Donnerstag, Oktober 3

Anhänger der Grasshoppers können sich in Zürich nicht mehr sicher fühlen. Klare Worte des FCZ-Präsidenten wären nötiger denn je. Stattdessen gefällt sich Canepa in der Opferrolle.

«Ich fühle mich gedemütigt.» – «Ich weiss nicht, was in den Köpfen dieser Menschen vorgeht.»

Ancillo Canepa ist erschüttert. Der Präsident des FC Zürich findet klare Worte für die Untaten gewaltbereiter Anhänger seines Klubs: «Immer wenn etwas passiert, kommen die schlechten Fans irgendwie davon. Wir reden stets von 95 Prozent der Fans, die keine Gewalt wollen. Doch wenn etwas passiert, schützen diese 95 Prozent die Täter.» Und er weiss, was seine Aufgabe ist. Canepa sagt: «Ich bin der Präsident des FC Zürich. Und die Fans sind ein Teil des Klubs. Also bin ich auch verantwortlich, wenn etwas passiert. Zumindest aus moralischer Sicht.»

Das Problem: Die präsidialen Worte liegen Jahre zurück. Sie stammen aus einem Interview von 2011, kurz nachdem ein Derby zwischen den Zürcher Grasshoppers und dem FCZ wegen massiver Ausschreitungen abgebrochen werden musste. Heute wäre ein Appell des Präsidenten nötiger denn je.

Ultras gegen Ultras, Petardenwürfe im Stadion, Scharmützel in den Strassen, Angriffe auf die Polizei: All das reicht dem radikalen Teil der FCZ-Anhänger nicht mehr. Diese Schläger wollen die Grasshoppers vernichten. Und das bekommen auch gewöhnliche GC-Fans zu spüren. Wer in Zürich mit einem GC-Trikot unterwegs ist, muss damit rechnen, von vermummten FCZ-Ultras bespuckt, bedroht, mit Pfefferspray besprüht, verprügelt und ausgeraubt zu werden. Der Angriff auf einen GC-Supporter bei der Bäckeranlage Ende Mai ist nur einer von vielen Fällen der vergangenen Jahre.

Schuld sind immer die anderen

Das Ziel dieser perfiden Strategie: Anhänger des Rekordmeisters sollen derart eingeschüchtert werden, dass sie eines Tages gar nicht mehr zum Stadion gehen und ihren ohnehin schon angeschlagenen Klub dadurch in existenzielle Nöte bringen. Die Grasshoppers sind, wie jeder Klub im Schweizer Profifussball, auf Zuschauereinnahmen angewiesen. Merchandising ist ebenfalls wichtig. Aber warum sollte man ein GC-Trikot kaufen, wenn man es nicht anziehen kann, ohne Angst zu haben?

GC-Anhänger in Zürich leben gefährlich. Das wissen bereits Buben und Mädchen, die selbst im Turnunterricht darauf verzichten, die Farben ihres Lieblingsklubs zu tragen. Und das weiss auch Ancillo Canepa.

Allein, was macht der FCZ-Präsident?

Er will nichts mehr wissen von der Verantwortung, die er sich vor Jahren selbst auferlegt hat, zumindest öffentlich nicht. Lieber macht er Täter zum Opfer und umgekehrt.

Als am Züri-Fäscht 2023 ein Stand des polysportiven Gesamtvereins der Grasshoppers am Utoquai von FCZ-Ultras überfallen und demoliert wurde, bezeichnete Canepa den GC-Stand als «Provokation». Als nach Ausschreitungen von FCZ-Fans die Südkurve im Letzigrund im Januar gesperrt wurde, rekurrierte der Präsident dagegen: Man wolle einen Grundsatzentscheid bewirken, Kollektivstrafen fehle die rechtliche Grundlage. Und als der Gemeinderat im März über den seltsamen Zustand diskutierte, dass beim Letzigrund nach Fussballspielen aus Sicherheitsgründen seit Jahren keine Trams mehr fahren, war für Canepa klar, wie das Problem zu lösen sei: Die VBZ-Chauffeure sollten FCZ-Trikots tragen.

Mal sind es die Eltern, die schuld seien, dass sich ihre nicht mehr ganz kleinen Kinder nicht im Griff haben. Mal ist es der Staat, der den FC Zürich für etwas bestraft, wofür der Klub doch gar nichts könne. Mal bezeichnet der FCZ-Präsident die Schläger und Fackelwerfer seines Klubs als «Deppen», «Idioten» oder «Psychopathen».

Nur eines sind sie für Canepa offensichtlich nicht mehr: FCZ-Anhänger, die Polizisten, Tramchauffeure und GC-Supporter angreifen und bei Letztgenannten kaum mehr einen Unterschied machen, ob sie ebenfalls zum harten Kern gewaltbereiter Ultras gehören oder einfach nur ihren Fussballklub unterstützen wollen. Die sich vermummen, gezielt auf ihre Opfer losgehen und dann wieder verschwinden, bevor die Polizei eingreifen kann: sei es bei der Bäckeranlage, beim Bahnhof Wiedikon, Altstetten oder Oerlikon, auf der Hardbrücke oder an irgendeiner Busstation in einem Wohnquartier der Stadt, weit weg vom Letzigrund.

Die meisten dieser Gewalttäter bleiben unbehelligt – auch, weil ihre Opfer allzu oft vor einer Anzeige zurückschrecken. Diesen Gefallen sollte man ihnen nicht tun.

«Mir wänn’ das nid!»

Im Stadion ist die Situation nicht besser. Dort verschwinden die von Canepa als «Deppen» bezeichneten Schläger und Petardenwerfer immer wieder in der anonymen Masse der Südkurve. So zum Beispiel bei einer Attacke vom Oktober 2021, als mehrere FCZ-Chaoten über die Tartanbahn rannten, brennende Fackeln in den GC-Sektor warfen und wieder zurückrannten und dabei von Teilen der Südkurve auch noch bejubelt wurden. Danach passierte genau das, was Canepa zehn Jahre zuvor zu Recht kritisiert hatte: Wenn etwas passiert, schützt die grosse Mehrheit der Fans die wenigen Täter.

Heute jedoch mag der FCZ-Präsident diesen Zustand nicht mehr anprangern. Im Gegenteil: Seit Oktober verfügt der Klub mit dem grünen Gemeinderat Luca Maggi über einen Sicherheitschef, der selber aus der Südkurve stammt. Das verstärkt den Eindruck, dass Canepa den mächtigen Kern der FCZ-Anhänger und zahlenden Jahreskartenbesitzer nicht weiter belästigen will mit unangenehmen Fragen zur problematischen Rolle der Südkurve beim Thema Fangewalt. Der FCZ-Präsident versteckt sich hinter dem immergleichen Statement, dass er sich stets klar und deutlich von Gewalt distanziert habe und dass es dazu nichts mehr zu sagen gebe.

Damit macht er es sich zu einfach. Canepa könnte sich ein Beispiel nehmen an Bernhard Heusler, dem früheren Präsidenten des FC Basel. Als FCB-Ultras nach einem Auswärtsspiel auf gegnerische Fans losgingen, stellte sich Heusler beim folgenden Match hin, griff im Stadion zum Mikrofon und sagte zu den eigenen Fans: «Mir wänn’ das nid!»

FC BASEL Bernhard Heusler Präsident

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