In einem wirtschaftlich und geopolitisch angespannten Umfeld rücken europäische Versorger in den Fokus von Investoren. Sie bieten nicht nur Stabilität und verlässliche Dividenden, sondern auch neues Wachstumspotenzial.

Die Wachstumsperspektiven der Weltwirtschaft sind 2025 durch mehrere Faktoren belastet: die protektionistische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump, erste Schwächeanzeichen der US-Konjunktur sowie geopolitische Spannungen. In diesem Umfeld rücken Unternehmen in den Fokus, die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen widerstandsfähig begegnen.

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Europäische Versorger haben sich dabei als defensives Bollwerk erwiesen: Der Stoxx Europe 600 Utilities liegt seit Jahresbeginn rund 11% im Plus, während der breite Markt nahezu stagniert. Aktien wie Eon und Italgas legten über 30% zu. Auch auf Zehnjahressicht haben Versorger den Gesamtmarkt wieder übertroffen.

Institutionelle Investoren setzen zunehmend auf diese Stabilität: Laut der jüngsten Fondsmanager-Umfrage der Bank of America erreicht die Netto-Übergewichtung mit 10% den höchsten Stand seit Dezember 2008.

Die Gründe liegen auf der Hand: Energie ist das Rückgrat von Wirtschaft, Gesellschaft und technologischem Fortschritt. Der Strombedarf ist weitgehend konjunkturunabhängig, planbar und sorgt für stabile Cashflows. Versorger profitieren von einem ökonomischen Burggraben – getragen durch hohe Markteintrittsbarrieren, kapitalintensive Netzinfrastruktur, regulatorische Monopolstellungen, langfristige Verträge und Skaleneffekte.

Trotz der Kursgewinne bleiben europäische Versorger im historischen Vergleich attraktiv bewertet: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Konsensschätzungen für die nächsten zwölf Monate liegt unter dem Zehnjahresmittel.

Trotz Preisdruck: Produzenten mit robustem Geschäftsmodell überzeugen

Versorger punkten mit stabilen, hohen Dividenden – getragen von kontinuierlichen Cashflows und planbaren Investitionen. Regulierter Ertrag und zwar langsames, aber verlässliches Wachstum schaffen zusätzlichen Spielraum für Ausschüttungen. Gerade in unsicheren Marktphasen ist das für einkommensorientierte Investoren ein zentrales Argument.

In Europa lassen sich vier Geschäftsmodelle unterscheiden: reine Stromproduzenten, Netzbetreiber, Entwickler erneuerbarer Energien und integrierte Versorger.

Produzenten wie Fortum oder BKW profitierten in den Jahren 2022 und 2023 stark von den durch den Angriff Russlands auf die Ukraine kriegsbedingt hohen Strompreisen. Inzwischen normalisieren sich die die Strompreise und damit auch die Gewinne.

Hauptursache ist der deutliche Rückgang der Gaspreise, bedingt durch die entspannte Versorgungslage. Gas bleibt der zentrale Preisanker im europäischen Strommarkt, da Gaskraftwerke häufig als letzte Anbieter die Preisbildung gemäss dem Merit-Order-Prinzip bestimmen.

Der Strompreis bleibt tendenziell unter Druck, selbst bei wachsender Nachfrage. Laut Norbert Rücker, Rohstoffstratege bei der Bank Julius Bär, dürften die Gaspreise weiter sinken: getrieben von stagnierender Nachfrage (Energiewende, Konjunktur) und steigendem Angebot (LNG-Ausbau, geringere China-Importe). Auch eine geopolitische Entspannung könnte zusätzlichen Preisdruck erzeugen.

Doch was bedeutet dies für die Stromproduzenten?

Die Schweizer BKW erzeugt Strom aus Wasser, Wind und Sonne. Dank langfristiger Preisabsicherung und stabiler Regulierung ist das Unternehmen nur begrenzt anfällig für volatile Märkte – für The Market sind die Aktien ein Kauf. Eine solide Bilanz (Nettoverschuldung: 0,8× Ebitda), verlässliche Dividendenpolitik (Ausschüttungsquote: 35 bis 50%) und ein kontinuierlich steigender Buchwert sorgen für eine gute Ausgangslage.

