Donnerstag, Oktober 10

Lange wurde der amerikanischen Künstlerin wenig Beachtung geschenkt. Dabei strotzen ihre Werke vor Farben und erzählen von der Sehnsucht nach Freiheit, Gleichberechtigung und dem Ende des Rassismus. Nun ist Ringgold gestorben.

Faith Ringgold war eine getriebene Frau. Sie war eine unermüdliche Verfechterin schwarzer Künstler, vor allem der Frauen. Sie wollte die Kunstwelt verändern. Und sie hatte einen grossen Drang, sich auszudrücken, ihre Energie in kräftigen Farben in die Welt zu tragen. 2022 sagte sie in einem Interview: «Ich wollte schon immer eine Stimme haben, etwas über die Welt sagen können und ein gewisses Gefühl der Stärke haben.»

In den 1960er Jahren wurde Ringgold zu einer der einflussreichsten politischen Künstlerinnen. In einer Zeit, in der sich die Amerikaner blutig um die Gleichberechtigung zwischen Schwarz und Weiss stritten, kämpfte sie erfolgreich für die Freiheit in der Kunst. Durch ihren Aktivismus war sie massgeblich daran beteiligt, dass schwarze Künstler endlich den Weg in die Museen fanden.

Ringgold wurde 1930 im New Yorker Stadtteil Harlem geboren. Sie wuchs in einer pulsierenden Nachbarschaft auf, umgeben von Künstlern, der grosse Jazzmusiker Duke Ellington wohnte in derselben Strasse. Ringgold stammte aus einer Arbeiterfamilie, ihr Vater war Lastwagenfahrer, ihre Mutter Näherin. Schon früh wurde die junge Faith von einer chronischen Asthmaerkrankung zu Experimenten mit Farbstift und Papier getrieben. Ringgold begeisterte Nachbarn und Freunde, die sie ermutigten, das Malen zu verfolgen. Später studierte sie Kunst und Pädagogik am City College of New York.

Als Frau war es ihr nicht erlaubt, Kunst im Hauptfach zu studieren. Sie musste sich für Kunstpädagogik einschreiben, für das Kunststudium blieb nur das Nebenfach. Nach dem Abschluss arbeitete Ringgold zwanzig Jahre als Kunstlehrerin, nebenher malte sie Landschaften im impressionistischen Stil. Doch davon sollte sie sich bald lösen.

Die blutende Flagge

Mit der Lektüre von James Baldwin und Amiri Baraka wurden auch ihre eigenen Arbeiten politischer. In den 1960er Jahren entfernte sich Ringgold von der westeuropäischen Kunstlehre und suchte nach einer, wie sie selbst sagte, «affirmativen schwarzen Ästhetik». In der «Black Light Series», einer Serie aus Ölgemälden, eliminierte sie die weissen Pigmente aus ihrer Palette und mischte Schwarz in all ihre Farben.

Die Ölgemälde aus dieser Zeit sind voller tiefer, gesättigter Farben. Die flache Perspektive und die starken Konturen erinnern an Pop-Art, Kubismus und afrikanische Kunst. Ringgold porträtierte vor allem schwarze Frauen und Männer. Ihre Motive sind wie ein Aufschrei. In «The In Crowd» von 1964 legen weisse Männer einem Schwarzen die Hand vor den Mund, wie um ihn zum Schwiegen zu bringen. Dann wieder malt Ringgold zarte und versöhnliche Szenen wie in dem Bild «A Man Kissing His Wife». Hier küsst ein Schwarzer eine weisse Frau.

Ringgolds Bilder machen die grossen Umbrüche und Unruhen ihrer Zeit spürbar. Ab 1964 wühlten die grossen Rassenunruhen das Land auf, 1968 wurde der Bürgerrechtler Martin Luther King ermordet. Und Ringgold malte mit «The Flag Is Bleeding» eines ihrer berühmtesten Bilder.

Auf dem Ölgemälde zeigt Ringgold die Abgründe Amerikas. Man spürt die Gewalt der 1960er, vielleicht auch den Beginn einer Versöhnung: Die amerikanische Flagge blutet, die roten «stripes» tropfen und triefen. Auf der Flagge hat sich eine weisse Frau bei zwei Männern untergehakt. Einer von ihnen hat den Arm wie zum Schwur auf die Brust gelegt, sein schwarzes Gesicht verschwindet hinter den weissen «stars», der Körper hinter den blutroten «stripes». In der anderen Hand hält er ein Messer.

Ringgold wurde politisch aktiv. Sie entwarf Plakate für die Black-Panther-Bewegung und engagierte sich. 1968 war sie Mitgründerin des Ad Hoc Women’s Art Committee und von Women Students and Artists for Black Art Liberation. Immer protestierte sie gegen Museen, die keine oder wenige schwarze Künstler ausstellten. Und immer ging es ihr um die Rechte und die Sichtbarkeit von Frauen.

Die Künstlerin des Quilt

In den 1970er und 1980er Jahren veränderte sich Ringgolds Arbeit aufs Neue. Sie arbeitete mit Masken, Kostümen, Figuren und Performances. Und schliesslich entdeckte sie den Quilt. Inspiriert von tibetischer und afroamerikanischer Textilkunst, begann sie mit dem mehrlagigen Textil zu arbeiten. Damit nahm Ringgold ein Handwerk auf, das in ihrer Familie eine Geschichte hatte. Schon ihre Urururgrossmutter hatte als versklavte Frau Quilts für Plantagenbesitzer angefertigt.

Ringgold begann in ihren Quilts Text und Bild zu kombinieren. Da kein Verlag Ringgolds Memoiren publizieren wollte, erzählte sie ihre Geschichte über das Bild. Oft arbeitete sie mit Öl oder Acryl in der Bildmitte und umrahmte die Motive mit Text und Stoff. Ihre Quilts zeigen in leuchtenden Farben Szenen aus dem Alltag schwarzer Amerikaner. Es sind Tanzszenen, Liebesszenen, Porträts, Traumbilder. Alles reiht sich dicht an dicht, ein einziger Überschwang an Formen, Farben, Schrift.

Lange blieben Faith Ringgolds Arbeiten unentdeckt. Erst 2022 zeigte das New Museum in New York eine erste grosse Retrospektive. 2005 konnte die Künstlerin endlich ihre Memoiren veröffentlichen. Darin kritisiert sie die weissen Museumswände. Sie neigten dazu, die Variation und Komplexität dunklerer Farbtöne auszubrennen. Als die New Yorker Retrospektive nach San Francisco wanderte, strichen die Kuratoren die Wände. Faith Ringgold ist am 13. April mit 93 Jahren verstorben.

Artist Faith Ringgold talks about the process of creating the Tar Beach story quilt

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