Mittwoch, Oktober 30

Es ist eine ungewöhnliche Kombination, aber typisch für die Costa Brava: der Reiseintopf Mar i Muntanya, der Fisch oder Meeresfrüchte mit Fleisch und Würsten vereint.

Mar i Muntanya: dunkler Reis auf Basis von Soffritto, mit Schweinefleisch und Meeresfrüchten

Mit gesenktem Blick schreitet er langsam über den Strand, schwenkt mit regelmässigen Bewegungen seinen Metalldetektor hin und her, ganz konzentriert auf die Töne aus seinem Kopfhörer, den Boden, die Hoffnung, einen kleinen Schatz zu finden – und sei es nur eine Münze, die einem Badetouristen im letzten Sommer aus der Tasche gerutscht ist. Ab und zu geht er in die Knie, stochert mit einer kleinen Gartenschaufel im Sand herum, findet etwas, betrachtet es, wirft es weg und steht wieder auf, um seine Prozession fortzusetzen. Sein Gesicht hat es sich längst abgewöhnt, Hoffnung oder Enttäuschung zu zeigen.

Wenige Meter von dem Suchenden entfernt glucksen die Wellen des Golf de Roses gegen die Ruinen einer Hafenmole, die zur altgriechischen Stadt Empúries gehört – der bedeutendsten Ausgrabungsstätte des Baix Empordà, wie dieser Abschnitt der Costa Brava heisst. Auf der Böschung über dem Sandstreifen recken sich ein paar windkrüpplige Pinien in die Luft, und dahinter, unter einem makellos azurblauen Himmel, leuchten weiss die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen. In weniger als einer Autostunde kann man hier vom Strand auf eine Piste gelangen. Am Morgen liegt man im Bikini in der Sonne, am Nachmittag donnert man im Skianzug über den Schnee – und zum Dinner kann man schon wieder in einem der Hafenrestaurants sein und Seeigel essen, Tomatenbrot mit Anchovis aus dem Golf oder ein Petermännchen, das beim Anblick der Pfanne noch zuckte.

Perfekt passt da auch, was im Moment auf meinen Lippen nachlebt: Mar i Muntanya, ein Klassiker der katalanischen Küche, dessen akkurate Zubereitung ich heute früh in der Kochschule von Iolanda Bustos gelernt habe. «Meer und Berg» beschreibt eigentlich eine ganze Kategorie von Gerichten, die typische Zutaten aus der See (Meeresfrüchte oder Fisch) und aus den Pyrenäen (in der Regel Schweinefleisch oder Huhn, manchmal Wild, oft auch Würste) mit Reis zu einem Eintopf kombinieren. Welche Meeresfrüchte und was für Fleisch genau in die Pfanne kommen, hängt von der Verfügbarkeit und also vom Ort und von der Jahreszeit ab. Denn die Küche der Costa Brava ist sehr stark regional geprägt. Das passt zu der Eigenheit, die jeder Weiler, jede Bucht hier ausstrahlt. Keiner hat das so begeistert beschrieben wie der Journalist Josep Pla (1897–1981), der berühmteste Sohn der Gegend: «Alles ist lokal: das Wetter, die Küche, die Dialekte, die Leute. Alles ändert sich in einem fort. Einige Meilen weiter im Norden oder weiter im Süden, und alles ist anders: die Richtung der Winde, das Fischaroma, die Knoblauchmenge im Kochtopf, die Mundart, der Geschmack, die Gefühle. Die Nuancen sind faszinierend, erstaunlich.»

Wichtiger als die Art von Fleisch oder Fisch, die in den Topf kommt, ist das Sofregit, das spezielle Soffritto, das die Grundlage vieler katalanischer Gerichte und also auch die Basis von Mar i Muntanya ausmacht. Für dieses Soffritto werden Zwiebeln so lange in Olivenöl geköchelt, bis sie sich beinahe auflösen und alle Zutaten miteinander verschmelzen – «wie bei einer Konfitüre», heisst es bei Pla. Manche «xefs», erzählt mir Iolanda Bustos, kochten die Zwiebeln während 12 oder sogar 24 Stunden ein. Kein Wunder, kann man das katalanische Soffritto im Land selbst auch bereits fertig geschmort im Gläschen kaufen, hergestellt von diesem oder jenem Küchenchef mit oder ohne Stern. Da das Perfekte bekanntlich der Feind des Guten ist, beschränke ich mich darauf, die Zwiebeln eine gute Dreiviertelstunde lang zu schmoren, dann haben sie schon ein sehr volles, röstiges, süssliches Aroma und jene braune Farbe, die dem Reis seine charakteristische dunkle Tönung gibt.

Dass das Schweinefleisch in der Kochschule von Iolanda Bustos von einem Bauern in den nahen Pyrenäen produziert wird, versteht sich von selbst. Ebenso natürlich ist es, dass die Garnelen und Langustinen aus dem Fang eines lokalen Fischers stammen. Mit welchen Booten man dem «peix» auf die Schuppen rückt, habe ich in Palamós gesehen, einem der zwei grossen Häfen der Costa Brava. Im modernen Museu de la Pesca kann man da auch studieren, wie die «pescadors» früher arbeiteten und nach welch streng reglementierten Methoden heute vor der Costa Brava gefischt wird.

