Eine Kuratorin und eine Molekularbiologin des Botanischen Gartens berichten über die Tricks der Zucht. Und erklären, wie «Orchideen-Diplomatie» funktioniert.
Ihre drei hellbraunen Blütenblätter bilden ein Dreieck, zwei Punkte in der Mitte und Farbschattierungen darunter sehen aus wie ein Gesicht. Doch es ist kein Äffchen, das da zwischen Blättern und Stengeln hervorlugt, sondern die Monkey-Face-Orchidee. «Darauf fallen viele Besucher herein», sagt die Kuratorin Lee Khee beim Rundgang im National Orchid Garden in Singapur und lächelt. Orchideen sind für sie seit vierzig Jahren Beruf und Berufung zugleich.
Der Garten besitzt die weltweit grösste Orchideensammlung, rund 1500 Spezies werden hier von Lee Khee und ihren Kollegen betreut. Es ist ein üppiges, überwältigendes Farben- und Formenspektakel. Wer ist die Schönste im ganzen Gartenland? Die handtellergrossen purpurfarbenen Blüten oder die violetten mit den zartrosa Streifen? Runde oder langgezogene Blüten, getupfte oder gelb-orange changierend oder doch puristisches Reinweiss?
Duft für einen einzigen Tag
Um Khees derzeitige Favoritin zu finden, geht es viele geschwungene Wege durch den hügeligen Orchideendschungel hinauf und wieder hinab. Plötzlich steht sie am Wegesrand: die Taubenorchidee aus Singapurs Regenwäldern. Sie hat filigrane weisse Blütenblätter, die sie wie eine Taube mit ausgebreiteten Flügeln aussehen lassen. Direkt nach der Blütenöffnung duftet sie einen einzigen Tag.
Orchideen schmücken hiezulande Wohnzimmer, Hotellobbys, Büros und natürlich das Yogastudio. Jede dritte Zimmerpflanze in Deutschland ist eine Orchidee, elf Millionen werden pro Jahr verkauft. Bei dieser Omnipräsenz ist es kaum vorstellbar, dass die meisten wildwachsenden Orchideen gefährdet sind.
Ihre Wohnorte schrumpfen durch Besiedlung, Landwirtschaft oder Holzschlag. Zudem schadet der Klimawandel. Sie verrotten bei zu viel Regen oder trocknen in Dürrephasen aus. Blüht die Orchidee wegen des Klimawandels zu einem anderen Zeitpunkt als üblich, hat oftmals das lebensnotwendige Insekt gerade Flugpause. Orchideen sind völlig abhängig von tierischen Helfern, denn die Pollen sind ein klebriger Miniklumpen, der nicht vom Wind verbreitet werden kann. Das alles setzt nicht nur den Orchideen in den Tropen und Subtropen zu, wo die meisten wilden Orchideenarten zu Hause sind, sondern auch den heimischen hier bei uns.
Zehntausende Dollar für eine gewilderte Orchideenart
«Bedroht werden Orchideen auch von Wilderern, die im Auftrag reicher Sammler die Wälder nach einer seltenen Art durchstreifen. Oftmals versuchen auch Bauern ihr Einkommen mit Orchideen aus einem benachbarten Urwald aufzubessern und bieten dann Exemplare am Strassenrand an», berichtet die Kuratorin Lee Khee und ballt die Hände zu Fäusten, ihr die ganze Zeit so fröhliches Gesicht verfinstert sich, die Stimme wird laut und klingt bitter. «Für besonders seltene Orchideen zahlen Sammler mehrere zehntausend Dollar, Naturschutz oder Legalität spielen keine Rolle.»