«BKW hat einen hervorragenden operativen Leistungsausweis, sowohl in Phasen mit tiefen als auch mit hohen Strompreisen. Dies bildet sich entsprechend im Aktienkurs über die letzten zehn Jahre ab», sagt Hilmar Langensand, Fondsmanager bei zCapital, der dem Titel auch künftig eine Outperformance gegenüber dem Markt zutraut.

Auch der österreichische Versorger Verbund überzeugt mit einem klaren Fokus auf Wasserkraft, die über 90% der Stromerzeugung ausmacht. Das sorgt für hohe Margen und stabile Cashflows. Der Markt honoriert das mit einem Bewertungsaufschlag von rund 25% gegenüber dem Sektor.

Allerdings ist Verbund stärker von Grosshandelspreisen – insbesondere in Deutschland – abhängig. «Trotzdem bietet Verbund eine attraktive Kombination aus Nachhaltigkeit, Ertragssicherheit und operativer Effizienz», so Aaron Alber, Analyst bei der Raiffeisen Bank International.

Ähnlich aufgestellt ist die finnische Fortum mit Fokus auf Wasserkraft und Kernenergie. CEZ, einer der grössten Energieversorger Osteuropas, setzt ebenfalls auf eine Mischung aus konventionellen und erneuerbaren Quellen. Beide profitieren von der regulatorisch stabilen Marktphase.

Für Andreas Schneller, Fondsmanager bei Pury Pictet Turrettini, dürften die aktuell niedrigen Strom- und Gaspreise – ebenso wie das tiefe regulatorische Risiko – bis mindestens 2026 bestehen bleiben. Für Anleger entsteht damit schliesslich ein positives Umfeld, das auch durch die zunehmende politische Förderung von Elektrifizierung gestützt wird.

«Wir sehen einen positiven Kreislauf», ergänzt Nannette Hechler-Faydherbe von Lombard Odier. Eine steigende Stromnachfrage stärke Investitionsanreize, senke die Risiken und unterstütze die Kapitalbindung im Sektor.

Europas Netzbetreiber: Stabilität mit Renditepotenzial

Für Fondsmanager Andreas Schneller steht der europäische Versorgermarkt vor allem für eines: Stabilität. «Die Stromnachfrage ist nicht zyklisch – in den vergangenen zwanzig Jahren war sie in der EU nahezu konstant.» Mit der fortschreitenden Elektrifizierung dürfte sich das jedoch ändern: Schneller erwartet ein strukturelles Nachfragewachstum bis 2030 von jährlich 2 bis 3%.

Treiber dieser Entwicklung sind der Ausstieg aus fossilen Energien und die wachsende Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie. Damit wandelt sich das Profil der Branche – die Zeiten, in denen Versorger als reine «Bond-Proxies» galten, sind vorbei.

Ein zentraler Baustein der Transformation ist der Stromnetzausbau. Er ist nicht nur entscheidend für Europas Wettbewerbsfähigkeit, sondern wird zunehmend durch attraktive regulatorische Rahmenbedingungen flankiert. Die Elektrifizierung schafft langfristigen Kapitalbedarf – und da staatliche Mittel begrenzt sind, muss privates Kapital einspringen. Um dieses anzuziehen, steigen die regulierten Eigenkapitalverzinsungen – mit Ausnahme der Schweiz. In Deutschland sorgt das Infrastrukturprogramm zusätzlich für Investitionsimpulse.

Schneller setzt klar auf Netzbetreiber wie Elia, Eon, Redeia und National Grid. Elia ist nach der jüngsten Kapitalerhöhung bis 2030 durchfinanziert und rechnet mit einem Gewinnwachstum von über 10% jährlich – getrieben vom deutschen Netzgeschäft, das von höherer Verzinsung und regulatorischer Planungssicherheit profitiert.

Das Geschäftsmodell ist stabil: Netzbetreiber erhalten eine staatlich regulierte Verzinsung auf ihre Regulatory Asset Base (RAB), die sowohl Fremdkapitalkosten deckt als auch eine risikoadjustierte Eigenkapitalrendite ermöglicht. Diese verlässlichen Cashflows erlauben höhere Verschuldung, ohne das Geschäftsmodell zu gefährden. Die regulatorischen Rahmenbedingungen sorgen für stabile und planbare Rückflüsse zur Schuldentilgung.

