Mittwoch, Juni 26

Er überwacht sie. Er kontrolliert ihr Geld. Er ignoriert ihren Protest. Dann ertränkt er sie in der Badewanne. Der Fall zeigt, wie ein Mann denkt, der seine Frau ermordet.

Wenn der Täter vor Gericht über sein Opfer spricht, macht er aus einer selbstbestimmten und erfolgreichen Frau immer wieder eine schwache, undankbare, schutzsuchende.

Die Ökonomin Shpresa Hasani (Name geändert) war herzlich und fordernd, sagen ihre Arbeitskolleginnen. Sie arbeitete oft von sechs Uhr früh bis zehn Uhr Abends, machte Karriere im harten Consulting-Business, verdiente pro Jahr eine halbe Million Franken.

Sie war ein Vorbild der kosovo-albanischen Diaspora, stellte sich gegen Vorurteile, mit denen Secondas wie sie kämpfen. Und sie widersetzte sich den sexistischen Vorstellungen ihrer Verwandtschaft.

Doch wenn der Ehemann über die letzten Monate ihres Lebens spricht, beschreibt er sie als unsicher, überlastet, erratisch. «Keine Nerven» habe sie gehabt, ihr jüngstes Kind beim Kuscheln abgewiesen. «Sie hat sich sehr widersprüchlich verhalten, von entspannt bis aufgewühlt. Die Stimmungsschwankungen wurden immer extremer», sagt der Ehemann.

Der Mann macht diese Aussagen vor Gericht, auf der Anklagebank, in Fussfesseln. Er hat im September 2022 seine Frau gewaltsam getötet. Am Freitag hat ihn das Bezirksgericht Baden deshalb wegen Mordes zu 17 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Tagelang hatten sämtliche grossen Schweizer Medienhäuser davor über jede Wendung des aufsehenerregenden Prozesses berichtet.

In der Schweiz wird alle paar Wochen eine Frau von ihrem Partner oder einem Mann aus dem engsten Familienkreis getötet. Der Mord an Shpresa Hasani zeigt die Muster im Denken eines solchen Täters.

Die Tat

Nur der Ehemann von Shpresa Hasani weiss, was genau in der Nacht auf den 25. September im Einfamilienhaus des Paares im Kanton Aargau geschah. Die Kinder schliefen. Der Tatort war das Bad – einer der wenigen Räume im Haus, der nicht mit Videokameras überwacht wurde.

Der Mann sagt vor Gericht, er habe seine Frau kurz vor drei Uhr beim Duschen überrascht. Er habe ihr Handy genommen und ein Bild gesehen, das sie beim Sex mit einem anderen Mann zeigt. «Stromschlag», «Ohnmacht», «Angst», «Ekel»: So beschreibt er seine Gefühle in diesem Moment.

Er ist über 100 Kilo schwer, sie 70. Er ist kräftig gebaut. Sie ist nackt und nass. Dennoch, sagt er, sei es ein ausgeglichener Kampf gewesen. Er vergleicht die Auseinandersetzung mit einer Rauferei unter Kindern.

Am Ende liegt Shpresa Hasani tot in der Badewanne, ertränkt, mit schweren Würgespuren. Höchstens zehn Sekunden habe er sie unter Wasser gedrückt, sagt der Mann. Laut Rechtsmedizin müssen es mehrere Minuten gewesen sein.

Aus dem Ehemann und Vater wird ein Täter. Ein Vater, der die Mutter seiner Kinder getötet hat.

«Wie konnte das passieren? Warum konnte ich nicht stoppen?», fragt er im Gerichtssaal. «Warum habe ich meine Frau nicht als meine Frau wahrgenommen?»

Die Tat selbst hat er gestanden. Doch über das Wie und das Warum gehen die Ansichten auseinander. Für die Verteidigung ist es Totschlag: ungewollt, im Affekt, während eines Streits. Für die Staatsanwaltschaft ist es Mord: geplant, skrupellos, aus verwerflichen Motiven.

Dass der Täter seine Frau nicht mehr als Mensch sah, sondern als sein Eigentum: So wird später auch der Anwalt der Opferfamilie argumentieren. Für ihn macht das die Tat nicht verständlicher, sondern grausamer. «Er hat seiner Frau das Lebensrecht aberkannt, sie zum Objekt gemacht, sie bestraft und vernichtet.»

Überwachungsdrang, Besitzdenken, Rache: Der Fall erfülle alle Merkmale eines Femizids, sagt der Anwalt der Familie des Opfers. Shpresa Hasani sei getötet worden, weil sie als Frau selbstbestimmt habe leben wollen. Weil sie ihren Mann verlassen wollte.

