Montag, September 30

Der Börsenrutsch seit Juli hat manche Kurse um mehr als 20% einstürzen lassen, weit unter den fairen Preis. Welche unterbewerteten Gewinner ihnen auffallen, verraten Gané-Mitgründer Jan Henrik Muhle und Fondsmanager Markus Herrmann von Loys.

Der Dax tendiert nach dem Kursrutsch wieder aufwärts. Am Mittwoch schloss der deutsche Leitindex mehr als 500 Punkte über dem Tagestief vom Montag von 17’024 Punkten. Noch ist es zu früh, das Ende der Börsenturbulenzen auszurufen, die US-Börse gab am Mittwoch den anfänglichen Gewinn wieder preis und schloss im Minus. Doch könnte es sinnvoll sein, schon einmal nach günstigen Kaufkandidaten zu schauen, falls der freundliche Trend anhalten sollte.

The Market hat zwei Investoren nach Unternehmen gefragt, deren Kurse zuletzt besonders stark gefallen sind, obwohl die Geschäftsaussichten mittelfristig gut sind. Henrik Muhle, Co-Gründer des Fondsanbieters Gané, und Fondsmanager Markus Herrmann von Loys stellen jeweils drei aus ihrer Sicht unterbewertete Titel vor.

Webhosting- und Cloud-Anbieter Ionos: –23% vom Höchst

Schon am 12. Juli markierte Ionos das Jahreshoch bei 30.60 €. Seitdem ist der Kurs um fast ein Viertel auf knapp 24 € gefallen. Das Unternehmen ermöglicht es meist kleinen und mittelgrossen Geschäftskunden, Internet-Seiten einzurichten und zu betreiben. «Das Webhosting ist ein stabiles und wenig konjunktursensibles Geschäft», sagt Jan Henrik Muhle, Mitgründer der Fondsgesellschaft Gané. Das zeigen auch die Unternehmenskennzahlen: Die Ebitda-Marge liegt seit Jahren oberhalb von 25% und soll ab 2025 auf gut 30% steigen, schätzen die bei S&P Capital IQ erfassten Analysten.

Ionos erzielte 2023 bei 1,4 Mrd. € Umsatz ein Ebitda von 363 Mio. €. Analysten trauen dem Unternehmen 2026 einen Umsatz von 1,9 Mrd. € zu und 577 Mio. € Ebitda. Wachstumschancen bringt das zweite Betätigungsfeld von Ionos: Das Unternehmen bietet Firmenkunden eine Cloud zur Nutzung an, als deutsche Alternative zu den sehr grossen US-Anbietern Amazon, Google und Microsoft. «Es könnte für Kunden durchaus attraktiv sein, neben den grossen US-Cloud-Anbietern auch einen deutschen Anbieter zu haben, zum Beispiel für besonders sicherheitsrelevante Daten», sagt Muhle.

Für Ionos spricht aus seiner Sicht auch, dass Kurt Dobitsch das Kontrollgremium anführt. «Dobitsch hat schon Unternehmen wie 1&1, Bechtle und Nemetschek als prägende Persönlichkeit im Aufsichtsrat zu Marktkapitalisierungen im Milliardenbereich geführt», lobt der Fondsmanager. Insbesondere habe der ehemalige Tech-Manager bewiesen, dass er ein Gespür dafür habe, geeignete Leute für die Geschäftsführung der Unternehmen zu finden.

Hugo Boss: –47%

Der Modefabrikant Hugo Boss hat seit dem Zwölfmonatshoch von 71.36 € am 10. August 2023 fast die Hälfte des Börsenwerts verloren. Zu Unrecht, argumentiert Fondsmanager Muhle: «Operativ geht es in die richtige Richtung, und die Aktie ist äusserst günstig.»