Auch bei Eon zeigen sich die Investitionen: Zwischen 2024 und 2028 sollen 43 Mrd. € fliessen – rund 35 Mrd. € davon in Netze. Die Bewertung bleibt moderat, Dividendenrendite und -wachstum attraktiv. «Die Gewinnwachstumsrate dürfte von derzeit rund 5 auf etwa 7% pro Jahr steigen», argumentiert Schneller.

«Im Zuge der Energiewende steigen die Investitionen stark – das belastet kurzfristig den freien Cashflow, doch die Erträge folgen mit zeitlichem Versatz», erklärt Angela Truniger, Analystin bei der St. Galler Kantonalbank. Entsprechend fällt die sogenannte Free-Cashflow-Rendite – also der freie Cashflow im Verhältnis zum Unternehmenswert – bei vielen Versorgern derzeit negativ aus.

In Spanien und Grossbritannien zeigt sich ein ähnliches Bild: Redeia und National Grid weiten ihre Investitionen aus, getragen von regulatorischer Unterstützung und daher steigenden Renditen. National Grid etwa hat kürzlich 7 Mrd. £ neues Kapital aufgenommen, was auch den Verschuldungsgrad schlussendlich reduziert, sagt Schneller. Sinkende Strompreise erleichtern die Umsetzung – ohne Belastung für die Endkunden.

Netzbetreiber zählen 2025 bisher zu den Top-Performern im Sektor. «Geringe Ergebnisvolatilität, hohe Planbarkeit und verlässliche Dividenden machen diese Titel besonders attraktiv», sagt Thomas Deser, Portfoliomanager bei Union Investment.

Entwickler von erneuerbaren Energien als antizyklisches Investment

«Der Strombedarf durch Rechenzentren wird in Europa massiv unterschätzt», warnt Fondsmanager Schneller. Während in den USA intensiv investiert wird, hinkt Europa hinterher, obwohl Länder wie Spanien oder Portugal bereits stark ausbauen. Getrieben von KI, Cloud und Edge-Computing dürfte der Stromverbrauch aber auch in Europa rasch steigen, zumal Europa eigene Rechen- und Speicherkapazitäten aufbaut, um seine Datenhoheit zu sichern.

Auch jenseits der Digitalisierung nimmt der Strombedarf strukturell zu. «Der Massenmarkt entsteht, wenn das Neue besser oder günstiger ist», sagt Thomas Deser mit Blick auf Wärmepumpen und Elektromobilität. Elektrisches Heizen ist in Frankreich längst etabliert, in Deutschland zieht die Nachfrage ebenfalls an. Die Folge: nachhaltiges Nachfragewachstum und politischer Rückenwind für erneuerbare Energien.

Trotzdem: Die Bewertungen vieler Entwickler bleiben gedrückt. Politische Unsicherheit – insbesondere in den USA – belastet die Stimmung. Viele Titel notieren unter dem Substanzwert ihrer Assets. Für langfristige Anleger eröffnet sich hier womöglich eine antizyklische Chance. Schneller sieht bei Titeln wie EDPR «deutlich übertriebene Abschläge».

RWE punktet mit starker Bilanz, laufendem Aktienrückkaufprogramm und dem weitgehenden Rückzug aus den USA. Während der Ausbau neuer Kapazitäten stockt, bleibt die Nachfrage hoch. Das ist mittelfristig ein Katalysator für steigende Strompreise und potenziellen Mehrwert für Aktionäre.

Übernahmen mit Prämien von über 30% wie bei Encavis durch den Finanzinvestor KKR zeigen: Der Sektor ist trotz politischer Gegenwinde aus den USA intakt. «Erneuerbarer Strom ist dort, wo Wind und Sonne effizient genutzt werden können, heute die günstigste Form der Energie», betont Deser.

