Mittwoch, Oktober 30

Viele Banker in London – oder gar in der Deutschschweiz – hatten sie nach dem Ende der Schwarzgeld-Ära schon abgeschrieben. Doch die Genfer Banken haben sich als sehr anpassungsfähig erwiesen. Auch das CS-Aus wird Genf besser verdauen als Zürich.

Ob Credit Suisse, Wirecard oder antikes Rom: Wenn etwas Grosses unerwartet untergeht, interessiert das alle. Weniger Beachtung finden jene, die überlebt haben – obwohl alle ihren Niedergang vorhergesagt haben.

Zu den Glücklichen gehört der Finanzplatz Genf. Die Finanzkrise 2008 zerzauste den zweitgrössten Bankenplatz der Schweiz gehörig. Wichtige Banken hatten auf windschiefe Hedge-Fonds und den Falschspieler Bernie Madoff gesetzt.

Es folgte der Steuerstreit mit den USA und Europa, der die Geschäftsgrundlage Genfs zu zerstören drohte: Wenn nicht fürs Schwarzgeld, weshalb sonst würden die Reichen der Welt mit ihrem Vermögen im Gepäck in die kleine Calvinstadt fliegen? Zahlreiche Auslandbanken zogen sich zurück oder schrumpften ihre Ambitionen und ihren Mitarbeiterbestand zusammen.

Auch in jüngster Vergangenheit mangelte es nicht an Negativschlagzeilen: Der Wirbel um die Schweizer Neutralität und die Russland-Sanktionen vergraule alle Ausländer aus Schwellenmärkten, wurde befürchtet. Dass der drittgrösste Bankenplatz der Schweiz, das Tessin, sich im Sinkflug befindet, liess insgesamt auch für die Nummer zwei wenig Gutes erwarten.

Post tenebras lux

Es kam anders. Der alte calvinistische Leitspruch, der das Genfer Kantonswappen ziert, bewahrheitet sich einmal mehr: Post tenebras lux – auf die Dunkelheit folgt das Licht. Die Genfer Banken strotzen vor Optimismus, wie eine im Herbst vorgestellte Umfrage der Fondation Genève Place Financière (FGPF) zeigt. Ein Grossteil der Banken vermeldet fürs erste Halbjahr 2023 einen höheren Umsatz und Gewinn als im Vorjahr und will Personal rekrutieren, allen voran Kundenberaterinnen und -berater. Besonders zuversichtlich sind die grösseren Banken.

Die grossen Banken wachsen

Umfrage bei Genfer Finanzinstituten, wie sich ihr Beschäftigtenbestand 2023 gegenüber 2022 voraussichtlich entwickelt, in Prozent

Mit gut 17 000 Mitarbeitern beschäftigen die Genfer Banken zwar 3000 Personen weniger als noch 2008; der Anteil am Bruttoinlandprodukt ging ebenfalls zurück. Der Finanzplatz als Ganzes hält sich aber bei beachtlichen 13 Prozent am Genfer BIP. Pictet, Lombard Odier, Edmond de Rothschild, UBP: Genf kann noch immer auf eine Reihe starker Banken zählen. Hinzu kommen die Ableger wichtiger Auslandbanken wie JP Morgan, HSBC oder BNP Paribas sowie zahlreiche unabhängige Vermögensverwalter, Asset Manager und Spezialisten etwa für nachhaltige Finanzanlagen.

«Einige dachten, unser Modell komme mit der Einführung des automatischen Informationsaustauschs an sein Ende», sagt Denis Pittet, Präsident der FGPF und Teilhaber der Privatbank Lombard Odier. «Das Gegenteil war der Fall. Der Finanzplatz ist widerstands- und anpassungsfähig, und er bleibt eine Exportbranche.» Ein wichtiger Teil des Wachstums stamme nicht aus der Schweiz, sondern aus dem grenzüberschreitenden Geschäft, allen voran aus Europa und dem Nahen Osten.

Genf kann damit die Schwäche im Russland-Geschäft ausgleichen. Die Massnahmen gegen russische Kunden – sowohl die Vermögenssperren gegen Sanktionierte als auch die Restriktionen gegen alle anderen Russen – bekamen einige Finanzinstitute zu spüren. Russisches Geld fliesst seit Kriegsbeginn 2022 nach Dubai, in Teilen auch nach Singapur oder in die USA; kaum aber mehr in die Schweiz.

Pittet befürwortet das Sanktionsregime grundsätzlich. Die Schweiz wende diese Sanktionen strikt an. Ein Dorn im Auge ist dem Finanzplatz aber weiterhin, dass die von der Schweiz übernommenen Sanktionen der EU auch nichtsanktionierte russische Bürger einschränken. Etwa die Vorgabe, dass Banken für solche Russen nicht mehr als 100 000 Franken annehmen dürfen.

Überhaupt: «Wir befinden uns in einem scharfen Konkurrenzkampf mit Finanzplätzen, die vor einigen Jahren noch kaum als solche existiert haben», sagt Pittet. Hongkong oder Singapur seien gewachsen, am stärksten sei die Entwicklung aber in Dubai vorangeschritten. Dieser Finanzplatz habe rasch an Breite und Tiefe gewonnen. «Vor 20 Jahren war es nur ein Reiseziel – heute zieht Dubai Expats aus der ganzen Welt an und ist selbst für die Wissenschaft attraktiv.»

Trümpfe in der Hand

Die Genfer Banken – die zum Teil in besagten Finanzplätzen eine eigene Präsenz aufgebaut haben – halten indes weiterhin Trümpfe in der Hand, darunter die alten Werte: eine professionelle Beratung und Betreuung, eine stabile Währung und eine berechenbare Fiskal- und Geldpolitik.