Auf dem Kurs laste die Schwäche beim Konsum, die vollen Lager der Einzelhändler und der Ausfall des langjährigen Wachstumsmarkts China als Geschäftsbeschleuniger. Ausserdem hat CEO Daniel Grieder viele Analysten und Anleger vergrätzt damit, dass er im Juni 2024 schon für 2025 einen Umsatz von mindestens 5 Mrd. € bei einer Ebit-Marge von 12% angekündigt hatte. Den Zeitpunkt für die Zielerreichung hat Hugo Boss inzwischen auf eine unbestimmte, spätere Zeit verschoben.

Dennoch beurteilt Muhle den seit 2021 amtierenden Boss-CEO Grieder positiv. Bei den Investitionen in Werbung und der Verjüngung der Marke, bei den Produkten – mehr Streetwear statt Anzüge – und der Preispolitik habe er vieles richtig gemacht. «Grieder braucht noch ein oder zwei Jahre Zeit», sagt der Fondsmanager. Er ist zuversichtlich, dass Hugo Boss das gesetzte Ziel von 5 Mrd. € und auch das Margenziel erreicht, wenn auch nicht so früh wie zunächst erhofft. Dafür sei ein Ende des Lagerabbaus bei den Händlern und eine Reduzierung der Rabatte nötig.

Münchener Rück: –8%

Der Aktienkurs des Rückversicherers lag Anfang der Woche 10% unter dem Kurshoch bei 469 € von Ende Juni und hat sich seither bereits etwas erholt.

«Bei der Münchener Rück beeindruckt besonders, mit welcher Zuverlässigkeit der Rückversicherer stets die gesetzten Finanzziele erreicht», sagt Gané-Fondsmanager Muhle. Diese Zuverlässigkeit ist gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten ein grosser Vorteil.

Am Dienstag hatte The Market das Unternehmen bereits als Kandidaten für die Beobachtungsliste der Anleger beschrieben.

IT-Dienstleister GFT Technologies: –34%

Markus Herrmann, Fondsmanager des Loys Premium Germany, nennt als ersten verkannten Favoriten GFT Technologies. Der IT-Dienstleister für Banken hat seit dem Zwölfmonatshoch bei 34 € vom 30. Januar ein Drittel seines Börsenwerts eingebüsst auf nurmehr 22.60 €. Seit dem Höchst bei 48 € vom Juni 2022 hat sich der Kurs gar mehr als halbiert.

«Lange Zeit war GFT mit zweistelligen Prozentraten gewachsen, aber zuletzt haben die Kunden weniger investiert, was auch andere IT-Berater gespürt haben», sagt Herrmann. Anders als der ebenfalls auf Banken spezialisierte Schweizer Softwarehersteller Temenos verkauft GFT keine eigenen Programme, sondern implementiert die Software von Fremdanbietern bei Kunden.

Das Geschäftsmodell hält er dennoch für intakt. «Viele Banken haben völlig veraltete IT-Systeme, und die Regulatoren machen Druck», sagt der Fondsmanager. 2023 erzielte das Unternehmen 442 Mio. € Umsatz und 41 Mio. Gewinn.

Die bei S&P Capital IQ versammelten Analysten trauen GFT 2024 bis 2026 jährliche Umsatzsteigerungen von mehr als 10% zu, bei einer Ebitda-Marge von weiterhin mehr als 10%. «Angesichts der Profitabilität und des wahrscheinlichen Wachstums ist GFT sehr günstig bewertet» , urteilt er. Die Aktien kosten das Neunfache des für 2025 geschätzten Gewinns.

Personalvermittler und Bildungsanbieter Amadeus Fire: –26%

Amadeus Fire markierte Mitte April ein Zwölfmonatshoch bei 127.60 €, zuletzt kosteten die Aktien nur noch 94 €. Im November 2021 hatte der Kurs sogar bei 206.50 € doppelt so hoch gestanden wie heute.

Loys-Fondsmanager Herrmann sieht ein grundlegendes Missverständnis der Investoren als Grund für den Kursrückgang. Die Anleger würden Amadeus Fire immer noch als reinen Personalvermittler sehen, dessen Geschäft vollständig von einer starken Konjunktur abhänge. Doch das sei aus zwei Gründen falsch.

