Freitag, November 15

Zwei Interessenten buhlen um den Auftrags-Pharmaforscher aus Hamburg. Der gefallene Börsenstar hat viel Wert vernichtet durch Missmanagement. Anleger können darauf setzen, dass ein neuer Eigner aufräumen dürfte und sollten vorerst ihre Aktien behalten.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Das Hamburger Unternehmen Evotec hat das Interesse zweier potenzieller Käufer auf sich gezogen. Am Donnerstagabend meldete Evotec, dass das US-Biotechunternehmen Halozyme ein unverbindliches Angebot zu 11 € pro Aktie in bar angekündigt habe. Das Eigenkapital wird dabei mit 2 Mrd. € bewertet.

Bereits Anfang der Woche war bekannt geworden, dass die Beteiligungsgesellschaft Triton Partners mit einem Anteil von 9,99% bei Evotec eingestiegen ist. Der Aktienkurs schoss am Montag um 16,8% auf 8.91 €. Der Aktienkurs von Evotec stieg Donnerstagabend im nachbörslichen Handel um 20,9% auf 10.30 €. Mitte Oktober hatte er ein Tief nahe 5 € markiert. Ende 2023 war er noch bei fast 22 € gehandelt worden.

Evotec steigen, Halozyme fallen nach Übernahmeangebot

Triton Partners wollte nicht kommentieren, was das Angebot von Halozyme für die eigenen Pläne mit Evotec bedeutet. Dass es zu einem Übernahmekampf um das Unternehmen kommt, scheint zumindest nicht ausgeschlossen.

Evotecs Absturz nach dem steilen Höhenflug

Evotec war einer der grössten Überflieger am deutschen Aktienmarkt. In der zurückliegenden Dekade hat sich der Aktienkurs zeitweise mehr als verelffacht, mit einem finalen Anstieg in der Corona-Pandemie. Ab 2022 folgte zunächst die Normalisierung vieler Pharma-Bewertungen. 2024 rutschte Evotec dann in eine hausgemachte Krise, ausgelöst durch den langjährigen Vorstandschef Werner Lanthaler, der Anfang des Jahres abrupt gehen musste, nachdem er jahrelang Insider-Transaktionen mit Evotec-Aktien verheimlicht hatte. Nach seinem Aus wurden Missstände im Unternehmen sichtbar, die Evotec zu einem Restrukturierungsfall absinken liessen. Der Kurs brach ein.

Die Entwicklung war um so bitterer, weil es eben jener Lanthaler gewesen war, der Evotec einst vor der drohenden Insolvenz gerettet hatte. Unternehmererbe Roland Oetker als Investor und Lanthaler waren 2009 im Gleichschritt als Retter zu Evotec gekommen. Beide wurden von Hubert Birner überzeugt, Manager des damaligen Evotec-Grossaktionärs TVM Capital und alter Freund Lanthalers aus Studienzeiten. Evotec hatte sich mit der Entwicklung von Medikamenten übernommen, ein Studienflop sorgte für existenzielle Gefahr. Mit dem Kapital von Oetker baute Lanthaler das Unternehmen zu einem Auftragsforscher für grosse Pharmaunternehmen um. Der Aktienkurs stieg von weniger als einem Euro auf zeitweise mehr als 45 € – eine Erfolgsgeschichte, die das Hamburger Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 750 Mio. € zeitweise bis in den MDax führte; aktuell sind die Aktien im SDax notiert.

Auftragsforschung als stark wachsendes Nischengeschäft

Seit Lanthalers Strategieumstellung ist Evotec in einem langfristig stark wachsenden Geschäft tätig: der Medikamentenentwicklung im Auftrag von Pharmakonzernen oder Stiftungen. Auftragsforscher (Contract Research Organizations, CRO) werden von Pharmaunternehmen beauftragt, die Effizienz bei der Forschung, Entwicklung und Vermarktung von Produkten durch therapeutisches Know-how und Skaleneffekte zu verbessern, definiert die Investmentbank Goldman Sachs das Business in einer Studie vom Juni 2024 zu den US-Wettbewerbern von Evotec (mit Kaufempfehlungen für Charles River Laboratories, Icon und Iqvia).

Die Branche entstand ursprünglich als kleine Gruppe von Nischenanbietern, die spezifische klinische Dienstleistungen anbieten. Aber CRO hätten sich weiterentwickelt, um Kunden in allen Aspekten der Arzneimitteleinführung zu unterstützen, einschliesslich Entdeckung, präklinische Entwicklung, klinische Entwicklung, Phase-IV-Studie nach der Zulassung, Datenanalyse, Beratung und Vermarktung, schreiben die Analysten. Die Auftragsforscher seien unterbewertet und eine attraktive Möglichkeit für Anleger, um auf eine Erholung der Forschungsausgaben von Pharmakonzernen und Biotech-Unternehmen zu setzen.

