Mit einem umstrittenen Gesetz will Finnland seine innere Sicherheit schützen.
Finnland legalisiert Pushbacks. Dies hat das finnische Parlament am Freitag beschlossen. Rückblende: Im November 2023 schieben Dutzende Männer an der finnisch-russischen Grenze Kindervelos durch den Schnee. Die Migranten stammen aus Drittstaaten wie Somalia, dem Irak oder Jemen und verfügen über keine gültigen Reisedokumente. Die russischen Grenzbeamten drängen sie in die Grenzzone und schliessen die Barriere hinter ihnen. Der einzige Weg für die Männer führt nach Finnland, wo sie Asyl beantragen.
1314 Migrantinnen und Migranten kamen im Herbst über die finnische Ostgrenze ins Land. Es handelte sich dabei nicht um eine gewöhnliche Fluchtbewegung und nicht um gewöhnliche Flüchtlinge. Der Kreml liess die Menschen an die Grenze bringen, um in Finnland Chaos und Verunsicherung zu stiften. Laut der Polizei ist es wahrscheinlich, dass auch Personen ins Land gelangt sind, die Finnlands innere Sicherheit gefährden könnten. Ein Viertel der Asylsuchenden ist inzwischen aus den Durchgangszentren verschwunden. Ihr Verbleib: unklar.
Das gezielte Destabilisierungsmanöver veranlasste Finnland dazu, die Grenze im Dezember 2023 komplett zu schliessen. Die Regierung fürchtet, dass sich der Hybridangriff wiederholt, sobald die Grenzübergänge wieder geöffnet werden. Um in diesem Fall reagieren zu können, braucht Finnland eine griffige Rechtsgrundlage. Doch wie weit darf ein Staat gehen, um sich gegen instrumentalisierte Migration zu wehren?
Das Gesetz: Gewalt erlaubt, aber nur zeitlich begrenzt
Das Pushback-Gesetz soll Finnland die rechtlichen Mittel geben, sich gegen die von Russland instrumentalisierte Migration zu wehren. Konkret bedeutet dies, dass an der Ostgrenze vorübergehend keine Asylgesuche entgegen genommen werden, wenn es Hinweise darauf gibt, dass der Kreml gezielt Menschen nach Finnland zu drängen versucht und die innere Sicherheit dadurch gefährdet wird. Notfalls dürfen Grenzbeamte Gewalt anwenden, um die Migrantinnen und Migranten nach Russland zurückzudrängen.
Das Gesetz ist dennoch keine pauschale Pushback-Ermächtigung. Die regulären Asylverfahren können jeweils für maximal einen Monat aufs Mal ausgesetzt werden. Für besonders gefährdete Personen wie Kinder und behinderte Menschen sollen Ausnahmen gemacht werden. Darüber, wann das Gesetz zur Anwendung kommt, entscheidet der Präsident gemeinsam mit der Regierung.
Die Gegner: Finnland schafft den Rechtsstaat ab
Das Gesetz wurde im Vorfeld von vielen Völkerrechtlern kritisiert. Es widerspricht der finnischen Verfassung und verstösst gegen internationale Vereinbarungen, unter anderem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung legt fest, dass kein vertragschliessender Staat einen Flüchtling in ein Land abschieben darf, wo sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind. Ob dies der Fall ist, lässt sich nur durch eine individuelle Prüfung ermitteln. Genau dies soll gemäss finnischem Sonderrecht nicht geschehen.
Ineffizient, verfassungwidrig, unrechtsstaatlich: So beschrieben die Gegner das Gesetz in der Parlamentsdebatte am Freitag. Sie verlangten eine effizientere Bearbeitung der Asylgesuche statt Pushbacks. Li Andersson, Parteipräsidentin der Linksallianz, betonte, dass sich Entscheidungsträger nicht über Menschenrechte hinwegsetzen dürften. Nur weil Menschen von den russischen Behörden für einen hybriden Angriff instrumentalisiert würden, bedeute dies nicht, dass sie kein Bedürfnis auf Asyl hätten oder gar eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellten.
Die Gegner warnten auch davor, dass das Gesetz die finnischen Grenzbeamten in eine schwierige Situation bringen werde. Sie müssten im Ernstfall abwägen, ob sie sich an das finnische Sondergesetz oder an die internationale Rechtsprechung hielten. Polen und Litauen, die 2021 einem hybriden Angriff vom weissrussischen Autokrat Lukashenko ausgesetzt waren, wurden später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für ihre Pushbacks gerügt.
Die Oppositionsparteien Linksallianz und Grüne stimmten geschlossen gegen die Vorlage. Die Fraktion der Sozialdemokraten sprach sich für das «Grenzsicherheitgesetz» aus, sechs Mitglieder wichen jedoch von der Parteilinie ab. Bemerkenswert war, dass auch eine Vertreterin der Schwedischen Volkspartei, die Teil der Regierung ist, Nein stimmte.
Die Befürworter: Es geht um innere Sicherheit
Die Befürworter betonten in der Debatte, dass es nicht um Migrationspolitik, sondern um Sicherheitspolitik gehe. Das Gesetz verstosse nicht gegen Menschenrechte, im Gegenteil, es stärke sie, indem man nicht zulasse, dass Russland Menschen für seine Zwecke instrumentalisiere. Es gebe keine Alternativen, um den russischen Hybridangriff zu verhindern. Man müsse ein klares Signal an den Kreml senden.
Hanna Kosonen von der nationalen Sammlungspartei wohnt nur 37 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. In Ostfinnland gebe es kaum jemand, der das Gesetz nicht befürworte, sagte sie im Parlament. «Ohne dieses Gesetz entscheidet Russland, wer nach Finnland kommt.» Ein Teil der Personen, die im Herbst gekommen seien, sei bereits verschwunden. Der Rechtsstaat müsse über Mittel verfügen, um seine Sicherheit zu garantieren.
Fünf Sechstel des Parlaments hielten es wie Kosonen. Das Gesetz wurde mit 167 zu 31 Stimmen für dringlich erklärt und inhaltlich angenommen. Es tritt per sofort befristet für ein Jahr in Kraft. Ministerpräsident Petteri Orpo sagte nach der Abstimmung: «Ich hoffe, dass das Gesetz nie zur Anwendung kommt – aber jetzt sind wir vorbereitet.»