«Teams des Botanischen Gartens Singapur versuchen daher seit dreissig Jahren, Orchideen aus den Wäldern und Feuchtgebieten Südostasiens zu bewahren», erklärt die Molekularbiologin Gillian Khew beim Besuch ihres Labors im Botanischen Garten. Um sie herum schaukeln auf zahlreichen Rüttelbrettern Glaskolben mit daumengrossen Miniorchideen. Im Nachbarraum stehen Gefässe mit Pflanzen unterschiedlicher Grösse in Regalen unter UV-Lampen. Wird ein Pflänzchen umgetopft, geschieht das unter sterilen Bedingungen, die Mitarbeiter tragen Kittel, Handschuhe und Schutzbrillen.
Wenn irgend möglich nehmen die Retter Samen aus den Wäldern mit. Diese werden im Labor in ein spezielles Nährmedium aus Stückchen von Bananen, Kartoffeln und Tomaten, vermischt mit Kokosnusswasser, eingelegt. In der Natur liefert meist ein spezieller Pilz die nötigen Nährstoffe. Ohne dessen Unterstützung können die Orchideen nicht keimen.
«Bei unseren Streifzügen haben wir auch schon ganz neue Orchideenarten entdeckt», berichtet Khew. Zum Beispiel ein wenige Zentimeter kleines, weissblühendes Pflänzlein unter einem Blätterhaufen in einem Waldstück, das sich nach der Zerstörung ursprünglichen Regenwaldes gebildet hatte. Jetzt heisst diese Orchidee Nervilia singaporensis. Wenn die Biologin über die Suche in den Wäldern erzählt, redet sie schneller und gestikuliert lebhaft, als wolle sie alle besuchten Standorte auf einer imaginären Weltkarte antippen. Ihre Augen leuchten.
Gesammelt wird nicht nur für Samenbanken oder die Beete im Botanischen Garten. «Existiert das originale Habitat noch, dann setzen wir Exemplare nach der Vermehrung dort wieder aus», sagt Khew. Ist das nicht mehr möglich, wird Singapur verschönert. Auf vielen ganz normalen Stadtbäumen in Parks oder am Strassenrand wurden seltene Orchideen angesiedelt.
Weiss man, wo man suchen muss, entdeckt man sie beim Stadtbummel dutzendfach über den Köpfen: Luftwurzeln baumeln unter sattgrünen Blättern von den Ästen. Manchmal sorgen Blüten für Farbtupfer. «Nicht alle Orchideen überleben die Stadtluft, aber jeder Erfolg trägt zum Erhalt einer Art bei», freut sich die Biologin.
«Auch Orchideenliebhaber hierzulande helfen, seltene Arten zu schützen», erzählt Norbert Dank von der Deutschen Orchideengesellschaft. «Seit ich 14 Jahre alt war, sammle ich Schönheiten aus den Nebelwäldern Südamerikas.» Er kauft von zertifizierten Züchtern, viele Exemplare seiner Sammlung sind Orchideenarten, die seit vierzig oder fünfzig Jahren in Deutschland kultiviert werden. Dank vermehrt sie dann selber und gibt die Ableger an andere Fans weiter: «So vermeiden wir Entnahmen aus der Natur.»
Orchideenzucht braucht Geduld und Glück
Die Expertinnen und Experten in Singapur bewahren nicht nur gefährdete Orchideen, sie züchten auch ganz neue Arten, im Fachjargon Hybride genannt. «Trotz meinen bald vierzig Jahren Erfahrung: Es bleibt ein Glücksspiel», erzählt die Kuratorin Khee. Genau das facht ihre Ehrfurcht vor der Natur und den Spass an ihrem Job immer wieder aufs Neue an.
Das Ziel: robuste, hitzeverträgliche Sorten, die farbenprächtige Blüten bilden. Zuerst wird nach den gewünschten Farben gesucht und dann eine Mutter- und eine Vaterpflanze ausgewählt. «Meist nehme ich diejenige als Mutter, deren Charakteristika mir besonders wichtig sind», verrät sie. In der Orchideenzucht spielen Mütter die entscheidende Rolle, lernen wir.
