Dienstag, Oktober 8

Mehrere Vermummte prügeln auf der Chilbi auf vermeintliche Anhänger der Grasshoppers ein. Eines der Opfer erstattete Strafanzeige.

Ein knappes Viertel der Schweizer Fussballmeisterschaft ist gespielt, und das «Hobby» einiger Anhänger des FC Zürich hat bereits wieder Schlagzeilen gemacht – fernab der eigenen Mannschaft, weit weg vom Letzigrundstadion, ja noch nicht einmal in der Stadt eines anderen Klubs der höchsten Spielklasse. Tatort des jüngsten Auftritts von FCZ-Schlägern war die Chilbi in Wiesendangen, einer Landgemeinde mit 6500 Einwohnern nordöstlich von Winterthur.

Dort hatten in der Nacht auf Sonntag laut Augenzeugen mehrere Vermummte Jagd auf andere junge Männer gemacht. Einer der Angreifer soll laut einem Beitrag von Tele Züri im Festzelt des FC Wiesendangen von der Kantonspolizei verhaftet worden sein. Aus Kreisen des örtlichen Fussballklubs heisst es in dem Beitrag weiter, dass die unschönen Szenen an der Chilbi nach einem bekannten Muster abliefen: FCZ-Chaoten ziehen durch die Strassen, um Anhänger des ihnen verhassten Grasshopper-Clubs einzuschüchtern oder in aller Öffentlichkeit zu verprügeln. Egal, ob sie dafür aufs Land hinausfahren müssen oder nicht.

Der FCZ spielte am Sonntag, GC trat am Samstagabend auswärts in Winterthur an. Von Winterthur nach Wiesendangen sind es mit der S-Bahn nur 6 Minuten. In der Nachbargemeinde Rickenbach soll es laut gut informierten Kreisen eine grössere Gruppe von GC-Anhängern geben. Gut möglich also, dass GC-Fans nach dem Match in Winterthur die Chilbi in Wiesendangen besuchten – und FCZ-Schläger Wind davon bekamen.

Polizei verhindert Schlimmeres

Dann ging es schnell: Die FCZ-Chaoten sollen mehrere Chilbi-Besucher attackiert haben, die sie für GC-Fans hielten. Zwei Spieler des FC Wiesendangen wurden niedergeschlagen, einer von ihnen musste in einem Rettungswagen der Sanität verarztet werden. Augenzeugen alarmierten die Polizei. Bis auf einen waren die Angreifer getürmt, bevor die Ordnungshüter sie stellen konnten.

Der FCZ-Schläger im Festzelt hatte offenbar ebenfalls versucht, den Sicherheitskräften zu entkommen. Hinter der Bar konnte er gestellt und abgeführt werden.

Die Kantonspolizei bestätigt den Vorgang. Um kurz nach 1 Uhr sei ein Notruf eingegangen, dass bis zu 25 Vermummte an der Chilbi in Wiesendangen auf mehrere Besucher losgingen, teilt ein Sprecher am Montag auf Anfrage der NZZ mit. Mehrere Patrouillen seien innert weniger Minuten vor Ort gewesen, so habe man grössere Ausschreitungen verhindern können.

Und: Nach ersten Erkenntnissen der Kantonspolizei dürfte es sich bei dem Schlägertrupp tatsächlich um FCZ-Anhänger gehandelt haben. Eines der Opfer in Wiesendangen hat Anzeige wegen Körperverletzung eingereicht, wie die Polizei weiter schreibt. Bei dem Festgenommenen aus dem Festzelt handelt es sich um einen 17-jährigen Afghanen, der in der Stadt Zürich wohnt. In der Zwischenzeit wurde er freigelassen.

Zwielichtige Gestalten

Nach dem Polizeieinsatz konnte die Chilbi in Wiesendangen weitergehen. Der Festbetrieb dauerte wie vorgesehen bis 4 Uhr in der Früh. Viele Standbetreiber und Besucher dürften von den Schlägereien und der Intervention der Sicherheitskräfte gar nichts mitbekommen haben.

