Freitag, November 29

Der Italiener ist mit der Verbreitung von Transfer-News reich geworden. Auch in den USA verdienen Insider teilweise wahnwitzige Summen – ohne dass sie je ein kritisches Wort verlieren.

Am Freitag ist Deadline-Day im europäischen Fussball – in den grossen Ligen schliesst das Transferfenster. Figuren wie Fabrizio Romano haben dann Hochkonjunktur: Transfer-Experten, die in den sozialen Netzwerken atemlos die heissesten Gerüchte und Wechsel verbreiten. Romano, 31, bewirtschaftet diese Nische perfekt. Er hat zahllose Transfers als Erster verkündet, Trainerentlassungen auch – stets tut er das mit dem mitteloriginellen Satz «Here we go», der mittlerweile ein Teil der Pop-Kultur geworden ist.

Romano ist lange im Geschäft; seine Karriere begann in Mailand, wo er Restaurants und Hotels abklapperte in der Hoffnung, ein Agent oder Spieler würde ihm eine Information zuhalten. Das gelang oft – das Fussballgeschäft ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten; Indiskretionen und gezielte Desinformation sind fixe Bestandteile davon. In Italien ganz besonders, dem Land der legendären «Gazzetta dello Sport», dieser rosafarbenen Bibel, auf der täglich auf gegen dreissig Seiten die weite Welt des Fussballs verhandelt wird.

Romanos Anfänge erzählen von längst vergangenen Tagen, als schmierige Spielerberater in schlechtsitzenden Anzügen ihre Deals auf heruntergekommenen Autobahnraststätten finalisierten. Heute muss er seine eigenen vier Wände nicht mehr verlassen, um die grossen Scoops zu landen – nach eigener Aussage verbringt er bis zu 15 Stunden pro Tag mit Telefonaten und auf Nachrichten-Apps.

Gleich geblieben ist der Umstand, dass es in Hülle und Fülle halbseidene Agenten gibt, die sagen: Streu die Information, dass dieser und jener Klub aus einer grossen Liga an meinem Klienten interessiert ist. Dafür gebe ich dir diesen Primeur. So funktioniert das schon Jahrzehnte, seit Fussball-Transfers zu einem globalen Milliardengeschäft geworden sind. Der Hunger nach Nachrichten ist gigantisch – Romano bedient ihn mit täglich bis zu hundert Social-Media-Posts gekonnt.

Für das deutsche Magazin «11 Freunde» ist Romano ein «schangeliges Schattengewächs»

Er scheint auch einen gewissen Sinn für Humor zu haben; diesen Anschein erwecken jedenfalls Sätze, die er der «New York Times» diktierte. Instagram, sagte er da, habe er zunächst als privates Vehikel benutzt und Sonnenuntergänge und sein Abendessen gepostet. Dann aber musste er erkennen: «Niemand interessierte sich für mein Leben. Alle haben nach Transfers gefragt. Ich bin kein Star. Ich bin ein Journalist, und ein Journalist ist ein Vermittler.»

Eine solche mentale Verrenkung hätte nicht einmal Ariella Kaeslin hingekriegt, die so bewegliche ehemalige Spitzenkunstturnerin. Denn Romano und all die anderen sogenannten Transfer-Experten und -Insider betreiben so schamlos Selbstdarstellung, dass selbst Dieter Bohlen sagen würde: Vielleicht doch ein wenig mehr Zurückhaltung. Mindestens so wichtig wie eine Exklusivmeldung ist es, dabei die eigene Visage in eine Kamera zu halten.

Romano hat etliche Partner, die ihn zu einem vermögenden Mann gemacht haben: von Biermarken bis zu, selbstverständlich, Wettanbietern. Für seine Tweets lässt er sich teilweise bezahlen, der FC Luzern überwies ihm im vergangenen Jahr 135 Franken, damit Romano einen Sponsoren-Deal mit einer lokalen Brauerei verkündete. Gerade hat EA Sports ihn in die neue Version von «EA FC» integriert, den Nachfolger der beispiellos erfolgreichen «Fifa»-Reihe. Das exzellente deutsche Fussballmagazin «11 Freunde» bezeichnet den Italiener in seiner neuesten Ausgabe als «schangeliges Schattengewächs». Aber eigentlich kann man ihm das alles schwerlich vorhalten – wieso nicht mitverdienen in einem Geschäft, in dem sich ohnehin fast alles nur um Geld dreht?

