Die europäische Assekuranz ist in sehr guter Verfassung. Die Kapitalunterlegung ihrer Versicherungsverpflichtungen ist auf einem Höchststand. Das verspricht Stabilität und schafft Raum für hohe und steigende Ausschüttungen.

Sie gelten als langweilig und kompliziert: Versicherungsaktien und das Geschäft der Branche. Doch die Zeitenwende bei den Zinsen hat nicht nur Bankaktien beflügelt, sondern auch Versicherungsaktien abheben lassen.

Im Dreijahresvergleich haben die im Stoxx Europe 600 Insurance enthaltenen Aktien von 32 europäischen Versicherern im Schnitt mehr als 25% zugelegt. Das ist zwar nicht ganz so fulminant wie die Avancen europäischer Bankaktien, aber immerhin eine doppelt so gute Performance, wie der breite europäische Markt in dieser Zeit erreicht hat.

Dass die Aktien von Banken im bisherigen Verlauf von 2024 besonders starken Zug entwickelt haben, liegt mitunter daran, dass die Zinsen kaum so schnell sinken werden, wie das zu Jahresbeginn erwartet worden war. Dass Versicherungsaktien nicht ganz so freundlich auf diese Entwicklung reagieren, erklärt sich damit, dass die ihr Geschäft etwas weniger unmittelbar auf Veränderungen im Zinsumfeld reagiert als das der Banken. Länger auf erhöhtem Niveau verharrende Zinsen sind aber auch hilfreich für das Gewinnpotenzial der Versicherer.

Starker Versicherungszyklus

Nicht nur das Umfeld am Kapitalmarkt ist derzeit förderlich für den Sektor. Auch das Versicherungsgeschäft durchläuft einen starken Zyklus: «Seit Ende 2017 konnten die Versicherer weltweit in der Sachversicherung für Unternehmen jedes Jahr die Preise erhöhen», sagt Simon Fössmeier, Versicherungsanalyst von Vontobel.

Ende 2022 hatte zudem der Hurricane Ian, der in Florida auf Land traf, die Versicherer fast 60 Mrd. $ an Schadenzahlungen gekostet. Als einzelnes Grossereignis verursachte er in jenem Jahr rund die Hälfte des kompletten weltweit versicherten Schadenvolumens im Bereich Naturkatastrophen.

«Angesichts der Tragweite dieses Einzelereignisses haben sich viele Versicherer aus dem Markt für Versicherungen von Katastrophen zurückgezogen», sagt Fössmeier. Davon würden seither die grossen Rückversicherer profitieren – beispielsweise Münchener Rück, Hannover Re oder Swiss Re –, die mit solchen Grossereignissen umgehen können, und nun höhere Prämien durchsetzen.

Das Momentum der Preissteigerungen hat bei den Erstversicherern inzwischen etwas nachgelassen. Doch es liegt gemäss den Analysten von Barclays in der gesamten westlichen Welt weiterhin über der Inflation. Bei den Rückversicherern bringen die Erneuerungsrunden gar weiterhin kräftige Preissteigerungen – gemäss Swiss Re in den letzten Jahren hauptsächlich getrieben durch die Rückversicherung von Naturkatastrophen.

Bilanz verdient mit

Das weiterhin erhöhte Zinsniveau hilft den Versicherern zudem, die neu eingenommenen Prämien zu attraktiven Renditen anzulegen. Sie verfügen über milliardenschwere Investitionsportfolien, über die sie die Prämiengelder auf dem Kapitalmarkt anlegen, bis sie in einem Schadenfall gebraucht werden.

Bei der Zurich Versicherung beispielsweise – sie ist global aufgestellt und legt in diversen Währungen an – hat sich dank dem Zinsanstieg die Rendite auf Neuanlagen von 2021 bis ins Jahr 2023 auf 5% mehr als verdoppelt.

Pro Jahr werden durchschnittlich jedoch nur rund 5% der Anlagen in einem Versicherungsportfolio erneuert. Deshalb hat sich die Rendite auf dem Gesamtportfolio der Zurich von 2021 bis 2023 lediglich von 2,5% auf 3,5% ausgeweitet. Angesichts ihres Anlageportfolios im Umfang von gut 170 Mrd. $ besteht andererseits aber noch deutlich weiteres Potenzial, wenn Neuanlagen noch länger zu attraktiven Zinskonditionen abgeschlossen werden können.

