Donnerstag, März 6

Letztes Jahr kam es in Afrika zu mehr demokratischen Machtwechseln als je zuvor. Auch, weil die Opposition in verschiedenen Ländern dazugelernt habe, sagt der Politologe Nicholas Cheeseman.

Steht Afrika an der Schwelle zu einem demokratischen Frühling? Das konnte man 2024 meinen, nachdem überraschende Wahlergebnisse etwa in Südafrika oder Botswana oder mächtige Protestbewegungen gegen politische Eliten über den Kontinent hinaus für positive Schlagzeilen gesorgt hatten. Dies, nachdem in den Jahren zuvor vor allem die Militärputsche in mehreren Sahelstaaten das Bild geprägt hatten.

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Auch in diesem Jahr wird in wichtigen afrikanischen Staaten gewählt. Allerdings sind Gabon, Tansania, Kamerun oder Côte d’Ivoire nicht für ihre politische Offenheit bekannt. Was sich daraus über den Zustand der Demokratie auf dem Kontinent ableiten lässt, erklärt der britische Politikwissenschafter Nicholas Cheeseman. Kaum jemand kennt sich mit afrikanischen Demokratien besser aus als der Professor an der Universität Birmingham.

Herr Cheeseman, findet ausgerechnet in Afrika ein demokratischer Aufbruch statt?

Ja, vergangenes Jahr kam es in Afrika zu mehr demokratischen Machtwechseln als je zuvor. Das lag daran, dass mehr Wahlen stattfanden. Es liegt aber eben auch daran, dass es sogenannte «Winds of Change» amtierenden Parteien sehr schwermachten, an der Macht zu bleiben.

Was verstehen Sie unter «Winds of Change»? Erkennen Sie ein Muster hinter den Umwälzungen von 2024?

Es gibt einige Faktoren, die in vielen afrikanischen Staaten zu beobachten sind. Erstens leiden alle Staaten, in denen 2024 gewählt wurde, unter einer schweren Wirtschaftskrise. Die Lebensmittel- und Energiepreise sind stark angestiegen, ebenso die Inflation. Es gelang den Regierungen nicht mehr, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie die Wirtschaftslage gut managen würden. Zweitens war das Versagen der Regierungen im Umgang mit Korruption für viele Wähler ein grosses Thema. So konnten die Oppositionsparteien mit dem Versprechen punkten, die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen.

Beides ist nicht neu. Warum konnten sich oppositionelle Parteien gerade letztes Jahr durchsetzen?

In Südafrika, Botswana und Namibia – das ist der dritte Faktor – hat eine grosse gesellschaftliche Veränderung den Wechsel möglich gemacht. Die Bevölkerung ist jünger geworden und ungeduldiger. Für Junge haben Parteien, die seit langem an der Macht sind, ihren Glanz verloren. In Botswana war seit der Unabhängigkeit 1966 die gleiche Partei an der Macht. In Südafrika hatte seit den ersten freien Wahlen 1994 der ANC alleine geherrscht. Und in Namibia herrscht seit der Staatsgründung 1990 die frühere Befreiungsbewegung Swapo. In diesen Ländern hat der Grossteil der Bevölkerung die Hoffnung verloren, dass es den bisherigen Herrschenden irgendwann noch gelingen wird, die Probleme des Landes zu lösen. In Botswana wurde die bisherige Staatspartei praktisch aus dem Parlament gefegt. In Südafrika und Namibia hat die vorherrschende Partei die Macht nicht verloren, aber sehr viel Unterstützung in der Bevölkerung.

Dann ist der jeweiligen Opposition der Sieg quasi in den Schoss gefallen?

Nicht nur, es gibt schon auch Beispiele, bei denen die Opposition aus der Vergangenheit lernte. In Mauritius zum Beispiel lernte die Opposition aus den vorherigen Wahlen ganz konkret, dass sie die abgegebenen Stimmzettel schützen muss, damit sie nicht verschwinden können. In Botswana wiederum schlossen sich Parteien zu einer effektiven Oppositionskoalition zusammen, was wichtig war, um einen langjährigen Gegner zu besiegen.

Die genannten Faktoren, die die Wahlen 2024 günstig beeinflussten, sind 2025 weiter gegeben. Werden wir dieses Jahr weitere demokratische Entwicklungen erleben?

Wenn die folgenden Fragen mit Ja beantwortet werden können, dann allenfalls schon: Reicht der Unmut in der Bevölkerung aus, wenn man bedenkt, dass viele Wahlen dieses Jahr in ziemlich autoritären Staaten stattfinden? Ist es für Oppositionsparteien möglich, Wahlkampf zu führen und Bürger zu mobilisieren? Politik in Afrika ist ja nicht anders als anderswo: Sie müssen einen Wahlkampf an der Basis führen, Sie müssen mit der Bevölkerung physisch in Kontakt treten und sie dazu motivieren, am Wahltag zur Urne zu gehen. Aber wenn, wie etwa in Tansania, Oppositionsführer verhaftet werden oder keinen Wahlkampf führen dürfen, wenn die Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird, wenn Anhänger der Opposition derart eingeschüchtert werden, dass sie sich nicht mehr trauen, das T-Shirt ihrer Partei zu tragen, dann ist es schwierig, einen Wechsel herbeizuführen.

