Jetzt heisst es, sie seien zu woke, früher galten sie als muffig
und elitär. Ob von rechts oder von links: Kritik an den Hochschulen hat eine lange Tradition. Geschadet hat sie ihnen noch nie.
Wieder einmal stehen die Universitäten unter Beschuss. Den rechten Autokraten, allen voran Donald Trump, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, sind sie viel zu woke, weil sie sich mit Geschlechtergerechtigkeit, Klimaerwärmung und Rassismus beschäftigen. Auch in der Schweiz findet der Feldzug ein Echo. Für die Schweizerische Volkspartei (SVP) zum Beispiel richten sich die «linksextrem unterwanderten» Hochschulen zu wenig am Arbeitsmarkt aus. Das heisst: Sie müssen ihren volkswirtschaftlichen Nutzen steigern.
Ob der Aufregung geht vergessen: Antiakademismus ist nichts Neues. Die Universitäten sind schon immer angegriffen worden, seit sie im Mittelalter entstanden sind. Das zeigt der Band «Antiakademismus und Wissenschaftskritik», den der Berner Historiker Christian Hesse eben erst herausgegeben hat.
Trotzdem haben die Universitäten eine geradezu beispiellose Erfolgsgeschichte hingelegt. Nimmt man ihre globale Ausbreitung und Beständigkeit zum Massstab, stellen sie eine der erfolgreichsten Institutionen überhaupt dar, abgesehen vielleicht vom Vatikan. Umso schwerer verständlich ist es, wenn Hochschulen so dünnhäutig auf Proteste reagieren, wie das jüngst in der Schweiz der Fall war.
Einer der ersten Kritiker der Universitäten und ihres Wissensmonopols ist der englische Philosoph Roger Bacon. Um 1260 hält er ihnen vor, sie hätten keinen konkreten Nutzen für die Gemeinschaft. Wer sich nur mit der Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen beschäftige, «leistet überhaupt nichts Wertvolles». Die Philosophie müsse den Einzelnen moralisch bessern und damit die Res publica stärken.
Die Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts verschärfen den Ton. Marsilio Ficino, Johannes Reuchlin und Gianfrancesco Pico della Mirandola wollen die vorherrschende Scholastik nicht einfach reformieren, sondern beseitigen: Das Wissen habe auf dem Glauben zu basieren. Eigentlich seien die Universitäten überflüssig.
Verstaubte Stubenhocker
Noch weiter gehen die Aufklärer des 18. Jahrhunderts. Auch sie sind Gelehrte und engagieren sich für die Verbreitung von Bildung und Wissenschaft. Dennoch fordern sie die Abschaffung der Unis. Der Berliner Schriftsteller Friedrich Nicolai zum Beispiel, ein prominenter Intellektueller und gefürchtet ob seiner Art, zu polemisieren, schreibt 1776 über Professoren und deren Studenten: «Dieses gelehrte Völkchen von Lehrern und Lernenden, das etwa 20 000 Menschen stark ist, verachtet die übrigen 20 Millionen Menschen, die ausser ihnen deutsch reden, so herzlich, dass es sich nicht die Mühe nimmt, für sie zu schreiben. Die 20 Millionen Ungelehrten vergelten den 20 000 Gelehrten Verachtung mit Vergessenheit.»
Für Nicolai sind die universitären Akademiker verstaubte Stubenhocker, die pedantisch an abstrakten Fragen herumdoktern, die niemand versteht. Eine seiner Zielscheiben ist der Philosoph Immanuel Kant, der in der Tat nicht gerade bekannt ist für die Zugänglichkeit seiner Texte.
Der Pädagoge und Verleger Johann Heinrich seinerseits prahlt 1792, er wage den Schritt an die Öffentlichkeit, obschon er damit die Wut der massgebenden Professoren auf sich ziehe. Ob die Hochschulen rentierten oder nicht, interessiere ihn nicht, sein Anliegen sei ihr Einfluss auf die Entwicklung und Bildung der Studenten. Er müsse ein negatives Fazit ziehen: «Die jungen Leute verderben da ihre Sitten, zerrütten ihre Gesundheit, verschleudern ihr Vermögen, lernen wenig.»
In Basel formiert sich um 1850 eine breite Bewegung, die wiederum nicht weniger als die Abschaffung der Universität verlangt. Diese wird nun zum Streitobjekt der Politik – was sie geblieben ist. Doch anders als heute kommt die Kritik damals von linker Seite. Der Historiker Edgar Bonjour schildert die Basler Affäre in seiner 1960 erschienenen Universitätsgeschichte.
