Samstag, März 15

Erstmals seit 24 Jahren ist ein französischer Präsident zu einem offiziellen Staatsbesuch in Deutschland. Der harmonische Auftakt kann die Differenzen über den Krieg in der Ukraine, die Rüstungs- und Wirtschaftspolitik kaum verdecken.

Emmanuel Macron ist in Deutschland, gleich drei Tage lang, und das ist nicht die einzige Besonderheit dieses ersten Staatsbesuchs eines französischen Präsidenten seit 24 Jahren. Zum einen steht er im Fokus mehrerer Feierlichkeiten, obwohl die weltpolitische Lage und der Zustand des deutsch-französischen Verhältnisses momentan keinen Grund zu grosser Freude liefern. Zum anderen befinden sich die Regierungschefs beider Länder innenpolitisch stark unter Druck. Zwei Wochen vor der Europawahl liegt das Präsidentenlager von Macron in Umfragen mit weitem Abstand hinter den Rechtspopulisten von Marine Le Pen, während der deutsche Kanzler Olaf Scholz mit seinen Sozialdemokraten prozentual noch schlechter dasteht.

Es dürfte daher spannend werden, mit welchen Botschaften sich Scholz und Macron am Dienstag, dem dritten Besuchstag, an die Öffentlichkeit wenden. Dann tagen sie auf Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung, gemeinsam mit ihrem Kabinett. Worum es in erster Linie gehen wird, ist in den zurückliegenden Monaten insbesondere durch Äusserungen von Macron deutlich geworden. Er will verhindern, dass die Europäische Union weiter an Bedeutung verliert und zum Spielball fremder Mächte wird. In einer Grundsatzrede zu Europa an der Sorbonne-Universität in Paris hatte er im April gefordert, die EU müsse vor allem wirtschaftlich und sicherheitspolitisch unabhängiger werden.

Damit trifft er in Berlin bis heute nur bedingt auf Zustimmung. Zwar will auch Deutschland, dass die EU souveräner wird. Beide Länder haben etwa vor kurzem beschlossen, eine europäische Kapitalmarktunion weiter voranzutreiben. Sie soll dazu dienen, einheimischen Unternehmen leichter Kredite zu ermöglichen.

Doch wenn es um den internationalen Wettbewerb geht, zeigen sich unterschiedliche Herangehensweisen. «Wir können nicht die Einzigen sein, die sich an die alten Handelsregeln halten», sagte Macron im April. Wenn China und die USA ihre strategischen Wirtschaftssektoren übersubventionierten, dann könne Europa nicht einfach weitermachen wie bisher.

Protektionismus contra freien Handel

Das hört sich für deutsche Ohren wie Protektionismus an. Die Wirtschaft der Bundesrepublik ist aber auf Export und Kooperation besonders mit China und den USA ausgerichtet. Während Paris etwa EU-Zölle auf Waren aus Fernost fordert, hält Berlin von solchen Massnahmen nichts. Es wird sich zeigen, ob Macron gelingt, was er kürzlich im französischen Magazin «L’Express» angekündigt hat: Er wolle versuchen, die Deutschen von einem neuen Wirtschafts- und Wachstumsmodell zu überzeugen. Darunter versteht er unter anderem ein milliardenschweres EU-Budget für Investitionen zum Beispiel in Klimaschutz und künstliche Intelligenz, aber auch in Verteidigung.

Dort liegt nach der wirtschaftlichen Ausrichtung das zweite Thema, bei dem die Ansichten der beiden Regierungen deutlich auseinandergehen. Während für Macron eine «glaubhafte» europäische Verteidigung nicht zuletzt von einer unabhängigen europäischen Rüstungsindustrie abhängt, baut Scholz (ebenso wie seine Vorgängerin Angela Merkel) auf eine enge Kooperation mit den USA. Die jüngsten Entscheidungen in Berlin, das amerikanische Kampfflugzeug F-35 und das israelische Flugabwehrsystem Arrow zu kaufen, haben in Paris für grossen Unmut gesorgt. Die Franzosen hatten eine Zusammenarbeit angeboten. Doch die Deutschen wollten Waffen kaufen, die bereits verfügbar sind und nicht erst entwickelt werden müssen.