Dieser Trend würde dann weitere Ergebnisse wie 2024 in Moçambique riskieren, wo die Menschen wochenlang gegen massiven Wahlbetrug auf die Strasse gingen. Die Regierung liess den Protest niederknüppeln, Dutzende Menschen wurden bei den Unruhen getötet, Tausende flohen ins Ausland.

Ich befürchte, dass wir 2025 in einer Reihe von afrikanischen Staaten ganz Ähnliches erleben werden. Allerdings sollten wir nicht immer davon ausgehen, dass die Zukunft aussehen wird wie die Vergangenheit. 2015 in Nigeria und 2016 in Gambia gab es Wahlen, bei denen viele glaubten, sie würden von autoritären Herrschern gefälscht werden. In beiden Fällen konnte dann tatsächlich die Opposition gewinnen, die sich zu wirkungsvollen Bündnissen zusammengeschlossen hatte. Ein Wechsel ist nicht unmöglich, nur weil Staaten autoritär geführt werden.

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung äusserte sich letztes Jahr nicht nur an der Wahlurne. Sie zeigte sich auch in Protesten auf der Strasse. In Kenya brachte der Aufstand der Jungen fast eine Regierung zu Fall. Auch in Nigeria und Uganda demonstrierten sie monatelang.

Das ist auch eine Folge der rasanten Verstädterung Afrikas. In den Städten leben immer mehr Junge, Gebildete, die über fehlende Möglichkeiten frustriert sind. In Städten ist es zudem einfacher, Menschen zu mobilisieren. Die jungen Generationen wissen, dass die politischen Systeme oft nicht halten, was sie versprechen, und dass die Gesetze, die es auf dem Papier geben mag, nicht durchgesetzt werden. Diese Jungen verstehen inzwischen auch das politische Spiel der etablierten Kräfte und verhalten sich entsprechend. In Kenya zum Beispiel gab es letzten Sommer ausdrückliche Hinweise der Demonstrierenden, dass ihr Protest keine ethnische Bewegung sei. Es gelang ihnen zu kommunizieren, dass es sich um eine breite kenyanische Bewegung handle, die sich für eine verantwortungsvollere Regierung und für neue Ideen im Sinn der Bevölkerung einsetze.

Welche Rolle spielten dabei die sozialen Plattformen?

Wenn man Proteste ausserhalb von politischen Parteien oder amtierenden Führern organisieren will, muss man sich an die Zivilgesellschaft wenden. Das geht am besten via soziale Netzwerke. In diesem Zusammenhang wichtig ist aber auch die Desinformation. Sie verstärkt das ohnehin bestehende Misstrauen der Bürger. Aber nochmals, auch das hat nicht unbedingt mit Afrika zu tun. Desinformation ist nicht zuletzt auch in den USA eine grosse Herausforderung, wie wir in den vergangenen Monaten sahen.

Wichtige antidemokratische Entwicklungen der letzten Jahre in Afrika waren die Militärcoups in mehreren Sahelländern. Welche Rolle spielte die Desinformation dabei?

Es ist bekannt, dass Akteure wie Russland in einigen Sahelstaaten falsche Informationen verbreiten. Die Putsche waren aber vor allem möglich, weil die Bürger enttäuscht waren über die Leistung ihrer Regierungen. Eine Reaktion darauf ist, dass man für eine effektivere, demokratischere Regierung auf die Strasse geht. Oder man geht auf die Strasse, um einen Staatsstreich zu feiern, weil man hofft, dass die Militärs eine effizientere Regierung stellen werden. Diese Reaktionen liegen nur scheinbar weit auseinander, in beiden Fällen werden die Bürger durch das Versagen der Regierung angetrieben. Die Realität ist für viele Bürger so schmerzhaft, dass sie zumindest eine Zeitlang bereit sind, jeden zu unterstützen, der Linderung verspricht.

Bereits Anfang der neunziger Jahre kam es in vielen Staaten Afrikas zu einer demokratischen Welle. Erkennen Sie Parallelen?

Die Qualität der Demokratie ist heute viel höher als in den frühen neunziger Jahren. Es gibt eine Reihe von Ländern wie beispielsweise Ghana, Sambia und Malawi, die bereits mehrere friedliche, demokratische Machtwechsel erlebt haben. Es gab und gibt politische Eliten, die bereit sind, zurückzutreten. Aber es stimmt eben auch, dass wir in vielen afrikanischen Ländern noch immer die gleichen Probleme haben wie in den frühen neunziger Jahren: Wahlen, die stark von der Regierungspartei kontrolliert werden und bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie von der Regierungspartei gewonnen werden, sehr gross ist. Damit schliesst sich der Kreis: Die Wahlen in Tansania von diesem Jahr werden nicht demokratischer ablaufen als die in den frühen neunziger Jahren. Und leider trifft das auf viele Länder zu, in denen dieses Jahr gewählt werden wird. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass es auch kein «Afrika» gibt, wenn es um Demokratie geht.

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