Samstag, Oktober 12

Stahl, Textilien und Eisen bestimmten früher die Industrie. Heute sind es Chips, Daten und Roboter. Der Motor dieses unausweichlichen Wandels sind die Zuwanderer.

Die niederländische Grossstadt Eindhoven benötigt gerade mehr Cricket-Plätze. Nicht, dass dieser Mannschaftssport den Fussball als beliebtestes Spiel abgelöst hätte – in Eindhoven wohnen bloss immer mehr indische Arbeitskräfte, die diesen Sport ausüben.

Es sind hochqualifizierte Experten, die in der boomenden Halbleiterindustrie tätig sind – zusammen mit Tausenden von Spezialisten, die von überall her kommen. Manche Bewohner der Stadt betrachten deren Zuwanderung zwar mit Misstrauen, die Mehrheit der Bevölkerung scheint sich damit jedoch abgefunden zu haben. Ihr ist bewusst: Ohne ausländische Fachkräfte schafft Eindhoven den industriellen Wandel nicht. Einfach ist dieser nicht. So führt die Zuwanderung zu Anspannungen auf dem Wohnungsmarkt. Aber die Stadt nimmt diese Herausforderung an, etwa als städtebauliche Chance.

Von der Glühbirne zum Halbleiter

In Europa sehen gerade viele die Migration in einem einseitigen Licht. Man nimmt sie als Gefahr wahr, weil angeblich viele kriminelle Migranten nach Europa kommen, die sich – noch ein Vorurteil – nicht integrieren wollen, sondern es sich in der «sozialen Hängematte» bequem machen.

In Eindhoven hat die Mehrheit der Bevölkerung und die Stadtregierung eine andere Sicht auf das emotional diskutierte Thema.

Früher hing Eindhovens Schicksal von Philips ab. Der 1891 gegründete Mischkonzern erlebte viele Hochs und Tiefs. Er begann als Produzent von Glühbirnen, später fertigte er auch Radios, Fernsehapparate und fast jedes Haushaltsgerät, das einen Stecker hat. Zudem entwickelte Philips mit Sony die Compact Disc.

Aber dann geriet Philips in Schwierigkeiten, und gefährdet war dadurch auch der Wohlstand der Einheimischen. Bei Elektrogeräten zogen asiatische Hersteller an Philips vorbei, das Unternehmen musste sich neu ausrichten. Mittlerweile konzentriert es sich auf die Gesundheitstechnik, etwa die Fertigung von Computertomografen und Beatmungsgeräten. Es beschäftigt allerdings viel weniger Mitarbeiter als in seiner Blütezeit.

Lieber in die Verwaltung als in die Privatwirtschaft

Eindhovens industrielle Basis wäre zusammengebrochen, wenn an Ort nicht Neues entstanden wäre. Das ist die Halbleiterbranche rund um den Chipmaschinenhersteller ASML. Sie ist Teil einer globalen Produktionskette, die sich von Kalifornien über Europa bis Taiwan spannt.

Wer in diesem Sektor arbeiten will, benötigt allerdings andere Qualifikationen als die ehemaligen Arbeiter und Arbeiterinnen von Philips. Einfach umschulen liessen sich diese nicht, ASML und die Zulieferer sind daher auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.

Teilweise sind diese sogar so spezialisiert, dass sie selbst in Europa nur schwer zu finden sind. Der Arbeitsmarkt ist zu eng, auch weil nicht wenige Europäer bei ihrer Lebensplanung offenbar zum Schluss gekommen sind, dass die öffentliche Verwaltung der sicherere Arbeitgeber ist als die Privatwirtschaft. Also zieht es sie dorthin, die Lücke bei den Unternehmen füllen Ausländer.

Bleibt Zürich für immer ein Finanzplatz?

In Eindhoven käme niemandem in den Sinn, die Migration mit strikten Quoten oder administrativen Zuweisungen zu regeln, wie das gewissen Kreisen in der Schweiz offenbar vorschwebt. Stattdessen hat die Region ein Expat-Center eingerichtet. Es kümmert sich auch um die Partnerinnen und Partner der Zuzüger – im Wissen darum, dass sich diese ebenfalls in Eindhoven wohl fühlen müssen, damit die Spezialisten bleiben.

Eindhovens Verwaltung geht den Strukturwandel also pragmatisch an und wetteifert gar um Fachkräfte. Das ist auch richtig. Denn die Wirtschaft ist ein dynamisches Gebilde, kein Prognostiker kann voraussehen, wohin sie sich bewegt. Ist Zürich auch in zehn Jahren noch ein Finanzplatz, und lebt Basel dann immer noch so bequem vom Pharmasektor wie heute? Niemand weiss es. Aber falls Veränderungen kommen – sie werden nur mit Zuwanderung zu bewältigen sein.

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