Wegen der starken Position in einer attraktiven Nische fand auch The Market Evotec lange Zeit attraktiv. Wer Ende 2014 eingestiegen war, hatte auch Ende September 2024 noch ein Kursplus von 75% im Depot. Durch die jüngsten Entwicklungen stieg das Zehnjahresplus auf mehr als 180%.

Der Kurschart zeigt aber auch: Die Aktien von Evotec haben noch viel Potenzial. Dies gilt sowohl im Vergleich zu den US-Wettbewerbern als auch mit Blick auf die eigene Börsenhistorie.

Gemessen am Verhältnis des Unternehmenswerts zum Umsatz oder am Kurs-Buchwert-Verhältnis ist Evotec günstig bewertet im Vergleich zu den Konkurrenten Charles River Laboratories und Icon. Sehr viel teurer ist daran gemessen der Kaufinteressent Halozyme Therapeutics. Es ist daher aus Sicht der Evotec-Aktionäre zu begrüssen, dass das US-Unternehmen ein Angebot in bar in Aussicht gestellt hat und nicht etwa mit den eigenen, hoch bewerteten Aktien bezahlen will.

Teuer wirkt Evotec lediglich mit Blick auf das Verhältnis von Unternehmenswert zu Ebitda. Hier ist jedoch zu bedenken, dass das Unternehmen noch mitten in der Restrukturierung steckt. Analysten trauen Evotec zu, 2026 wieder ein Ebit auf dem Niveau des Jahres 2020 zu erzielen.

Auch dann wäre die Rückkehr zu alter Stärke noch nicht geschafft: Bei dem prognostizierten Ebit 2026 wäre die Ebit-Marge bei 5% und somit nur halb so hoch wie im Jahr 2020. Es bliebe also weiteres Potenzial, um Marge, Gewinn und schliesslich auch den Aktienkurs erheblich zu steigern.

Die beiden Kaufinteressenten unterscheiden sich stark

Beteiligungsgesellschaften wie der neue Evotec-Investor Triton Partners verfolgen das Geschäftsmodell, Unternehmen meist vollständig zu übernehmen und nach fünf bis sieben Jahren teurer weiterzuverkaufen. Es ergibt aus Sicht von Triton daher wenig Sinn, bei dem aktuellen Evotec-Anteil von knapp 10% zu verharren. Es ist durchaus vorstellbar, dass Triton ein höheres Gegenangebot vorlegen wird oberhalb der von Halozyme avisierten 11 € je Aktie.

Halozyme ist nicht in der Auftragsforschung tätig. Das US-Unternehmen besitzt eine Plattform-Enzymtechnologie, welche die Aufnahme medizinischer Wirkstoffe durch das Bindegewebe erleichtern soll. Halozyme unterhält Partnerschaften mit Pharmaunternehmen, die diese Plattform nutzen, um die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen unter die Haut zu erleichtern, die sonst eine intravenöse Verabreichung erfordern.

Das Übernahmeangebot der Amerikaner ziele auf Evotecs Biologika-Plattform Just – Evotec Biologics, urteilt Analyst Christian Ehman von der Bank MM Warburg. Die Plattform sei auf grosses Marktinteresse gestossen und habe Aufträge von Pharmaunternehmen wie Sandoz und dem US-Verteidigungsministerium erhalten. Sie biete verbesserte Produktionsmöglichkeiten für Biologika zu reduzierten Kosten.

Weder Triton noch Halozyme haben ihre Strategie für Evotec vorgelegt. Der zuvor grösste Evotec-Aktionär ist Novo Holdings. Die gemeinnützige Stiftung hält 77% der Stimmrechte und 28% des Kapitals am Pharmakonzern Novo Nordisk. Sie verfolgt bei Evotec vermutlich nicht rein finanzielle Interessen. Es ist aus Sicht der Minderheitsaktionäre zu hoffen, dass die Novo-Stiftung dazu beiträgt, dass Evotec nicht in falsche Hände kommt, die den Erfolg der Restrukturierung gefährden würden.

Nach dem 2024 offenbar gewordenen Missmanagement durch die frühere Unternehmensführung, die durch den Aufsichtsrat nicht verhindert wurde, hätte Evotec für die Zukunft auch auf Ebene des Kontrollgremiums sicher einen Neustart verdient. Neue Eigentümer könnten dazu beitragen.

Für risikoaffine Investoren sind die Evotec-Aktien wegen der Übernahmeinteressenten derzeit durchaus interessant. Ausserdem hat das Geschäftsmodell weiter grosses Potenzial. Die Kooperationen mit vielen Pharmaunternehmen und Stiftungen bestehen weiter. Die Restrukturierung könnte durchaus gelingen. Deshalb spricht für Aktionäre vieles dafür, vorerst an den Anteilen festzuhalten. Auch wenn ein Rückzug beider Interessenten kurzfristig für einen schweren Kursrücksetzer sorgen würde: Mit dem Aktienkurs könnte es langfristig schon wegen der eingeleiteten Restrukturierung deutlich weiter nach oben gehen.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Mark Böschen

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