Donnerstag, Oktober 3

Seit vier Jahren geistert ein Kürzel durch die Finanzlandschaft: Auch Europa hat mit den Granolas seine Vorzeigeunternehmen von Weltformat. Aber taugt das recht unterschiedliche Konglomerat zum Investmentkonstrukt?

Die Börsenwelt wird von den Vereinigten Staaten dominiert. Im Weltaktienindex von MSCI nehmen Aktien aus den USA ein Gewicht von mehr als 63% ein. Europa fristet, zumindest im globalen Kontext der Aktienmärkte, ein Randdasein. Im breit gefassten FTSE All World bringt es Europa auf nicht einmal 15%.

Ein Blick auf die nach Börsenwert gewichtigsten Konzerne der Welt offenbart die Diskrepanz: Unter den globalen Top Ten stammen acht Unternehmen aus den USA und jeweils eins aus Saudi-Arabien (Aramco) und Taiwan (TSMC). Erst auf dem dreizehnten Platz kommt mit dem dänischen Pharma-Superstar Novo Nordisk eine Gesellschaft aus Europa.

In der Breite fällt die Diskrepanz nicht ganz so eklatant, aber dennoch weiter wegweisend aus: Von den hundert wertvollsten Unternehmen nach Marktkapitalisierung stammen neun aus dem Eurowährungsgebiet bzw. siebzehn aus Europa unter Berücksichtigung Grossbritanniens (vier Aktien), der Schweiz (drei) und Dänemarks.

Diverse europäische Indizes – vom breiten Stoxx Europe 600 über den Dax in Deutschland bis zum Cac40 in Frankreich – notieren gegenwärtig zwar auf Rekordhoch. Doch die starke Performance der vergangenen Monate täuscht nicht darüber hinweg, dass Europa im fünfzehnjährigen Zeitraum seit dem Ende der globalen Finanzkrise über weite Strecken enttäuscht hat.

Goldman Sachs erfindet die Granolas

Trotzdem bleibt die Sehnsucht nach Weltklasse in Europa natürlich gross. Vor vier Jahren, mitten im ersten Schock der Covid-Pandemie, kreierten die Strategen der Investmentbank Goldman Sachs einen europäischen Gegenentwurf zu den amerikanischen Big Techs, die damals unter Akronymen wie FAANG, FANMAG oder GAFAM von sich reden machten – gemeint waren Google (Alphabet), Apple, Facebook (später: Meta), Amazon, Microsoft und je nach Auslegung Netflix oder Nvidia.

So sehr Technologieriesen nach dem Vorbild von Apple oder Microsoft im Europa des 21. Jahrhunderts zur Mangelware geworden sind – die letzten beiden Top-Ten-Mitglieder im globalen Börsenranking waren Nokia und die Deutsche Telekom zur Jahrtausendwende –, so hat die Alte Welt mit ihren ausgewählten Traditionskonzernen doch über Jahrzehnte Qualität demonstriert.

«In den USA wird Technologie wahrscheinlich immer noch der langfristige Gewinner bleiben. In Europa ist es eher eine Kombination aus strukturell starken und/oder stabilen Sektoren: Gesundheitswesen, Basiskonsum und Technologie», machte Goldman Sachs’ globaler Aktienmarktstratege Peter Oppenheimer im April 2020 eine Prognose, die auch vier Jahre später beachtliche Treffsicherheit aufweisen sollte.

Oppenheimer identifizierte elf Schwergewichte aus Europa, die sich über Dekaden verdient gemacht hatten, und fasste sie in seiner viel beachteten Kurzstudie zu den Granolas zusammen. Hinter dem Akronym standen GlaxoSmithKline (GSK), Roche, ASML, Nestlé, Novartis, Novo Nordisk, L’Oréal, LVMH, AstraZeneca, SAP und Sanofi. Kriterien bei der Auswahl waren ein nachhaltiges Gewinnwachstum, eine geringe Volatilität, stabil hohe Margen und starke Bilanzen.