Doch ganz vorbei war der Schreckensmoment am Dorffest immer noch nicht.

Der Bericht von Tele Züri wurde am frühen Sonntagabend ausgestrahlt. Der Mann, der darin Auskunft gibt und die wüsten Szenen mit eigenen Augen beobachtet hat, möchte seinen Namen nicht mehr in den Medien sehen. Es ist ihm unwohl dabei, und das hat einen Grund: «Später am Sonntagabend schlichen erneut FCZ-Fans auf der Chilbi herum. Da dachte ich: Die suchen jemanden», sagt er am Montag gegenüber der NZZ.

Seine Reaktion: den Pullover und die Mütze, die er auch bei Tele Züri getragen hatte, schnell ausziehen, damit die zwielichtigen Gestalten auf dem Dorffest ihn nicht erkennen. Sicher ist sicher. Dann informierte er einen Polizisten in Zivil, der den Männern aus dem FCZ-Milieu nahelegte, keinen Ärger zu machen.

Der FC Zürich hat ein Gewaltproblem

Auch diese Episode passt zum Phänomen der Fan-Gewalt, mit dem die Stadt Zürich und die Region seit Jahren zu kämpfen haben: Ob in der S-Bahn nach einem GC-Match in Wettswil vor zwei Jahren, ob am Züri-Fäscht 2023, ob bei der Bäckeranlage im vergangenen Frühling oder auf der Hardbrücke, am Bahnhof Oerlikon oder Altstetten: Gewalttätige FCZ-Chaoten verbreiten Angst und Schrecken, so dass selbst Unbeteiligte wie der Mann an der Chilbi in Wiesendangen um ihre Sicherheit fürchten.

Ein GC-Fan sagte im Frühling zur NZZ: «In jeder anderen Stadt in der Schweiz kann man ohne Bedenken ein GC-Trikot tragen. In Zürich hingegen bekommt man eine Faust ins Gesicht.» Auch er wollte seinen Namen auf keinen Fall in der Zeitung lesen. «Das wäre viel zu gefährlich für mich», sagte der Mann. Die Anzeige wegen Körperverletzung vom Wochenende ist eine Ausnahme. Die meisten Opfer trauen sich nicht, gegen die Täter aus FCZ-Fan-Kreisen vorzugehen.

Und der FC Zürich?

Die Verantwortlichen des Stadtklubs sind nicht zu beneiden. Der FCZ braucht seine Fans, der Klub ist auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf angewiesen. Und er weiss, dass die einen Fans den anderen – den gewalttätigen – immer wieder Unterschlupf bieten in der anonymen Masse der Südkurve im Letzigrund. Daher tut sich die Klubführung um den Präsidenten Ancillo Canepa auch so schwer damit, das Gewaltproblem in den eigenen Reihen zu benennen und die Untaten der Schlägertrupps mit den FCZ-Farben klipp und klar zu verurteilen. Auch dieses Mal.

Am Montagabend teilt der Klub der NZZ in einem Statement mit: «Wir distanzieren uns immer von jeder Form von Gewalt.» Weiter will man jedoch nicht gehen, denn: «Der FCZ ist für die Sicherheit im Stadion verantwortlich. Was an der Chilbi in Wiesendangen passiert, liegt klar ausserhalb unseres Einflussbereichs.»

In Wiesendangen sieht man das anders. «Wir sind bestürzt über die Vorgänge am Wochenende», sagt Andreas Müller von der SVP, der im Gemeinderat für Kultur und Freizeit zuständig ist. «Es ist doch verrückt, dass man sich auf einem Dorffest auf einmal Sorgen machen muss wegen der Sicherheit.» Da müsse man sich nicht wundern, dass das Image von Fussballfans nicht das beste sei.

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