Treibende Akteure sind radikal-liberale Grossräte. Sie befinden, die von den Aristokraten dominierte Universität nütze dem Gemeinwesen nichts, besser wäre eine Gewerbeschule. Wilhelm Klein, der studiert hat, später freisinniger Basler Regierungsrat, Nationalrat und Ständerat war, rechnet vor, dass die Stadt insgesamt 120 Akademiker brauche, jedes Jahr lediglich 4 neue.
Dafür sei keine teure Universität nötig, vielmehr könne man die Kandidaten mit Stipendien günstig an fremden Hochschulen ausbilden lassen. Mit den frei werdenden Mitteln liesse sich das obligatorische Schulgeld aufheben, damit künftig nicht nur Kinder wohlhabender Eltern die Schulen besuchen könnten. Karl Brenner, zugleich Bundesrichter, pflichtet Klein bei: Zur Bildung, die in Basel vorhanden sei, trage die Hochschule nichts bei.
Angehörige und Freunde der Universität legen sich ins Zeug, um die altehrwürdige Institution zu verteidigen. Auch der Rektor greift ein: Die Universität sei keine Standesschule, behauptet er. Im Februar 1851 kommt es im Grossen Rat zum Showdown: Gegen die Abschaffung stimmen 81 Männer, dafür 11. Damit ist der Angriff abgewehrt. Was wäre passiert, wenn der Antrag vor die Stimmbürger gekommen wäre? Er wäre wahrscheinlich angenommen worden, doch Basel kennt damals wie die restliche Schweiz keine direkte Demokratie.
Keine Diener der Allgemeinheit
Die meisten Motive der Universitätskritik haben sich in den letzten knapp 800 Jahren kaum verändert. Der Topos des Bummelstudenten etwa war zumindest bis zur Einführung der Bologna-Reform um 2010 weit verbreitet. Auch die Frage des Nutzens, die von den Basler Liberalen aufgeworfen wird, ist ein Dauerbrenner: Die Hochschulen brächten nicht der Allgemeinheit, sondern nur ihren gutbetuchten Angehörigen Vorteile. Friedrich Nicolais Antiakademismus ist noch immer virulent: Die Wissenschafter seien nicht fähig, sich verständlich auszudrücken, aber das sei dem Volk ohnehin egal.
Spätestens mit der Jugendrevolte von 1968 weitet sich die Kritik an der Universität nochmals aus, dieses Mal nach innen. Linke Studenten greifen die «Elfenbeintürme» mit Sit-ins an, weil diese sich der Politik entzögen oder die falsche machten. In Deutschland skandieren sie «Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren», wobei sie nicht die mittelalterliche Universität, sondern das tausendjährige «Dritte Reich» meinen. Seither versuchen aktivistische Studenten und Studentinnen immer wieder, ihrer Hochschule Beine zu machen. Neuerdings fordern sie etwa eine nonbinäre Sprache, vegane Menus und, einmal mehr, politische Parteinahme.
Nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dessen militärischer Intervention in Gaza formiert sich im Frühling 2024 auch an den hiesigen Hochschulen eine propalästinensische Protestbewegung. Sie prangert den «Völkermord» an, den die Armee in Gaza begehe, und verlangt von den Unis den Boykott israelischer Wissenschaftsinstitutionen. Die Hochschulen gehen nicht auf die Forderungen ein. Weder wollen sie sich politisch positionieren noch ihre Wissenschaftsfreiheit beschneiden.
Zumindest in der Deutschschweiz ist die Dialogbereitschaft der Universitäten nicht besonders gross. Obschon die Protestbewegung isoliert bleibt, stellen die Rektorate den Besetzern bald einmal ein Ultimatum und holen die Polizei. Die Universität Zürich droht mit Strafantrag, Basel führt Eingangskontrollen ein, Bern erlaubt den Zutritt nur noch mit Badge und richtet eine interne Hotline ein für Dozenten, die sich von den gut zwei Dutzend friedlichen Jugendlichen bedroht fühlen.
Von den Medien erhalten die Hochschulen für ihre Reaktion Applaus. Die Bewegung argumentiere undifferenziert, sie sei antiisraelisch und antisemitisch, heisst es, und umfasse auch Nichtstudenten, welche die Uni bloss als Plattform für ihre Politik benutzten.
Allerdings: Protestbewegungen sind nun einmal einseitig und politisch. Die Studentinnen und Studenten versuchen, für ihre Ziele zu mobilisieren und den gesellschaftspolitischen Diskurs zu prägen. Sie streben an, womit die Hochschulen sich seit gut dreissig Jahren brüsten: dass sie mit der Öffentlichkeit kommunizierten und offen seien für die Gesellschaft und deren Anliegen. Keine Elfenbeintürme eben.
Die Hochschulen, das zeigt die Geschichte deutlich, können froh sein um Kritik – sie hat ihnen noch nie geschadet. Sie brauchen die Gesellschaft, auch wenn diese nicht immer freundlich anklopft.
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