Die Überwachung

15 Stunden vor ihrem Tod sagt Shpresa Hasani ihrem Mann: «Hör auf, meine Nachrichten zu lesen. All das, es ist nichts, was sich gehört. Hör auf, in meine Privatsphäre einzudringen.» Und: «Nein, fertig. Jetzt kann ich langsam nicht mehr, ich suche mir eine andere Wohnung.»

Der Inhalt des Gesprächs ist auf einer Überwachungskamera abgespeichert, die der Mann selbst installiert hat. Denn er, der gern erzählt, er und seine Frau hätten sich blind vertraut, überwacht sie auf Schritt und Tritt.

Im Haus gibt es vier Überwachungskameras, die rund um die Uhr aufzeichnen. Der Mann ortet und durchsucht das Mobiltelefon seiner Frau, er kennt den Standort ihres Autos. Auf seinem Mobiltelefon führt er ein geheimes Archiv, mit ihren Aufenthaltsorten, Bildern, Bekanntschaften.

Wieso hat er das getan? «Weil ich mir Sorgen gemacht habe.» Er habe sich nur darauf fokussiert, wie er seiner Frau helfen könne. «Ich wusste mehr oder weniger non-stop, wo sie sich aufhält.»

Was seine Frau von der Überwachung gehalten habe, will der Gerichtspräsident wissen. «Sie meinte ‹Mach das nicht›, ‹Musst du ja nicht›. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass es sie stört, dass ich damit aufhören muss.»

Der Gerichtspräsident fragt: «Ein Nein ist doch ein Nein?»

Der Mann: «Ich hatte Angst, dass ich meine Frau verliere. Ich dachte, da muss ich etwas machen.»

Die konstante Überwachung, so berichten es Arbeitskolleginnen, sei Shpresa Hasani immer unangenehmer geworden. Und doch habe sie sie akzeptiert. Der Staatsanwalt sieht in dem Ganzen eine «konsequente Machtausübung» des Mannes über seine Ehefrau.

Es ist eine Macht, die ihm ausserhalb der Familie fehlt.

Die zwei Welten

Shpresa Hasanis Mann kommt als Siebenjähriger in den 1980ern aus Nordmazedonien in den Kanton Graubünden. Die Eltern haben, so erzählt er vor Gericht, ein konservatives Familienbild. Doch der Täter und seine Frau leben anders. Sie verdient ein Vielfaches mehr als er, doktoriert, macht Karriere, während er zu Hause bleibt.

Er sagt: «Als klar wurde, dass ich Hausmann werde, war mein Vater empört.» Er habe gefragt: «Bist du sicher, dass eine Frau als Ernährerin klarkommt?» So sei es eben als Migrantenkind, sagt der Beschuldigte: «Man hat zu Hause ein Wertesystem und draussen ein Wertesystem.»

Er und seine Frau hätten sich den Erwartungen widersetzt und eine gleichberechtigte Beziehung geführt. «Wir haben uns gemeinsam gegen die mazedonischen und albanischen Traditionen entschieden.»

Dennoch kontrolliert der Ehemann lange die Finanzen der Familie, er investiert in diverse wenig gewinnbringende Unterfangen auf dem Balkan, so dass Hasani bei ihrem Tod trotz hohem Einkommen erhebliche Schulden hat. Und er vertreibt sich einen Gutteil seiner Tage – zeitweise ist ein Kindermädchen im 80-Prozent-Pensum angestellt – mit, wie er sagt, «eigenen Projekten». Was genau das bedeutet, kann er dem Gerichtspräsidenten auch auf mehrfache Nachfrage nicht sagen.

Einer Cousine des Opfers will er kurz vor der Tat den Kontakt zu seiner Ehefrau verbieten. Er habe ihr gesagt, Shpresa Hasani sei depressiv, stehe kurz vor einem Burn-out, brauche jetzt Ruhe. Als Ehemann könne er das am besten beurteilen.

Ist er also wirklich so progressiv, wie er sagt? Oder leidet er insgeheim darunter, dass seine Frau beruflich erfolgreicher ist als er?

In Shpresa Hasanis Haus finden die Ermittler ein Waffenarsenal. Automatische Schusswaffen, Langgewehre, eine Armeehandgranate. Der Besitzer: Hasanis Mann. Der sagt, er habe halt Freude an der Technik, schiessen sei sein Hobby.

Der Verteidiger sagt, der Beschuldigte sei kein Patriarch. Das Motiv der Familienehre und Wiederherstellung der Machtverhältnisse werde «bei Tätern aus Kulturraum Balkan reflexartig angenommen und von den Medien verbreitet».

Energisch und wortreich wehrt sich der Anwalt gegen pauschale Urteile – nur um kurz darauf selbst der albanischen Opferfamilie konservative Wertvorstellungen zu attestieren.

