Der Antrag der Union über umfassende Zurückweisungen an der Grenze kam am Donnerstagvormittag nicht in die Abstimmung. Dafür sorgte auch die FDP, die eigentlich die Union unterstützen wollte.
Für einen Moment sah es danach aus, als könnte die Bundestagssitzung am Donnerstagvormittag die deutsche Regierung sprengen. Führende FDP-Politiker wie der Generalsekretär Bijan Djir-Sarai oder der Parteivize Wolfgang Kubicki hatten angedeutet, sie würden dem Antrag der oppositionellen Unionsfraktion für umfassende Zurückweisungen an der Grenze womöglich zustimmen. Eine Sondersitzung der FDP-Fraktion am Donnerstagmorgen heizte die Spekulationen zusätzlich an.
Doch der Antrag der Union kam letztlich nicht in die Abstimmung – auch aufgrund der FDP. Sie stimmte gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern sowie der parlamentarischen Gruppe der Linken dafür, den Antrag zunächst an die Ausschüsse zu überweisen. Die Zusammenarbeit zwischen den Liberalen und den Christlichdemokraten in der Migrationspolitik ist damit vertagt.
Die Union fordert schon seit Wochen die Zurückweisung aller Asylmigranten an den deutschen Grenzen, die über einen anderen europäischen Staat nach Deutschland eingereist sind. Das sei «rechtlich zulässig», «praktisch möglich» und «mit Blick auf die gegenwärtige Lage jetzt geboten», schreibt sie in ihrem Antrag vom Donnerstagvormittag.
Zwei Migrationsgipfel endeten ohne Ergebnis
Bis jetzt sind Zurückweisungen nur dann möglich, wenn ein Migrant keinen Asylantrag stellt oder wenn er einer Einreisesperre unterliegt. Die Union wollte das mit ihrem Antrag ändern, da die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung nach ihrer Ansicht «in erheblichem Masse durch die illegale Asylmigration nach Deutschland bedroht» sei.
Ihrem Antrag war ein mühsames und letztlich ergebnisloses Tauziehen zwischen Regierung und Opposition vorausgegangen. In Reaktion auf den islamistischen Terroranschlag eines abgelehnten syrischen Asylbewerbers in Solingen bot der Oppositionsführer Friedrich Merz dem Bundeskanzler an, die Migrationskrise gemeinsam zu lösen – notfalls an Grünen und Liberalen vorbei. Als Notmassnahme schlug er vor, dass Asylmigranten schon an der Grenze zurückgewiesen werden sollten. Dafür brachte er die Ausrufung des nationalen Notstands nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU ins Spiel.
Ein erster Migrationsgipfel mit der Opposition endete indes ohne Ergebnis. Dann kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Montag die Ausweitung stichprobenartiger Kontrollen auf alle deutschen Grenzen an. Anschliessend nahm die Union erneut an einem Migrationsgipfel teil, scheiterte aber wieder am fehlenden Willen der Regierung, umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen zuzulassen.
Stattdessen sollen Asylmigranten künftig in Haftzentren auf deutschem Boden ihr Dublin-Verfahren abwarten. Sie sollen dorthin überstellt werden, wo sie erstmals europäischen Boden betreten hatten. Aus Sicht der Union würde das aber nichts wesentlich ändern. Denn der Dublin-Mechanismus ist dysfunktional, Rücküberstellungen finden in der Praxis kaum statt. Zumal die Union die Zurückweisung von Asylmigranten an den Grenzen explizit zur Bedingung ihrer Teilnahme an dem Gipfel gemacht hatte.
1500 Grüne stellen sich gegen Pläne ihrer Partei
Dabei gehen vielen Grünen bereits die aktuellen Pläne der Ampelkoalition zu weit: Über 1500 Mitglieder der Regierungspartei halten die geplanten Ausschaffungen abgelehnter syrischer und afghanischer Asylbewerber für menschenrechtswidrig. Sie bringen ihre Empörung in einem offenen Brief zum Ausdruck und kritisieren zudem die geplanten Leistungskürzungen für ausreisepflichtige Asylbewerber. Die Regierung will ihnen nur noch für zwei Wochen Sozialleistungen auszahlen und daran anschliessend nur noch für ihre elementarsten Bedürfnisse sorgen.
Neben einer Beschleunigung der Dublin-Verfahren, Ausschaffungen nach Syrien und Afghanistan sowie der Kürzung von Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber plant die Bundesregierung, dass die Polizei künftig auch Bilder und Videos aus sozialen Netzwerken auswerten darf. Bislang war ihr das nicht gestattet, obwohl auf diese Weise etwa der Aufenthaltsort mutmasslicher Terroristen einfacher ermittelt werden kann.