kaum 3% Rendite zugetraut werden.

10% Ausschüttungsrendite

Dividenden sind aber nicht die einzige Möglichkeit, Gewinn an die Aktionäre zurückzuführen. Eine wichtige Rolle spielen gerade bei Banken auch Aktienrückkaufprogramme – beispielsweise bei UBS.

Bloomberg schätzt, dass die europäischen Institute insgesamt auf so viel Eigenkapital sitzen, dass es ihre hauseigenen Ziele um 68 Mrd. € übersteigt. Schätzungen der Nachrichtenagentur gehen davon aus, dass im laufenden Jahr die Summe von 43 Mrd. €, für die europäische Banken 2023 eigene Aktien zurückgekauft haben, noch überboten werden dürfte. Angekündigt sind bislang Rückkaufprogramme über 32 Mrd. €, und gemäss Bloomberg sollen mit den Präsentationen der Zweitquartalszahlen weitere Aktienrückkäufe lanciert werden.

Die Analysten der Deutschen Bank erwarten, dass zu den rund 45% des Gewinns, die in den nächsten Jahren als Dividende ausgeschüttet werden, zusätzlich gegen 30% in Form von Aktienrückkäufen an die Investoren fliessen werden. Zur erwarteten Dividendenrendite von im Schnitt 7% gesellt sich so eine zusätzliche Kapitalrückführung von 4%. Das bringt die jährliche Ausschüttungsrendite der europäischen Banken insgesamt in den zweistelligen Prozentbereich.

Was kann schieflaufen?

Mit der noch immer ausstehenden Finalisierung der Bankenregulierung Basel 3 werden die Kapitalanforderungen an die Banken nochmals leicht steigen. Da es in den USA bei der Umsetzung der verschärften Regeln aber zu Verzögerungen kommt, erwägt die Europäische Kommission mit Blick auf die Konkurrenzsituation nun jedoch, die ursprünglich auf Anfang 2025 geplante Einführung der neuen Regeln um ein Jahr hinauszuzögern. Unmittelbar droht folglich kein Engpass für geplante Ausschüttungen.

Unsicherheit strahlt hingegen das Lending Survey der Europäischen Zentralbank aus. Nach zuvor starken Expansionsraten ist seit Herbst das Volumen der Kreditvergabe rückläufig. Das höhere Zinsniveau hat Fremdkapital verteuert und die Wirtschaft insgesamt abgekühlt. Das trifft immer auch den wichtigsten Ertragspfeiler der Banken: das Zinsgeschäft. Jüngst hat sich das Kreditgeschäft allerdings stabilisiert, was freilich aber offenlässt, in welche Richtung es weitergehen wird.

Grosses Potenzial – gestiegenes Risiko

Angesichts der neuen Robustheit der europäischen Finanzhäuser, der wieder positiven Zinsen, der historisch tiefen Bewertungen und der rekordhohen Ausschüttungsrenditen spricht grundsätzlich viel für einen weiterhin guten Lauf der europäischen Bankaktien.

Der kommende Monat – zumindest bis am 7. Juli die Wahlen in Frankreich beendet sind – lässt jedoch auch grosse Nervosität erwarten. Das gilt besonders für französische Bankaktien. Da die Finanzinstitute alle stark miteinander verwoben sind, kann die Unsicherheit über den künftigen Kurs Frankreichs sich aber auch auf das gesamte europäische Finanzsystem auswirken.

Bereits jetzt uneingeschränkt auf europäische Banktitel zu setzen, ist angesichts dieser Risikofaktoren nicht empfehlenswert. Man verpasst mit Zuwarten zwar allenfalls einen Teil des Erholungspotenzials, schützt sich dafür aber vor der Gefahr weiterer Rückschläge.

Sollte sich der Staub um die französischen Wahlen aber legen, steht aus heutiger Sicht der Perspektive kaum etwas im Weg, dass die Aktien der europäischen Banken den breiten Markt auch im vierten Jahr ihrer Rally übertreffen.

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