Eigenkapital hat gelitten

Der Zinsanstieg hat aber nicht nur positive Effekte für die Assekuranz. Er hat 2022 und im Jahr darauf zusammen mit der Umstellung der Branche auf den neuen Rechnungslegungsstandard IFRS 17, die zusätzlich belastete, deutliche Spuren im Eigenkapital hinterlassen.

Nachdem sinkende Zinsen im Jahrzehnt davor für Milliarden an unrealisierten Gewinnen auf den Anlageportfolios der Versicherer gesorgt hatten (was ihr Eigenkapital aufgebläht hatte), brachte die Zinswende 2022 den gegenteiligen Effekt: Aus Bewertungsgewinnen wurden Verluste, die das Eigenkapital massiv schrumpfen liessen.

Im ersten Quartal dieses Jahres jedoch zeigte sich wieder eine Stabilisierung, genau genommen sogar ein leichter Aufbau in den Eigenmitteln der europäischen Versicherer.

Kongruenz von Aktiven und Passiven

Die milliardenschweren Anlageportfolios der Versicherer sind allerdings kein Selbstzweck. Wie eingangs erwähnt, sind sie das Resultat der eingenommenen Prämien, die investiert werden, bis eine Versicherungsleistung fällig wird.

Versicherer sind deshalb darauf bedacht, die Struktur ihres Anlageportfolios mit denen der Verpflichtungen möglichst in Einklang zu bringen: bezüglich Laufzeiten, Währungen und Renditeziel. Entsprechend leiden bei steigenden Zinsen nicht nur die Aktiven der Versicherer, sondern parallel dazu sinkt auch der Gegenwartswert ihrer künftigen Verpflichtungen.

Weil die Verpflichtungen der Versicherer tendenziell etwas längere Laufzeiten aufweisen als ihre Anlagen – bei Lebensversicherungen kann die Laufzeit mehrere Jahrzehnte betragen –, wirkt der Bewertungseffekt auf die Verpflichtungen etwas ausgeprägter als bei den Investments.

Die nicht gänzlich kongruenten Laufzeiten von Anlagen und Verpflichtungen haben dadurch sogar einen positiven Effekt auf das sogenannte ökonomische Kapital: Die Aktiven sinken zwar, doch noch stärker sinkt der Bilanzwert der Verpflichtungen. Obwohl die eigenen Mittel absolut gesunken sind, stärkt diese Divergenz den prozentualen Anteil des Eigenkapitals im Verhältnis zu den Gesamtverpflichtungen.

Diese Entwicklung drückt sich vorteilhaft in den regulatorischen Kapitalquoten der Versicherer aus, die auf dieser Basis errechnet werden: In Europa ist das die Kennzahl Solvency II, in der Schweiz gilt der Swiss Solvency Test (SST).

Diese Auswahl an grösseren europäischen Versicherungswerten zeigt, dass die Solvenzquote trotz geringerem Eigenkapital mehrheitlich nicht gesunken, sondern in der Tendenz gestiegen ist. Zu den wenigen Ausnahmen zählen mitunter Swiss Life und der britische Lebensversicherer Prudential. Ihre Quoten sind gesunken.

Der Grund liegt in den regulatorischen Modellen. Die teilweise über viele Jahrzehnte laufenden Verpflichtungen der Lebensversicherer sind zeitlich begrenzt. Der derzeitige Druck auf das Eigenkapital wird dadurch zwar vollständig erfasst, die Reduktion auf Seite der Verpflichtungen aber nur teilweise.

Dennoch: Die Kapitalausstattung der europäischen Versicherer im Verhältnis zu ihren künftigen Verpflichtungen befindet sich derzeit auf einem Allzeithoch, wie die Analysten von Barclays schreiben. Bank of America stellt den europäischen Versicherern zudem bezüglich ihrer Anlageportfolien eine gute Note aus. Die Kapitalallokation der hiesigen Anbieter stufen sie als viel risikoärmer ein als die der US-Konkurrenz.