Bestäubt wird per Hand. Kommt in der ersten Generation noch nicht das gewünschte Ergebnis heraus, wird das Kind mit einer anderen Pflanze in der gewünschten Farbe bestäubt. Manche Wunschfarben erhält man erst durch mehrere Zuchtrunden. So hat die Herstellung einer milchschokoladebraunen Blüte aus gelben und braunen Eltern fast fünfzehn Jahre gedauert.
Orchideenzucht ist ein Geduldsspiel, egal ob es sich um in der Natur gesammelte oder von Menschen gezüchtete Samen handelt. Erst nach etwa zwei Jahren sieht man ein zartes Pflänzchen. Nach weiteren drei bis vier Jahren blüht die Orchidee zum ersten Mal.
«Wenn die eigene Orchidee zum ersten Mal blüht, ist das jedes Mal wieder ein ganz besonderer Moment», schwärmt Khee. Sie kann sich noch genau an die überschwängliche Freude und den Stolz über ihre erste selbst gezüchtete Blüte erinnern: Nach der Bestäubung ging sie für sechs Jahre in Elternzeit. Genau an dem Tag, als sie zurückkam, öffnete sich die rote Blüte. «Es war ein wunderbares Geschenk.»
Singapurs Orchideen-Diplomatie
Mit Orchideen wird in Singapur Diplomatie betrieben. Besondere Staatsgäste bekommen eine Neuzüchtung, die ihren Namen trägt. In einem besonderen Teil des Orchideengartens stehen die Grossen, Mächtigen und Prominenten friedlich beieinander, zum Beispiel die gelb-braune Nelson Mandela neben der pinkfarbenen Xi Jinping mit den dunkelvioletten Tupfen. Die violette Kamala Harris wird hier im Botanischen Garten noch viele Jahre strahlen. Und natürlich dürfen weder Princess Diana – weiss mit lindgrünem Schimmer – noch Princess Kate – weiss mit zartvioletten Tupfern – fehlen.
«Wenn Staatsgäste kommen, fragt das Aussenministerium bei uns an, welche noch namenlosen Neuzüchtungen wir gerade im Gewächshaus hätten», berichtet Khee. «Dann schauen wir, ob etwas zu der Person oder zu dem Land passt.» Manche Neuzüchtung löst einen regelrechten Boom aus. So wurde die Xi-Jinping-Orchidee in China der Renner. Da der Botanische Garten die Eltern jeder Neuzüchtung veröffentlicht, können Orchideenzüchter weltweit sie kopieren. Ganz identisch werden die Nachahmungen nie ausschauen, Züchtung ist auch Glückssache.
Khee hat festgestellt, dass Orchideenfarben ebenso Modetrends folgen wie Kleider. So waren zum Beispiel in den 1990er Jahren in Japan zartviolette Orchideen gefragt. In den nuller Jahren waren es weltweit dann Blüten mit kontrastfarbenen Streifen. In Europa müssen die Farben zu den jeweils angesagten Möbeltrends passen.
Kauft man nun die magentarote Phalaenopsis als Farbtupfer fürs beige Wohnzimmer im Schweizer Super- oder deutschen Baumarkt, so muss man sich keine Sorgen machen, zur Zerstörung wildlebender Pflanzen beigetragen zu haben. Denn die hierzulande erhältlichen Orchideen stammen aus Zuchtbetrieben in den Niederlanden sowie Deutschland oder der Schweiz, manchmal auch aus Gärtnereien aus Fernost. Illegal gesammelte Wildorchideen findet man dagegen – neben anderer Hehlerware wie Waffen und Drogen – im Darknet.
Pflegetipps für Orchideen
Unbedingt Staunässe vermeiden: entweder nur Wurzeln und Substrat regelmässig mit zimmerwarmem, sehr kalkarmem Wasser besprühen oder wöchentlich ein Tauchbad durchführen.
Nur Orchideendünger und spezielle Erde verwenden.
Keine Zugluft.
Regelmässig verblühte, eingetrocknete Blütenstiele entfernen.
Ein Artikel aus der «»