Gleich sechs der elf von Oppenheimer ausgewählten Werte stammen aus der Healthcare-Industrie. Garniert wurde der Mix mit zwei Champions der Luxus- bzw. der Modegüterindustrie, einem Nahrungsmittelmulti und immerhin zwei europäischen Technologie-Blue-Chips (ASML und SAP).

Insgesamt bringen es die elf europäischen Blue Chips kumuliert derzeit auf eine Marktkapitalisierung von mehr als 2,5 Bio. € – was freilich immer noch weniger ist, als Microsoft allein auf die Waage bringt. Zusammen bringen es die elf Granolas auf 43% der Marktkapitalisierung des Stoxx Europe 50.

Die Granolas konnten mit den «Mag 7» mithalten

Für Anleger stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Investment Case hinter dem wohlklingenden Kürzel. Zu Beginn der Pandemie haben sich die Granolas als griffige Replik auf die FANMAG – für die sich später in den USA der Begriff Magnificent Seven etabliert hat – einen Namen gemacht.

Was primär nach einer klug verpackten Marketingidee klang, hat sich in der Performance nur mässig bewährt. Im direkten Vergleich, ohne Dividenden gerechnet, hat es die Europa-Auswahl im vierjährigen Zeitraum seit ihrer Wortschöpfung nicht geschafft, den Erfolg der Magnificent Seven zu parieren.

Wie Goldman Sachs selbst in einer recht grosszügigen Betrachtung des Konzepts herausarbeitet, haben sich die Granolas – unter Berücksichtigung der Dividendenausschüttung und der Schwankungsbreite – in den vergangenen drei Jahren (Betrachtungszeitraum Januar 2021 bis 2024) genauso gut geschlagen wie die Magnificent Seven, die im Bärenmarkt 2022 schwer gelitten hatten.

«Sie sind der Hauptgrund dafür, dass sich europäische Aktien trotz der schwachen Konjunktur auf dem Kontinent gut entwickelt haben», macht Goldman Sachs klar. Im Stoxx Europe 600 waren die elf Granolas für 60% der Kursgewinne verantwortlich.

Allerdings wird die Gruppe von erheblichen Unterschieden in der Performance geprägt. Nur gerade vier der elf Aktien (Novo, ASML, LVMH und L’Oréal) haben es im vierjährigen Zeitraum seit der «Erfindung» der Granolas geschafft, den Stoxx Europe 50 zu schlagen.

Als relative Flops haben sich mit Ausnahme von Novo Nordisk alle Pharmawerte (AstraZeneca, Novartis, Sanofi, GSK und Roche) sowie Nestlé erwiesen. Mit einem Minus von fast 30% fällt die Leistung von Roche geradezu katastrophal aus.

Deutlich besser für die Auswahl wäre es gewesen, wenn das Team von Goldman Sachs Namen wie den französischen Industriekonzern Schneider Electric (+153% über vier Jahre), das schwedische Industrieschwergewicht Atlas Copco (+113%), die französische Luxusikone Hermès (+237%) oder den italienischen Sportwagenhersteller Ferrari (+176%) in die Auswahl genommen und dafür weniger Gewicht auf die Kreation eines marketingwirksamen Akronyms gesetzt hätte.

Stoxx Europe 50 kommt Granolas am nächsten

Wer vom Granolas-Konzept fasziniert ist, hat in der Umsetzung indes ein gewisses Problem. Einen ETF auf die elf europäischen Werte gibt es naturgemäss nicht. Wie bei den Magnificent Seven müsste der Weg über einen der europäischen Leitindizes gehen. Der Stoxx Europe 50, der bis 2010 als Dow Jones Stoxx 50 geführt wurde, eignet sich dafür besser als der Euro Stoxx 50, weil er auch europäische Blue Chips von ausserhalb der Eurozone – also Konzerne aus Grossbritannien, der Schweiz, Dänemark, Schweden und Norwegen – umfasst.