Das Phänomen ist kein europäisches. In den USA werden Männer wie Adrian Wojnarowski und Shams Charania (beide NBA) oder Adam Schefter (NFL) mit Millionengagen entlöhnt, damit sie Transfer-Tweets ein paar Sekunden vor der offiziellen Bekanntgabe absetzen. Auch sie sind zu Stars geworden, zu Marken. Nicht nur das verbindet sie mit Romano: Man tritt ihnen kaum zu nahe, wenn man sie als glorifizierte PR-Agenten bezeichnet, Claqueure fast.

Kritische Voten, Analysen und Einordnungen sucht man in ihrem Wirken vergeblich – man könnte ja eine Quelle oder einen Geldgeber verärgern. Romano sprang kürzlich dem umstrittenen englischen Fussballer Mason Greenwood zur Seite, der von einem Italiener beraten wird, der wiederum gute Beziehungen zu Romano unterhält. So geht das.

Das Resultat sind teilweise groteske Formulierungen: Austauschbare Ergänzungsspieler werden bei Vertragsverlängerungen zum potenziellen nächsten Superstar hochgejubelt – es ist, so scheint es, die Bedingung für den Scoop.

Das US-Medium «The New Republic» hat die Arbeitsmethoden des Basketball-Insiders Wojnarowski, der bei ESPN ein Jahresgehalt von sieben Millionen Dollar erhält, vor ein paar Jahren detailgetreu nachgezeichnet, die Lektüre lohnt sich. Von Schefter ist bekannt, dass er eine Liste mit über 150 Personen führt, denen er regelmässig Präsente schickt. Pro Jahr soll er allein 16 000 Dollar für Schokolade ausgeben. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Und den Informationsfluss.

Wojnarowski, Romano und Co. sind so erfolgreich und populär, dass man verstehen kann, weshalb sie es fundierter Berichterstattung vorziehen, in hoher Kadenz knappe Exklusivmeldungen rauszuhämmern. Und sei es wie im Fall von Romano vor wenigen Wochen nur, dass ein skandinavischer Buchmacher ab dieser Saison das Trikot von Inter Mailand zieren wird. Allein auf Facebook gab es dafür knapp 20 000 Likes.

Was hat das mit seriösem Journalismus zu tun?

Die Masche funktioniert prächtig, und offenkundig deckt sie die Bedürfnisse einer breiten Schar an Konsumenten ab. 2022 wurde Romano an den «Globe Soccer Awards» in Dubai als «Fussballjournalist des Jahres» ausgezeichnet, was durchaus ins Bild passt: In der Wahrnehmung von Geldgebern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, einer Nation, die «Reporter ohne Grenzen» punkto Pressefreiheit auf Platz 160 von 180 führt, ist Romanos unverfängliche Hype-Berichterstattung bestimmt untadelig. Nur: Wie viel hat die mit seriösem Journalismus zu tun?

Denn nicht zu unterschätzen ist die Signalwirkung des Alles-ist-super-Grooves dieser Art von Gefälligkeitsjournalismus an die Klubs, die sich je länger, je stärker abschotten. Sie scheinen die Rolle der Medien misszuverstehen: Unabhängige Journalisten sind nicht dazu da, die Vereinssicht ungefiltert wiederzugeben, sie sind keine Protokollführer der Kluborgane, deren Aufgabe es ist, mit Begeisterung über mittelmässige Einkäufe die Ticketverkäufe anzukurbeln. Vor wenigen Wochen hat der FC Basel gezeigt, dass er das nicht verstanden hat, als er eine Journalistin für ihre kritische Berichterstattung mit einem Boykott zu gängeln versuchte.

Romano würde das bestimmt nie passieren. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn am Freitag die halbe Welt nach seinen Tweets giert.

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