Die Stadt ist hoch verschuldet, einige Stadträte sehen aber andere Probleme und fordern geschlechtergerechte Strassennamen. Das Parlament hat einen entsprechenden Vorstoss an den Gemeinderat überwiesen. Auch der sieht Handlungsbedarf – allerdings nur bedingt.
Bern gilt seit Jahren als die linkste Stadt der Schweiz. Eine rot-grüne Mehrheit dominiert im Gemeinde- und im Stadtrat. Und sie steht dort vor grossen Herausforderungen.
Die Stadt kämpft mit hohen Schulden. Für das Budget 2025 rechnet der Gemeinderat mit einem Defizit von 28 Millionen Franken. Bürgerliche kritisierten das heftig. Dennoch nahm das Stimmvolk das Budget Ende November klar an. Nun bleibt die Frage: Was kann sich die Stadt künftig noch leisten?
Das Berner Stadtparlament beschäftigt sich derzeit allerdings auch mit den Stadtberner Strassen. Es geht um die Frage, ob Strassennamen wie Fischerweg, Buchdruckerweg, Genossenweg noch zeitgemäss sind. Das Berner Stadtparlament nahm das Thema am Donnerstagabend erneut auf.
Das Anliegen, Strassennamen zu gendern, wirkt angesichts der finanziellen Probleme seltsam. Doch in Bern ist diese Debatte nicht neu.
«Veralteter patriarchalischer Dogmatismus»
Jemima Fischer von der Alternativen Linken brachte das Thema 2021 mit einer Motion ins Stadtparlament. Fischer sitzt seit März 2023 nicht mehr im Stadtrat, doch ihr Vorstoss spaltet weiterhin die Meinungen. Die Strassennamen zeugten von «antiquiertem patriarchalischem Dogmatismus», schreibt Fischer in der Motion. Viele Namen seien überholt und müssten ersetzt werden.
Am Donnerstag bekräftigte der AL-Stadtrat David Böhner diese Forderung. «Eine Stadt, die Gleichberechtigung ernst nimmt, sollte das auch im öffentlichen Raum zeigen.»
Dabei zeigt sich die Stadt Bern bereits progressiv. Frauen besetzen fast 40 Prozent der Kaderstellen in der städtischen Verwaltung. Im Oktober beschloss das Stadtparlament sogar eine Kaderquote für queere Personen. Künftig sollen mindestens 50 Prozent der Führungspositionen an Frauen, Intersexuelle, Nichtbinäre, Trans- oder Agender-Personen gehen.
Einmal weiblich – einmal männlich
Auch bei Strassennamen soll es künftig eine Art Quote geben. Fischer forderte in ihrer Motion, alle Strassennamen geschlechtergerecht zu gestalten – einschliesslich nichtbinärer Varianten. Im Vorstoss werden mehrere Varianten genannt. Daraus ergäbe sich ein buntes Potpourri, je nach Vorliebe kann dadurch der Genderstern oder ein Schrägstrich verwendet werden. Fischer schlug beispielsweise vor, den Fischerweg zum Fischer*innenweg zu machen, den Buchdruckerweg in Buchdrucker/innenweg umzubenennen, den Genossenweg abwechselnd in Genossenweg oder Genossinnenweg umzutaufen.
Stadtrat Böhner sagte im Parlament, dass die Namen gegendert werden sollten, wie es die Stadt Bern in ihrem Sprachleitfaden ebenfalls tue. Dies könne spielerisch gestaltet werden. «Zum Beispiel könnte auf dem Strassenschild mal die männliche und mal die weibliche Form stehen.» Anwohner müssten ihre Adresse nicht ändern. «Der Pöstler oder die Pöstlerin findet die Adressen auch in einer gegenderten Form.»
Böhner verwies zudem auf die Fussball-Europameisterschaft 2008. Damals strömten niederländische Fans in Scharen nach Bern. Die Stadt benannte die Kornhausbrücke kurzerhand in eine niederländische Variante um und versah sie mit einem orangen Strassenschild. «Das funktionierte damals auch völlig unbürokratisch», sagte Böhner.
«Ein Vorstoss fernab jeder Realität»
Wenig Verständnis zeigte Ursula Stöckli von der FDP für das Anliegen der AL. Der Vorstoss sei fernab jeder Realität. In der Stadt gebe es offenbar keine anderen Probleme. «Benennt die Strassen allesamt nach Blumen, Bäumen oder Bergen. Dann wäre das Problem gelöst», schlug Stöckli vor.
Doch sie blieb im Parlament eine der wenigen Gegenstimmen. Im Stadtrat fand der Vorschlag breite Unterstützung. Mit 43 zu 13 Stimmen überwies das Parlament die Richtlinienmotion am Donnerstag an den Gemeinderat. Konkrete Folgen hat das vorerst nicht.
Frauennamen ja, aber keine Umbenennungen
Die Verantwortung für die Benennung von Strassennamen liegt laut Gesetz ohnehin beim Gemeinderat. In seiner schriftlichen Antwort auf die Motion lehnte dieser die Umbenennung bestehender Strassennamen ab. Der Grund: Der administrative Aufwand und die Kosten sind zu hoch.
Effektive Kosten liessen sich zwar nicht beziffern, schreibt die Gemeinderätin und designierte Stadtpräsidentin Marieke Kruit auf Anfrage. Die Stadt lehne Umbenennungen weiterhin ab, soweit sie nicht einen «unhaltbaren Zustand» beseitigten oder dem ausdrücklichen Wunsch aller Anwohner entsprächen. «An dieser Position ändert der Parlamentsentscheid vom Donnerstag nichts.»
Der Gemeinderat erkenne aber an, dass Frauen bei den Strassennamen in Bern untervertreten seien. Deshalb will er Frauen bei zukünftigen Benennungen bevorzugen – so lange, bis mindestens die Hälfte der geehrten Personen weiblich sind.
Doch dieses Ziel liegt in weiter Ferne. Kruit räumt ein, dass dieses Vorgehen nicht von heute auf morgen grundlegende Änderungen mit sich bringen wird. Bis die angestrebte Quote erreicht werden kann, dauert es also noch einige Zeit: Seit der Vorstosses im Frühjahr 2021 eingereicht wurde, sind in Bern keine neuen Strassen benannt worden.
Auch Kriegsherren sollen Platz machen
Das Parlament gab am Donnerstag seinem Wunsch nach mehr Frauennamen auf Berner Strassen mit einer weiteren Motion noch mehr Ausdruck. Es überwies auch den Vorstoss der Grünen und der Jungen Alternativen an den Gemeinderat. Laut dem Vorstoss sollen Strassen, die einen militärischen oder kriegerischen Bezug haben, künftig die Namen von Frauen tragen, die sich für den Frieden starkgemacht haben.
In Bern haben rund 25 Strassen einen direkten militärischen Kontext, darunter das Bollwerk, die Schützenmattstrasse und der Kanonenweg. Viele weitere Strassen stehen in einem indirekten Zusammenhang damit, denn sie tragen die Namen von Berner Anführern in alten Schlachten.