Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat am Mittwoch neue, bessere Zahlen vorgelegt. Allerdings steigen die Ausgaben immer noch stärker als die Einnahmen.
Es ist ein kommunikativer Kantengang. Seit Monaten sind die Finanzen das dominierende Thema in Bern: Armee, Entwicklungshilfe, AHV, Bildung, Verkehr – nach finanziell gemütlichen Jahren muss die Politik plötzlich Prioritäten setzen. Gerade erst hat der Bundesrat ein milliardenschweres Entlastungspaket präsentiert, das massive Widerstände auslöst, just am Dienstag hat die Bildungslobby bei einem grossen Auftritt in Bern Alarm geschlagen.
Tags darauf trat die oberste Finanzchefin vor die Medien. Karin Keller-Sutter hat am Mittwoch zuerst ihre Bundesratskollegen und danach die Öffentlichkeit über die neusten Zahlen informiert. Die Botschaft: Es sieht besser aus, aber nicht gut. Das Entlastungspaket ist weiterhin notwendig, um die Vorgaben der Schuldenbremse in den kommenden Jahren einzuhalten – um vor allem das anvisierte starke Wachstum der Armeeausgaben umsetzen zu können. Ohne das Paket ist 2027 immer noch mit einem Defizit von fast 2 Milliarden Franken zu rechnen.
Allerdings – und hier wird es politisch heikel – muss das ungeliebte Paket angesichts der neuen Zahlen nicht mehr zwingend in vollem Umfang umgesetzt werden. Zunächst einmal sind für 2026 keine Sparübungen mehr notwendig, um die Bundeskasse im Lot zu halten. Danach, in den Jahren 2027 und 2028, fallen die drohenden Fehlbeträge weniger gross aus als angenommen. Dies hat zum einen mit bereits beschlossenen Kürzungen zu tun sowie mit der guten Wirtschaftslage, die weiterhin für einen verblüffenden Anstieg der Einnahmen sorgt.
Zum anderen profitiert der Bund von einem besonderen Geldsegen aus dem Kanton Genf. Wie sich laut offiziellen Angaben erst vor kurzem zeigte, hatten Firmen aus dem Rohstoff- und Energiesektor in den Jahren 2022 und 2023 dank gestiegenen Preisen ungewöhnlich hohe Gewinne erzielt. Diese wiederum führen nun dazu, dass neben Genf auch der Bund höhere Steuern kassiert. Er rechnet in den nächsten drei Jahren mit einem Plus von gesamthaft 1,6 Milliarden Franken. Allerdings sei dies ein einmaliges Phänomen.
Neue Vorzeichen für den Verteilkampf
Unter dem Strich ist 2027 und 2028 weiterhin mit Finanzierungslücken zu rechnen. Dadurch aber, dass sie kleiner ausfallen, verändern sich die Vorzeichen für die bevorstehende Finanzdebatte: Die Argumentation, das Parlament müsse das Paket unbedingt als Ganzes beschliessen und dürfe es keinesfalls aufschnüren, wird wohl noch weniger Gehör finden. Aus den neuen Zahlen lässt sich überschlagsmässig ableiten, dass das Paket um einen Viertel bis einen Drittel abgespeckt werden kann, ohne dass der Bund unmittelbar die Schuldenbremse verletzt.
Umso härter dürfte der Verteilkampf ausfallen. Die vielen Lobbys, die von den Ausgabenkürzungen betroffen sind, werden noch vehementer für ihre Partikularinteressen kämpfen. Das Paket umfasst Massnahmen in Bereichen wie AHV, Verkehr, Bildung, Klimapolitik, Entwicklungshilfe, Flüchtlingsintegration, Bundespersonal, Kultur und Medien. Manche bewirken höhere Ausgaben bei Kantonen, Studierenden oder Bahnkunden. Das Parlament soll sich ab Ende Jahr mit dem Paket befassen.
Die Unsicherheiten sind weiterhin gross, vor allem weil noch immer nicht klar ist, woher das Geld für die AHV-Renten kommen soll. Bundesrätin Keller-Sutter sprach sich vor den Medien in aller Deutlichkeit für eine rasche Finanzierung der 13. AHV-Rente aus, die unter anderem von ihrer Partei, der FDP, abgelehnt wird. Weil die AHV im Bundesbudget stark ins Gewicht fällt, kann es hier rasch um mehrere hundert Millionen gehen, die zusätzlich fehlen.
Eine weitere Baustelle betrifft die Mehrwertsteuer: Nach Gesetz wird der offiziell befristete Sondersatz der Hotellerie 2027 auslaufen. Doch weil das Parlament ein Herz für den Tourismus hat und dieser politisch gut organisiert wird, geht Keller-Sutter davon aus, dass das Steuerprivileg verlängert wird. Das «kostet» den Bund 200 bis 300 Millionen im Jahr, was den Spardruck verstärkt. Ebenfalls unsicher ist, wie hoch ab 2026 die Einnahmen aus der neuen OECD-Mindeststeuer für internationale Konzerne ausfallen.
Keller-Sutter: Entlastungspaket oder höhere Steuern
Erheblich sind auch die politischen Risiken. Wie immer das Entlastungspaket nach den Debatten im Parlament aussehen wird: Mit einem Referendum ist zu rechnen, weil SP, Grüne und Gewerkschaften grundsätzliche Vorbehalte haben. Am liebsten möchten sie die Schuldenbremse lockern. Die Volksabstimmung dürfte Ende September 2026 stattfinden. Falls das Paket scheitert, wird es sehr schwierig.
Wie der «Plan B» aussähe, ist noch unklar, der Bundesrat will seine Absichten jedoch frühzeitig offenlegen. Das Parlament müsste innert weniger Wochen ein mutmassliches Defizit von 2 Milliarden aus der Welt schaffen – ein Kraftakt. Denkbar sind rabiate Kürzungen in Bereichen, die gesetzlich nicht gebunden sind, wie Landwirtschaft, Entwicklungshilfe oder Armee – oder aber «Tricks» mit Fondseinlagen, optimistischen Annahmen oder ausserordentlichen Verbuchungen. Mit derlei Kniffen beträte das Parlament jedoch rasch rechtlich fragwürdiges Gelände.
Mittelfristig hingegen wäre der Fall laut Keller-Sutter klar: Wenn das Entlastungspaket scheitert, rechnet sie mit einer Steuererhöhung. Diese könnte jedoch schon nur wegen der gesetzlichen Fristen nicht auf die Schnelle umgesetzt werden. Volk und Stände haben zwingend das letzte Wort, wenn die Mehrwertsteuer oder die Maximalsätze der Bundessteuer steigen sollen.
Eindeutig positiv ist wiederum der Rechnungsabschluss 2024. Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie schreibt der Bund kein Milliardendefizit und kann die Nettoschulden immerhin ein klein wenig abbauen (von 141,7 auf 141,4 Milliarden Franken). Die Linke reagiert empört, weil der Abschluss deutlich besser ist als budgetiert. Statt 2,6 Milliarden beträgt das Defizit nur 80 Millionen.
Die Gründe sind laut dem Bund relativ banal: Eine Finanzspritze für die SBB von 1,2 Milliarden wurde um ein Jahr verschoben. Die Einnahmen lagen um 1,1 Milliarden oder 1,3 Prozent über dem Budget, nachdem sie zuvor viermal in Folge unterschätzt worden waren. Und die Ausgaben lagen 0,4 Milliarden unter dem Budget.