Donnerstag, Oktober 10

1970 wollte die Schiffsgesellschaft des Vierwaldstättersees Dampfschiffe durch Motorboote ersetzen. Stattdessen will die Europäische Filmakademie eines der Schiffe nun «für kommende Generationen erhalten und schützen».

Die Europäische Filmakademie führt eine Liste mit Schauplätzen der Filmgeschichte Europas. Das «Café des Deux Moulins» in Paris ist gelistet. Es hat sich durch den Film «Le fabuleux destin d’Amélie Poulain» von 2001 ins Gedächtnis von Filmliebhabern eingeprägt. Und wenn es um ikonische Drehorte geht, darf auch der Trevi-Brunnen in Rom nicht fehlen. Besonders berühmt ist die Szene aus dem Film «La dolce vita» von 1960, in der der Journalist Marcello Rubini seiner Geliebten in den Brunnen folgt.

In die illustre Liste der «Schätze», wie sie die Akademie nennt, gehört jetzt auch das Zentralschweizer Dampfschiff «Schiller», benannt nach dem berühmten Autor Friedrich Schiller. Es ist das erste Mal, dass ein Schweizer Filmsujet auf der Liste historischer Drehorte steht. Und das ausgerechnet mit einem Schiff, das in den 1970er Jahren hätte verschrottet werden sollen.

Wie kam es zur späten Würdigung der «Schiller»?

Grosszügige Spender verhindern die Verschrottung

Die «Schiller» gilt als das formschönste und historisch authentischste Dampfschiff der Schweiz. Sie wurde 1906 von den Gebrüdern Sulzer erbaut und ist 63 Meter lang und knapp 300 Tonnen schwer. Ihr 1.-Klasse-Salon ist denkmalgeschützt, mit Zitronenholz, Intarsien aus Ebenholz und Perlmutter geschmückt. Und sie verkehrt seit mehr als hundert Jahren auf dem Vierwaldstättersee.

Weil das Schiff auch von innen so schön aussieht, hat es in der Vergangenheit nicht nur Ausflügler transportiert, sondern auch historischen Filmen als Kulisse gedient. Die Schauspielerin Catherine Deneuve betrat das Schiff 1991 als französische Plantagenbesitzerin im Film «Indochine». Deneuve gewann in der Rolle den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Der Schauspieler Helmut Berger nutzte ein Jahr später als Ludwig II. das Schiff, um in «Ludwig 1881» den Spuren des Schriftstellers Friedrich Schiller nachzuspüren. Den letzten Auftritt in einem Film hatte die «Schiller» 2022 in «La chimera». Der Film debütierte 2023 an den Filmfestspielen in Cannes.

Nun wurde die filmische Bedeutung des Schweizer Dampfschiffs «Schiller» von der Europäischen Filmakademie geehrt. In einer Mitteilung schreibt sie: «Mit diesen Schätzen würdigt die Akademie Orte, die für das europäische Kino symbolisch sind, Orte von historischem Wert, die nicht nur heute, sondern auch für kommende Generationen erhalten und geschützt werden müssen.» Acht europäische Drehorte wurden neu auf die Liste genommen. Sie existiert seit 2022 und umfasst 49 Drehorte.

Der Besitzer des Schiffes, die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV), schreibt, die Auszeichnung unterstreiche «die kulturelle, historische und wirtschaftliche Bedeutung der Schifffahrt am Vierwaldstättersee». Die Auszeichnung verdeutlicht den Kult der Dampfschiffe, die längst zum Aushängeschild des Unternehmens geworden sind. Noch vor 50 Jahren war das anders.

Von General Guisan bis «Wetten, dass . . .?»

1970 teilte die SGV mit, dass vier der fünf Dampfschiffe ausser Betrieb genommen würden. Sie wollte die weniger ökologischen Dampfschiffe durch Motorschiffe ersetzen. Das sei fortschrittlicher, hiess es. Nur das Schiff «Stadt Luzern», das schon Elizabeth II. und General Guisan über den Vierwaldstättersee chauffierte, sollte erhalten bleiben. Doch der Widerstand aus der Bevölkerung war gross. 25 000 Personen unterschrieben eine Petition, deren Motto lautete: «Lasst die Dampfer weiterlaufen, sonst werden wir den See aussaufen».

Ein Verein wurde gegründet, Aktien gekauft, der Verwaltungsrat mit Dampfschiff-Enthusiasten infiltriert. Die Bewegung war erfolgreich, wenige Jahre später war der Erhalt der «Gallia», der «Schiller», der «Unterwalden» und der «Uri» gesichert. Der Verein hat seither 16 Millionen Franken gesammelt, um die Instandhaltung der Schiffe zu garantieren. Nur für die «Wilhelm Tell» kam die Aktion zu spät. Sie wurde in Luzern am Seeufer fixiert und zum schwimmenden Restaurant umfunktioniert. Dort schaukelt das Schiff noch heute.

Die «Schiller» fuhr hingegen weiter ihre Runden auf dem See. Das Dampfschiff transportierte Hauseigentümer, Schwyzerörgelifründe, Frauenriegen, Politiker-Fraktionen. 1991 brachte es anlässlich des 700-Jahr-Jubiläums der Eidgenossenschaft Bundesrat und Parlamentsvertreter Europas zum Rütli. 1997 lud der Tabakunternehmer Heinrich Villiger auf dem Schiff zur «Stumpen- und Schnaps-Fahrt». 2009 gönnte sich der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew einen Zmittag auf der «Schiller».

1986 hatte die «Schiller» einen Auftritt in der sogenannten Aussenwette der berühmten Fernsehsendung «Wetten, dass . . .?». Eine Rudercrew des See-Clubs Luzern wettete, dass sie die «Schiller» über 30 Meter ziehen könne. Sie reüssierte. Das war Weltrekord.

Bald könnte der nächste Auftritt von Weltformat folgen: Im Juni findet auf dem Bürgenstock am Vierwaldstättersee die Friedenskonferenz zum Ukraine-Krieg statt. Die Schweiz hat Einladungen an rund hundert Staaten verschickt. Gut möglich, dass einige der berühmten Gäste auf der «Schiller» über den Vierwaldstättersee schippern werden.

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