«In dem Land, in dem ich lebe, dem Baix Empordà, werden alle Arten von Reisgerichten gekocht», erklärt Josep Pla – und fügt mit einem für ihn so typischen Augenzwinkern an: «Insbesondere spezialisiert aber sind wir auf gute Reisgerichte.» Dass der Reis eine so zentrale Rolle in der Küche Kataloniens spielt, rührt wenig überraschend daher, dass er hier auch traditionell angebaut wird. Das Zentrum der «cultiu d’arròs» ist Pals, ein charmanter Weiler mit einem gut erhaltenen Kern aus dem Mittelalter, an dessen Mauern, Toren, Türmen und Häusern sich die wechselvolle Geschichte dieser stark umkämpften Gegend ablesen lässt. Es gibt immer noch einige Reisproduzenten in dem ehemaligen Sumpfgebiet rund um das Dorf. Ganz besonders lohnt sich der Besuch der Molí de Pals, denn Eva Gil und ihr Mann haben hier ein kleines Museum eingerichtet, in dem man Schritt für Schritt nacherleben kann, wie der Reis aus der Gegend früher verarbeitet wurde und heute behandelt wird. Speziell eindrücklich fand ich eine Reismühle aus dem frühen 20. Jahrhundert mit einer hölzernen Struktur, die auf drei Etagen verschiedene Maschinen miteinander verknüpft und das Korn über diverse Bänder und Aufzüge von einem Prozess zum nächsten führt.

Ein weiteres Traditionsprodukt aus dem Baix Empordà, das bei Mar i Muntanya eine zentrale Rolle spielt, ist Olivenöl. Kein Wunder also, führt Iolanda Bustos ihre Schülerinnen und Schüler heute vor allem auf der Hazienda eines Olivenölproduzenten in die Geheimnisse des dunklen Reises ein. Das Gut gehört Roland Zanotelli, einem Unternehmer aus Basel, der sich vor vielen Jahren in diese Gegend verliebte und bald begann, hier Olivenöl anzubauen. Iolanda Bustos führte früher ein eigenes Restaurant, «La Calèndula». Heute aber kocht sie «am liebsten draussen, zwischen den Olivenbäumen, mit Blick auf die Berge oder aufs Meer».

Mit einem Metalldetektor und fest auf den Boden gehefteten Augen dürfte man die wahren Schätze des Baix Empordà wohl nur schwerlich entdecken. Kein Wunder, wirkt der Mann ein wenig frustriert, dem sonnigen Wetter zum Trotz. Wäre die Luft nur ein bisschen wärmer, ich selbst würde es an diesem Ort zwischen «mar y muntanya» jetzt wohl machen wie Josep Pla: «Eine der grössten Freuden ist es, sich nach dem Essen für ein paar Stunden in den Schatten eines Bootes zu legen. Nachmittags um zwei Uhr hat dieser Schatten eine bräunliche Farbe und ist nur ein paar Handspannen breit [. . .]. Das Ganze ist so einfach, und inmitten der brennenden Raserei ist der Schatten so kühl, dass eine herrliche Schläfrigkeit in dich eindringt, eine organische Vagheit dein Inneres befällt.»

Zutaten (für 2 bis 4 Personen)

  • 50 ml Olivenöl für das Soffritto
  • 1 kg Zwiebeln, fein gehackt
  • 1 TL Salz
  • 1 EL Tomatenmark
  • 100 ml Rotwein
  • 2 EL Olivenöl für das Anbraten
  • 150 g Hals vom Schwein, in Stücken
  • 1 TL Salz
  • 100 g Schweinsbratwurst, in ­Stücken, eher dünne Sorte
  • 200 g Mittelkornreis (Bomba, Carnaroli, Arborio)
  • 150 g Sepia, geputzt, in Stücken
  • 4 Knoblauchzehen, mit Schale
  • 1 TL Pimentón de la Vera (geräuchertes Paprikapulver)
  • 750 ml Fischfond, heiss
  • 2 frische Lorbeerblätter
  • 20 Vongole mit Schale (200 g), geputzt
  • 8 frische Garnelen (240 g), ganz
  • 1 Knoblauchzehe, fein gehackt
  • 2 EL Petersilie, gehackt
  • 1 TL schwarzer Pfeffer
  • 1 EL Olivenöl zum Beträufeln

Zubereitung (Kochzeit 90 Minuten)

  • 50 ml Olivenöl in einer Pfanne erwärmen, Zwiebeln und 1 TL Salz beigeben, unter häufigem Rühren glasig dünsten.
  • Tomatenmark einrühren und leicht anziehen lassen, mit Rotwein ablöschen und auf eher kleiner Flamme unter gelegentlichem Rühren etwa 50 Minuten köcheln, bis die Masse eine dunkle Farbe und die Konsistenz einer altmodischen Konfitüre hat.
  • 2 EL Öl in einer schweren (gusseisernen) Kasserolle erwärmen, Schweinehals mit 1 TL Salz bestäuben und gut anbraten. Nach einigen Minuten die Wurst dazulegen und mitbraten.
  • Reis, Tintenfisch, Paprikapulver, ganze Knoblauchzehen und geschmorte Zwiebeln in den Topf geben, Fischfond angiessen, Lorbeerblätter beigeben, aufkochen, Hitze reduzieren, 15 Minuten ohne Deckel köcheln lassen, möglichst nicht umrühren. In einer Pfanne mit dickem Boden sollte die Masse nicht ansitzen.
  • Muscheln in den heissen Reis stecken. Garnelen auflegen und leicht in die Masse drücken. Knoblauch, Petersilie und Pfeffer aufstreuen. Alles 3 bis 5 Minuten köcheln, bis sich die Muscheln geöffnet haben. Man kann den Topf auch kurz zudecken, damit sich die Muscheln schneller aufgähnen.
  • Vor dem Essen ein paar Minuten stehen lassen. Zum Schluss mit etwas Olivenöl beträufeln.

Ja nach Verfügbarkeit kann man den Reis auch mit anderen Meeresfrüchten zubereiten, etwa mit Kalmar, Miesmuscheln und Langustinen.


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