«Sicherheit» ist dabei kein Abstraktum; es geht tatsächlich auch um die rechtliche und physische Sicherheit der Kunden. «In anderen Finanzplätzen wie Dubai, Singapur oder Hongkong mag es kaum Demonstrationen geben. Aber man wird seriös überwacht», sagt Blaise Goetschin, der langjährige Chef der Genfer Kantonalbank.

Genf profitiert ferner vom blühenden Rohstoffhandel. Laut Goetschin, dessen Bank ebenfalls in diesem Geschäft tätig ist, haben sich zwar die Einschränkungen im Energiehandel mit Russland und der Ukraine sowie beim Getreidehandel bemerkbar gemacht. Abgesehen davon laufe das Geschäft seit 2019 aber sehr gut. Das spüren auch die Banken am Platz Genf, die Handelsfinanzierungen anbieten.

Die Situation befindet sich indes im Fluss; 2023 kamen amerikanische Beamte zu Besuch, um zu überprüfen, dass in Genf keine Russland-Sanktionen umgangen werden. Die Bedeutung des Besuchs sollte nicht überhöht werden, gleichwohl lässt er sich als Teil des Powerplays der USA interpretieren, die ihre eigenen Finanz- und Handelsplätze stärken wollen.

«Die Konkurrenz kommt auch hier zunehmend aus Dubai», sagt Pittet. Das Muster ist ähnlich wie bei den Einschränkungen auf Vermögen von nichtsanktionierten Russen: Da Dubai den Regeln, die sich der Westen auferlegt hat, nicht folgt, profitiert es von viel Neugeld und Geschäft.

Europa, der Elefant im Raum

Auch die Genfer Banken beschäftigt zudem der mangelhafte Zugang zum EU-Markt. Laut Pittet hat Bern gerade einen wichtigen Schritt in Richtung einer Wiederaufnahme des Regulierungsdialogs mit Brüssel gemacht. «Allerdings bedauern wir, dass der institutsspezifische Ansatz nicht im Verhandlungsmandat enthalten ist», sagt Pittet.

Im Kern geht es darum, dass jede Schweizer Bank, die EU-Kunden betreuen möchte, individuell sämtliche Regeln der Union übernimmt und sich von einer zentralen EU-Aufsichtsbehörde überwachen lässt. Der von der Schweizerischen Bankiervereinigung entwickelte Ansatz sei unerlässlich, um einen wesentlichen Nachteil für den Schweizer Finanzplatz zu beseitigen, sagt Pittet.

Laut Goetschin sind die Verhandlungen mit der EU, die sich weiterhin in der Schwebe befinden, indes nicht lebenswichtig für Genf. «Wenn die Verhandlungen scheitern und eine Blockade droht, wäre das keine Katastrophe.» Der Wirtschaftsplatz sei, mehr als Zürich, gegenüber dem Dollar exponiert, weniger gegenüber dem Euro. «Auch die Touristen kommen aus Asien, den USA und dem Nahen Osten, selten aus Österreich oder Polen.»

Auch die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wird in Genf weniger Wellen schlagen als in Zürich. Die zwei Banken beschäftigten in Genf zusammen über 1700 Personen, sagt Pittet, seien also bedeutende Arbeitgeber. Doch: «Ein Grossteil davon sind Kundenberater und deren Teams. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also, die weiterhin gesucht sind.» Hinzu kämen Compliance- und Anlagespezialisten, die ebenfalls erwarten könnten, von der UBS übernommen zu werden. «Wenn sie den kleinen Finger rühren, stehen sie sofort mit mehreren interessierten Arbeitgebern in Kontakt.»

Die Regeln anderer übernehmen

Die Genfer Banken bleiben gleichwohl gefordert. Es wird immer wichtiger, sich auf bestimmte Gebiete zu fokussieren. Schweizer Banken bringen heute nicht mehr ihr eigenes Regelverständnis zu Kunden in andere Länder; sie übernehmen die Regeln des Ziellandes. Einige Banken haben diese Fokussierung schneller und radikaler vorangetrieben als andere. Doch «alle Banken haben die Zahl ihrer Zielmärkte reduziert», sagt Pittet. Der Prozess sei noch immer im Gange.

Es gelte, die richtigen Produkte, IT-Kanäle und Fähigkeiten auszubauen. Er nennt das Vereinigte Königreich als Beispiel, mit dem die Schweiz eben ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Finanzdienstleistungen abgeschlossen hat. London kennt einen eigenen Steuerstatus für «non-domiciled residents». Diese Leute leben in Grossbritannien, müssen ihre Einkünfte aus anderen Ländern aber nicht zum britischen Steuersatz versteuern.

Der Status ist attraktiv, bringt aber grosse Einschränkungen mit sich. Wolle eine Bank britische Kunden aufnehmen, so Pittet, gelte es mit solchen Regeln im Detail vertraut zu sein. Gerade für komplexe Kunden – etwa Familien, die über den ganzen Erdball verstreut leben – zeichnen sich die Genfer Banken gegenüber der Konkurrenz weiterhin aus.

Ein letzter Grund für Optimismus ist die Steuerpolitik. Die Deutschschweizer glauben, Genf sei eine Steuerhölle. Das trifft aber nicht auf alle Bereiche zu. Die ordentliche Gewinnsteuer für Unternehmen beispielsweise liegt deutlich tiefer als in Zürich. Gemäss Blaise Goetschin sind zudem die öffentlichen Finanzen durchaus im Lot, anders als in vielen anderen Staaten. In Genf wurden 2023 zudem mehrere linke Initiativen abgelehnt, die zu höheren Steuern geführt hätten.

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