Die Täter-Opfer-Umkehr

Der Täter – eigentlich ein bisschen Opfer. Und das Opfer – eigentlich ein bisschen selber schuld. Das ist in Hasanis Fall die Strategie der Verteidigung. Und sie hat System.

«Ihre Hauptsorge galt ihrem Ruf», sagt der Anwalt des Täters über das Opfer. «Sie war in der albanischen Community ein leuchtendes Beispiel für eine erfolgreiche, gut integrierte Frau.» Doch das «Familienidyll mit starkem Mann zu Hause» sei nur Fassade gewesen. Bedroht durch sie selbst – weil sie eine Beziehung zu einem anderen Mann geführt habe.

Der besorgte Ehegatte, von der Ehefrau heimtückisch betrogen. Die innerlich zerrissene Karrieristin, die gegenüber Geschäft und Familie den Schein wahren will. Und die Tat, begangen nicht aus Kalkül, sondern aus Ohnmacht.

Das ist die Erzählung, die der Verteidiger des Ehemanns vor Gericht präsentiert. Das Auffliegen der Affäre? «Ein Risiko.» Das Bild von ihr und ihrem Liebhaber, das der Mann am Abend der Tat zum ersten Mal gesehen haben will? «Eine nicht zu überbietende Provokation.»

Man könnte meinen, entgegnet daraufhin der Anwalt der Opferfamilie, nicht die Getötete sei in diesen Prozess das Opfer, sondern der Täter.

Dass die Ehe schon lange zerrüttet war und sie zeitweise getrennt lebten; dass ihr Mann von ihrer neuen Beziehung wusste; und dass sie nicht wegen ihres Rufs im Haus blieb, sondern wegen der Kinder: All das, tagelang von Zeugen aus ihrem Umfeld wiederholt, stellen der Beschuldigte und sein Verteidiger in Abrede.

Selbst sein Schlusswort – der letzte, symbolschwere Akt eines jeden Gerichtsprozesses – benutzt Hasanis Ehemann, um seine Botschaft zu platzieren. Von «verschiedenen konservativen Personen» sei ihm zugetragen worden, dass das Verhalten seiner Frau seine Schuld sei – «weil ich ihr zu viele Freiheiten gegeben habe».

«Dem», sagt der Beschuldigte, «will ich vehement widersprechen.» Die Konservativen, die Patriarchalen, die Männer, die ihre Frauen aus gekränkter Ehre töten: Das sind für ihn die anderen.

Er hat bloss, so stellt er es dar, die Kontrolle verloren, von seinen fürsorglichen Gefühlen übermannt. Doch sein Verhalten nach der Tat ist damit schwer zu erklären.

Die Stunden nach der Tat

25. September 2022, um halb vier Uhr Morgens. Shpresa Hasani liegt leblos im Badewasser.

Danach tut ihr Mann Folgendes: Er steigt aus der Wanne, steckt einen Föhn ein und wirft ihn neben sie. Er schliesst die Badezimmertür ab. Er wirft den Schlüssel von aussen unter der Tür hindurch, zurück ins Zimmer. Er wischt den nassen Boden auf. Er zieht seine nassen Kleider aus, bringt sie in die Waschküche und zieht neue an.

Erst danach setzt er einen Notruf ab.

Am Morgen danach zahlt er Rechnungen und verbringt eine Stunde damit, Chatverläufe und Bilder seiner Frau auf sein Handy zu kopieren. Als die Familie kommt, soll er laut der Schwester des Opfers gesagt haben: «Wie hat sie das den Kindern nur antun können?»

Die Tat stellt er so lange als Suizid oder Unfall dar, bis er mit dem Befund der Rechtsmedizin konfrontiert wird – und gesteht.

Das Urteil

Vier Laien und ein Jurist entscheiden über das Schicksal von Shpresa Hasanis Mann. Und darüber, ob seine Geschichte über diese Tat sich durchsetzt oder jene, die Staatsanwaltschaft und Angehörige im Namen seiner Frau erzählen.

Im Kanton Aargau, wo der Fall verhandelt wird, sind unter den Richterinnen und Richtern noch ganz normale Schweizerinnen und Schweizer, aus allen Teilen der Bevölkerung. Ein Landwirt, eine KV-Absolventin, ein Tierarzt.

Sie sind während einer ganzen Woche ernst und ruhig dagesessen, haben zugehört. Nun, am Freitagnachmittag, verkünden sie ihr Urteil.

Einstimmig sei folgender Entscheid gefällt: schuldig, wegen Mordes. 17 Jahre muss der Mörder ins Gefängnis.

Hasanis Mann nimmt das Urteil stehend entgegen. Regungslos.

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