Bewertung erscheint fair

Die Qualität der Aktien im Sektor ist damit hoch, und trotz der kräftigen Kursavancen ist keine Überbewertung ersichtlich. Die Kursentwicklung folgt lediglich den Schätzungen der Analysten, die ihre Gewinnerwartungen für die europäischen Versicherer in den vergangenen Jahren deutlich angehoben haben.

Eine Bewertungsexpansion ist damit nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Der Kurs im Verhältnis zum erwarteten Gewinn pendelt seit einem Jahrzehnt um 11.

Der neue Rechnungslegungsstandard IFRS 17 hat zwar zu vielen Veränderungen geführt, was historische Vergleiche zur Bewertung erschwert. Mit Blick nach vorne versprechen die Neuerungen allerdings eine gewisse Glättung der Resultate, was über die Zeit eine Bewertungsexpansion ermöglichen könnte.

Im Schnitt mehr als 5% Dividendenrendite

Was aber vor allem für ein Engagement im Sektor spricht, sind die meist überdurchschnittlich hohen Dividenden, die Versicherer ausschütten.

Im Schnitt bieten die europäischen Versicherer aktuell 5,5% Dividendenrendite. Das sind 2 Prozentpunkte mehr als der breite europäische Aktienmarkt abwirft, und die Dividenden fliessen angesichts der starken Bilanzrelationen der Versicherer sehr verlässlich.

Auf dieses Merkmal fokussieren viele Konzerne derzeit auch ihre Anlagestory: Allianz hat die Dividende im Frühjahr um 20% erhöht und das Ziel für die Ausschüttungsquote von 50 auf 60% des Gewinns angehoben. Zudem läuft ein Aktienrückkaufprogramm im Umfang von 1 Mrd. €.

Axa hat die Dividende zuletzt um 16% gesteigert und das Ausschüttungsziel von 60 auf 75% des Gewinns erhöht, inklusive der Kapitalrückführung via Aktienrückkäufe. Angekündigt ist derzeit ein Programm im Umfang von 1,6 Mrd. €.

Mit Erhöhungen um 10 respektive 8% stiegen die Dividendenzahlungen von Zurich Insurance und Generali etwas weniger rasant. Doch beide bieten ebenfalls Aktienrückkäufe: Generali 500 Mio. €, Zurich 1,1 Mrd. Fr. Das sind alles Signale der Zuversicht, die aus dem Inneren des Sektors kommen.

Eine Auswahl der grösseren europäischen Versicherungsaktien zeigt, dass Investoren derzeit mit Dividendenrenditen zwischen 3 (Hannover Re) und fast 10% (Phoenix Group) rechnen können.

Wo investieren?

Angesichts der sehr starken Erneuerungsrunden mit deutlichen Preiserhöhungen stechen bei der Performance von Einzelaktien derzeit besonders die Rückversicherer hervor. Die im Zug der Kursavancen der letzten beiden Jahre bei der Münchener Rück sowie der Hannover Re auf unter 3,5% gefallene Dividendenrendite ist aber auch ein Hinweis darauf, dass das weitere Kurspotenzial zumindest kurzfristig beschränkt bleiben könnte.

Den Aktien von Swiss Re hingegen darf angesichts der Dividendenrendite von 5,5% zugetraut werden, dass der Kurs noch weiter anziehen kann – auch wenn hier derzeit ein CEO-Wechsel für gewisse Unsicherheit sorgt.

Mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 100 Mrd. € ist die deutsche Allianz das Schwergewicht im europäischen Versicherungsbereich. Eine derzeit leicht unterdurchschnittliche Bewertung lässt hier Raum für weitere Kursgewinne.

Angesicht der im Sektor weitum hohen Qualität ist es aber nicht zwingend, Einzelaktien auszuwählen. Empfehlenswert ist, die europäischen Versicherungsaktien insgesamt über kostengünstige ETF abzudecken.

Eine Möglichkeit dafür bietet BlackRock mit dem iShares STOXX Europe 600 Insurance UCITS ETF mit einer Gesamtkostenquote von 0,46%. Er wird unter der ISIN DE000A0H08K7 in Euro sowohl an der Schweizer Börse SIX als auch an der deutschen Börse Xetra gehandelt.

Exit mobile version