Montag, Oktober 14

Eine Woche nach dem schlimmen Unwetter mehren sich Hinweise, dass ein illegaler Steinbruch für die Zerstörung eines Dorfes mitverantwortlich war.

In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober suchten schwere Regenfälle den Südwesten von Bosnien-Herzegowina heim. Flüsse traten über die Ufer, Gerölllawinen und Erdrutsche verschütteten Häuser und Menschen in mehreren Dörfern. Das Ausmass der Katastrophe wird mit jedem Tag deutlicher. Nach Angaben lokaler Behörden forderte das Unwetter mindestens 25 Todesopfer. Nach weiteren Personen suchen die Rettungskräfte noch.

Am katastrophalsten ist die Lage im Dorf Donja Jablanica, zwischen Sarajevo und Mostar gelegen. Mindestens 18 Todesopfer lautet die traurige Bilanz aus dem 400-Seelen-Dorf. Stundenlang war es von der Aussenwelt abgeschnitten, Rettungskräfte konnten das Dorf lange nicht erreichen.

Verantwortlich für das Ausmass der Zerstörung in Donja Jablanica war eine Gerölllawine. Sie riss eine Schneise durch den Ort, machte Häuser dem Erdboden gleich, verwüstete Strassen und Schie­nen. Inzwischen ist klar, dass die tonnenschweren Gesteinsmassen, die der enorme Regenfall in das Dorf spülte, aus einem Steinbruch stammen. Der Steinbruch soll illegal betrieben worden sein – und das bereits seit Jahren.

Behörden können sich keine Schuldzuweisung abringen

Auf den Steinbruch angesprochen, sagte die Regierungschefin des Kantons Herzegowina-Neretva, zu dem Donja Jablanica gehört, an einer Medienkonferenz: «Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich noch nicht von Verantwortung sprechen. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass der Steinbruch von unserer Regierung nie eine Konzession erhielt.» Sie ordnete umgehend einen Bericht über die Betreiber des Steinbruchs an.

Dieser liegt bereits vor. Danach wurde ab 2009 ein Unternehmen, das offiziell Steine verarbeitet, aber nicht abbaut, oberhalb von Donja Jablanica aktiv. Wiederholt habe das Unternehmen um eine Bewilligung für den Steinbruch ersucht, ohne Erfolg. 2011 hätten die Behörden Ordnungsbussen gegen das Unternehmen erlassen – weshalb, wird nicht ausgeführt. Eine letzte Inspektion habe 2021 stattgefunden, dabei sei festgestellt worden, dass sich weder Personal noch Maschinen im Steinbruch befänden. Auch seien keine Arbeitsspuren festgestellt worden.

Die Darstellung widerspricht den Berichten lokaler Anwohner gegenüber lokalen Medien. Laut ihnen war der Steinbruch während 25 Jahren aktiv gewesen. Im Dorf habe man immer wieder Sprengungen gehört. Zudem zeigen Drohnenaufnahmen nach der Katastrophe zwei Bagger im Steinbruch, ein möglicher Hinweis darauf, dass dort bis vor kurzem noch gearbeitet wurde.

Ein Urteil darüber, ob tatsächlich illegal Steine abgebaut wurden, will die Kantonsregierung nicht fällen, sie überlässt es den Ermittlungsbehörden. Die zuständige Staatsanwaltschaft kündigte an, die Vorwürfe zu untersuchen, «insbesondere in Bezug auf den Betrieb und die Aktivitäten des Steinbruchs im betroffenen Gebiet».

Beispiel für Korruption und Kriminalität – und kein Einzelfall

Für viele Umweltaktivisten, Experten und Anwohner liegen die Dinge schon jetzt klar. Sie machen für die Zerstörung in Donja Jablanica, aber auch an anderen Orten illegale Bauten und illegale Abholzung verantwortlich. Der Aktivist Adi Selman sagt auf Anfrage, die Katastrophe stehe exemplarisch für die Missstände im ganzen Land, für Korruption, Kriminalität, Behördenversagen.

Adi Selman macht mit seinem Kollegen Nedim Music in sozialen Netzwerken auf diese Missstände aufmerksam. Zehntausende folgen ihrem Kanal namens «Karton Revolucija» auf Tiktok und Instagram. In ihrem Beitrag zur Katastrophe sagen sie: «Die Menschen in Donja Jablanica hat nicht nur die Überschwemmung umgebracht, sondern auch der illegale Steinbruch eines Tycoons, den das kaputte System gewähren liess und der sich noch immer auf freiem Fuss befindet.»

Im April ereignete sich bei Mostarska Bijela, wenige Kilometer südlich von Donja Jablanica, ein ähnlicher Vorfall. Bei der Sprengung eines Steinbruchs rutschte ein ganzer Berghang in den darunterliegenden See. Mehrere Fahrzeuge wurden verschüttet, zwei Menschen verletzt. Lokale Medien warfen dem Betreiber des Steinbruchs vor, ausserhalb der bewilligten Zone gesprengt zu haben. Eine Aufklärung blieb aus.

Auch auf diesen Vorfall verweisen Selman und Music in ihrem Video: «Hätten die Behörden damals ihre Arbeit gemacht und hätten sie alle illegalen Steinbrüche geschlossen, wären ganze Familien in Jablanica heute noch am Leben.»

Exit mobile version