Rund 40% des Umsatzes erziele das Unternehmen mittlerweile als Anbieter von Weiterbildungen im Auftrag der staatlichen deutschen Arbeitsagentur. In diesem Bereich steigt der Umsatz, wenn die Konjunktur einbricht. Dies sei im Markt noch kaum bekannt. Bei der Personalvermittlung sei Amadeus Fire zudem kaum für Industrieunternehmen tätig, deren Nachfrage stärker mit dem Konjunkturzyklus schwanke. Vermittelt würden meist Bürokräfte wie Ingenieure, IT-Fachleute oder Buchhalter.

Das Geschäft ist hochprofitabel: Die Ebitda-Marge betrug 2023 21,7% und soll laut der Analysten auch bis 2026 über der 20%-Marke bleiben. Dazu sei Amadeus Fire kaum verschuldet. Für 2024 erwarten die bei Bloomberg erfassten Analysten eine üppige Dividendenrendite von 5,9%. Die Aktien kosten das Zwölffache des für 2024 geschätzten Gewinns.

Chemiekonzern Lanxess: –28%

Der Spezialchemieanbieter Lanxess erreichte sein Zwölfmonatshoch schon im September 2023 mit 29.75 €, seither ist der Kurs 28% bis auf 21.54 € gestürzt. Tatsächlich hat der Börsenerfolg die Kölner schon seit sechs Jahren verlassen: Der Höchststand in der Amtszeit von CEO Matthias Zachert ab 2014 datiert vom Januar 2018: Damals stand der Kurs knapp unter 75 €, dreieinhalbmal so hoch wie heute. Zachert verkaufte Geschäfte mit Massenware und erwarb Anbieter von Spezialchemie. Gebracht hat es den Anlegern bisher arg wenig.

«Lanxess ist weiterhin stark zyklisch und von der Konjunktur abhängig, aber sehr günstig bewertet», sagt Loys-Fondsmanager Herrmann. Die Bewertung ist sogar noch stärker gesunken als der Aktienkurs: 2018 wurde Lanxess zeitweise mit dem beinahe Dreifachen des Buchwerts gehandelt. Heute ist das Unternehmen laut Capital IQ für weniger als den halben Buchwert an der Börse zu haben.

Doch nun habe das Geschäft angezogen, sagt Herrmann. Am 17. Juli hatte Zachert ausserplanmässig vorläufige Ergebnisse für das zweite Quartal veröffentlicht und die Analystenerwartung deutlich übertroffen. Das vorläufige Ebitda vor Sondereinflüssen von voraussichtlich 181 Mio. € liegt 32% über der Markterwartung sowie 69% über dem Wert des Vorjahresquartals. Das zweite Quartal sei geprägt gewesen durch höhere Auslastungsraten nach dem im Vorjahr starken, beabsichtigten Lagerabbau. Ein weiterer Beitrag resultiere aus der erfolgreichen Implementierung des Sparprogramms. Der Aktienkurs stieg am Tag der Veröffentlichung mehr als 15%. «Der gesamte Kursgewinn ist wieder dahin, nach den letzten Tagen», sagt der Fondsmanager.

2023 vermeldete Zachert bei 6,7 Mrd. € Umsatz ein Ebitda von 420 Mio. Noch 2022 und in vielen Vorjahren hatte das Ebitda dagegen oberhalb von 1 Mrd. € gelegen. Das Management hält eine Milliarde Ebitda in normalen Zeiten weiterhin für erreichbar, sagt Fondsmanager Herrmann. Zumal das Unternehmen seit den Jahren, in denen es bereits so viel verdiente, mehrere Übernahmen vollzogen hat. Die Analystenschätzungen von lediglich 843 Mio. € Ebitda im Jahr 2026 (und noch weniger bis dahin) sind aus Herrmanns Sicht zu niedrig.

Zu dem Chemiekonzern gibt Herrmann allerdings eine Warnung mit auf den Weg. «Bei Lanxess muss man Geduld haben», sagt er. «Bis die Weltkonjunktur wieder anzieht, wird der Kurs keine grossen Sprünge machen.»

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