Unter den elf Granolas kommen mit AstraZeneca, GSK, Nestlé, Novartis, Novo Nordisk und Roche gleich sechs – und damit mehr als die Hälfte der Aktien – aus Märkten ausserhalb des Eurowährungsraums.

Entsprechend lohnt der Blick auf die ETF-Produkte auf den Stoxx Europe 50, die es von drei grossen Anbietern gibt: den bereits 2000 aufgelegten iShares Stoxx Europe 50 und die beiden 2009 emittierten ETF von Amundi und Deka. In diesen Produkten werden die Granolas zu 42 bis 43% abgebildet.

  • iShares Stoxx Europe 50 UCITS ETF (Dist)
    ISIN: IE0008470928, TER: 0,35%
  • Amundi ETF STOXX Europe 50 UCITS ETF (Acc)
    ISIN: FR0010790980, TER: 0,15%
  • Deka STOXX Europe 50 UCITS ETF (Dist)
    ISIN: DE000ETFL250, TER: 0,19%

Wer sein Kapital unter europäischen Aktien breiter diversifizieren möchte, hat dazu über den Stoxx Europe 600 die Möglichkeit, der entsprechend die 600 grössten Unternehmen des Kontinents abbildet, damit aber dem auf Big-Cap-Werte konzentrierten Granolas-Konzept eher nicht Rechnung trägt. Die elf europäischen Schwergewichte bringen es hier auf nur 20% in der Gesamtgewichtung.

Goldman Sachs Says 'GRANOLAS' Stocks Are Set to Enjoy Further Gains

Für Anleger mag das Konglomerat mit den verschiedenen Sektorschwerpunkten auf den ersten Blick zersplittert und willkürlich erscheinen. Die Aufnahme des Luxusgütergiganten Hermès, der den Branchenprimus LVMH deutlich geschlagen hat, stünde Europas Elite-Liga schliesslich ebenso gut an wie die Inklusion des verschmähten Energiesektors mit TotalEnergies oder Shell.

Granolas könnten ein Contrarian Play zu «Mag 7» werden

Vor allem jedoch die defensive Natur der Granolas-Zusammensetzung könnte Investoren in den nächsten Marktturbulenzen möglicherweise eine Outperformance bescheren. Geht der Tech-Party in New York irgendwann die Luft aus, könnten diesseits des Atlantiks Substanzwerte stabilisierend auf das Portfolio wirken.

Keine Frage: Mit einem erwarteten Kurs-Gewinn-Verhältnis von im Durchschnitt über 20 sind Europas elf Vorzeigekonzerne keinesfalls günstig, aber doch preiswerter als die Magnificent Seven, für die im Durchschnitt ein KGV von mehr als 30 bezahlt wird. Die günstigere Bewertung der Europa-Auswahl ist primär den zurückgebliebenen Pharmakonzernen GSK, Sanofi und Roche zu verdanken.

Das erwartete Umsatzwachstum der Europa-Auswahl beträgt durchschnittlich immerhin 7% – ein Zuwachs, von dem der langjährige Big-Tech-Platzhirsch Apple gegenwärtig nur träumen kann.

Und dann ist da noch der Bonus der Dividenden: Die durchschnittliche Rendite beträgt dank der üppig ausschüttenden Pharmakonzerne immerhin 2,5%. «Aus unserer Sicht liegt der Grund, warum diese Aktiengruppe mit einem Aufschlag gegenüber dem Markt gehandelt wird, darin, dass sie ein starkes und vorhersehbares Wachstum bieten», erklärte Goldman-Sachs-Stratege Guillaume Jaisson die Premium-Bewertung.

Investoren, die sich gegen ein raueres Börsenklima positionieren wollen, könnten so in den Granolas ein Gegengewicht zu den amerikanischen Tech-Giganten finden. Im europäischen Konglomerat befinden sich gleich acht defensive Werte – lediglich LVMH, ASML und SAP dürften prozyklisch als Risk-on-Wette mit dem Bullenmarkt der Magnificent Seven tendieren.

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