Erneuerbare-Energie-Projekte erfordern hohe Anfangsinvestitionen – was durch Abschreibungen die Kapitalrendite (ROIC) kurzfristig belastet. Ältere Anlagen – etwa in der Wasserkraft – liefern bessere Kennzahlen, was Vergleiche verzerrt. Zudem unterscheidet sich die Struktur der Geschäftsmodelle deutlich: Der Mix aus regulierten und unregulierten Aktivitäten beeinflusst die Kapitalrendite – und macht stabile politische Rahmenbedingungen umso wichtiger.

Integrierte Versorger für langfristige Buy-and-Hold-Strategie

Ein ideales Versorger-Investment gibt es nicht – je nach Marktphase dominieren andere Modelle. Integrierte Versorger wie Iberdrola oder Enel gelten als «sichere Häfen» und eignen sich für eine langfristige Buy-and-Hold-Strategie. Sie decken die gesamte Wertschöpfungskette ab, zahlen kontinuierlich Dividenden und bieten Diversifikation. Ihre Bewertung ist entsprechend in der Tendenz höher.

«Weitgehend regulierte Versorger sind klassische Bond-Proxies», erklärt Deser. «Regulierte Geschäftsmodelle, hohe Visibilität, stabile Ausschüttungen, aber wenig Ergebnisdynamik.» Besonders in Phasen politischer Unsicherheit, etwa bei Zinswenden oder regulatorischen Reformen, können sich attraktive Einstiegsmöglichkeiten ergeben.

Der Fall Enel zeigt jedoch die Risiken staatlicher Einflussnahme: 25% der Anteile gehören dem italienischen Staat, was sich auf Dividenden- und Investitionspolitik auswirkt. Sinkt das Vertrauen in die Bonität des Staates, leidet auch die Aktie.

Iberdrola ist breiter diversifiziert – mit starken Positionen in Spanien, Grossbritannien, Brasilien und den USA. Das US-Geschäft trägt 15 bis 20% zum Ergebnis bei, ist aber kein zentraler Risikofaktor. «Iberdrola ist das Schweizer Taschenmesser unter Europas Versorgern», sagt Deser.

Das nachhaltige Wachstum von Gewinn und Dividende je Aktie unter der Leitung eines seit rund zwei Jahrzehnten eingespielten Führungsduos spricht ebenfalls für die Qualität des Unternehmens.

SSE wiederum zeigt: Politische Eingriffe bleiben ein ständiger Begleiter. Die Diskussion um regional differenzierte Strompreise (Zonal Pricing) belastete die Aktie kurzfristig, obwohl das britische Unternehmen operativ solide dasteht. «Eine Opportunität», so Schneller. Deser ergänzt: «Politische Risiken gehören in diesem Sektor zum Alltag – und sollten aktiv gemanagt werden.»

Nachhaltiger Rückenwind für europäische Versorger

Europäische Versorger vereinen defensive Qualitäten mit langfristigem Wachstumspotenzial. Besonders interessant erscheinen derzeit nicht nur die günstig bewerteten Entwickler erneuerbarer Energien, sondern vor allem Netzbetreiber: Sie profitieren von planbaren Cashflows und zunehmend investorenfreundlichen regulatorischen Rahmenbedingungen. Dieses Potenzial ist in den Aktienkursen noch nicht vollständig reflektiert. Gleichzeitig zeigen Beispiele wie BKW, dass auch Stromproduzenten überzeugen können.

Integrierte Versorger gelten als klassische Sicherheitsbausteine in Portfolios – entsprechend höher sind ihre Bewertungen. Im historischen Vergleich bleibt der Sektor jedoch insgesamt moderat bewertet, gestützt durch attraktive Dividendenrenditen und den Rückenwind sinkender EZB-Zinsen. «Versorger sind kapitalintensive Unternehmen mit konstantem Refinanzierungsbedarf – deshalb ist die Zinsentwicklung entscheidend», erklärt Thomas Deser von Union Investment.

Trotz des hohen Investitionsniveaus dürfte sich 2025 auch die Ertragskraft wieder verbessern. Die Verschuldung erscheint tragfähig – und eröffnet Spielraum für selektive Kurschancen in einem Sektor, der weiter an strategischer Bedeutung gewinnt.

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