Auch in anderen Belangen der Verteidigungspolitik sind die beiden Länder nicht auf einer Linie. Zwar geht es mit dem gemeinsamen Panzerprojekt, dem «Main Ground Combat System», allmählich voran. Das dürfte aber nicht zuletzt daran liegen, dass der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein französischer Amtskollege Sébastien Lecornu hierbei ihr ganzes politisches Gewicht einbringen. Doch etwa Macrons Aussage, es dürfe auch der Einsatz von Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen werden, stösst in Berlin ebenso auf Ablehnung wie der Vorschlag, einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten EU-Verteidigungsfonds aufzubauen, um Europa auch allein, das heisst ohne die USA, verteidigungsfähig zu machen.

«Niemals der Vasall der USA»

Dieser Position steht nicht nur Scholz, sondern auch die in bundesweiten Umfragen stabil führende oppositionelle Union skeptisch gegenüber. Die massgeblichen Parteien in Deutschland sehen die USA nach wie vor als Garanten für die Sicherheit Deutschlands. Die Partnerschaft mit Frankreich sehen sie hier eher als Ergänzung, nicht als einen möglichen künftigen Ersatz, selbst wenn die Vereinigten Staaten nach der Präsidentschaftswahl im November ihren Fokus von Europa abwenden sollten. Weder Scholz noch andere massgebliche deutsche Politiker würden äussern, was Macron in seiner Rede im April gesagt hat: Europa müsse zeigen, «dass es niemals der Vasall der USA ist».

Als Macron am Sonntagnachmittag auf dem Demokratiefest zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes in Berlin gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auftrat, ging er auf den gegenwärtigen Zustand der deutsch-französischen Beziehungen nur am Rande ein. Er sagte, seit 75 Jahren heisse es immer wieder, die Beziehungen seien in der Krise. Dabei wiesen beide Staaten den Weg und seien zentral für Europa.

In einem öffentlichen Gespräch mit dem deutschen Staatsoberhaupt vor dem Bundeskanzleramt zeigte sich Macron vor allem besorgt über die wachsende Demokratiemüdigkeit in Europa. In den Demokratien sei eine Faszination für das Autoritäre und den Nationalismus entstanden. «Das Problem heute ist, dass wir uns in unseren Demokratien an die Demokratie gewöhnt haben und dass wir vergessen haben, dass es ein Kampf ist», sagte Macron und rief die Deutschen auf, am 9. Juni zur Wahl des Europaparlaments zu gehen.

Macron erhält Preis des Westfälischen Friedens

Am Montag wird Macron vor der Frauenkirche in Dresden eine europapolitische Rede halten. Er bezeichnete die sächsische Landeshauptstadt als «so etwas wie einen europäischen Phoenix», eine im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörte Stadt, die heute eine «Hauptstadt der Moderne» sei. In und um Dresden haben sich zahlreiche IT-Firmen angesiedelt, weshalb die Region auch «Silicon Saxony» genannt wird. Das sei ein sehr grosser Erfolg, sagte Macron und erinnerte daran, dass «nur durch die friedliche Revolution in der DDR ein vereinigtes Europa überhaupt vorstellbar geworden ist».

Von Dresden reist Macron dann ins nordrhein-westfälische Münster, wo ihm der Preis des Westfälischen Friedens verliehen wird. Wie es in der Begründung heisst, wird Macron diese Ehrung «aufgrund seines fortdauernden Engagements um Frieden in Europa besonders nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine» zuteil. Am Dienstag endet der Staatsbesuch mit dem deutsch-französischen Regierungstreffen in Meseberg nahe Berlin.

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