Die britische Pop-Sängerin versteht es, ihr Leben und Leiden in Songs zu übertragen. Mit ihrem neuen Album «Eusexua» propagiert sie eine rauschhafte Sinnlichkeit.
Ist die Frau verrückt? Mit wehendem Haar stolpert und tänzelt sie durch einen düsteren Tunnel, als wäre sie gerade eben aus einem Auto gestossen worden. Vielleicht aus einer Limousine? Ihr knappes rotes Abendkleid lässt jedenfalls auf eine luxuriöse oder glamouröse Existenz schliessen.
Bei der jungen Frau handelt es sich um FKA Twigs. Zu kühlen Elektro-Beats kämpft sich die Pop-Sängerin im Video zu ihrem neuen Song «Striptease» an den Automobilisten vorbei, die ihr kurze Blicke zuwerfen. Keiner hält an, keiner hilft. Was verbirgt sich hinter den Männeraugen? Erstaunen, Sorge? Oder nur Geilheit?
Eitel, einsam, scheu
Am Ende des Clips schreitet FKA Twigs zwar stolz aus dem Tunnel. Aber führt ihr demonstratives Selbstbewusstsein nun nicht jene Einsamkeit im Schlepptau, die sie in ihren Liedern inständig besingt? Einsames Leiden und obsessive Selbstbespiegelung prägen ihre ebenso avantgardistische wie melancholische Musik, seit sie 2012 auf «EP1» ihre ersten Songs veröffentlicht hat.
Introspektion zelebriert sie auch wieder auf «Eusexua», ihrem dritten Studioalbum. In «Sticky» vor allem: Dumpfe E-Piano-Akkorde ziehen in diesem Song eine traurige Schlaufe durch den Raum. Das melodische Drehmoment unterstreicht das zwanghafte Mantra sich wiederholender Klagen. Sie habe genug von «sticky situations», mit denen sie sich das Leben schwermache, singt FKA Twigs. Sie will geliebt werden, aber sie traut niemandem. Ihre Pein beschreibt sie als «little snakes» – kleine Schlangen, die sich in ihrer Frustration winden.
Der Körper ist eine beengende Kapsel in einer feindseligen Welt, in der FKA Twigs ungute Erfahrungen gesammelt hat. Seit sie als Tochter eines Jamaicaners als einziges dunkelhäutiges Mädchen in der englischen Provinz aufgewachsen ist, trägt sie die Angst vor Ablehnung mit sich wie einen Schatten.
Umso schlimmer, dass ihre Liebesaffären bisher in Katastrophen ausarteten. Die skandalträchtige Affäre mit dem offenbar übergriffigen Schauspieler Shia LaBeouf ging durch die Medien. Zuvor war sie verlobt mit Robert Pattinson, dessen Fans die Sängerin in den Social Media so lange verunglimpften, bis sie sich zurückzog. 2017 ist sie auch noch schwer erkrankt, sie musste sich die Gebärmutter operieren lassen.
Aber FKA Twigs hat sich nicht kleinkriegen lassen. Der Musikerin, die sich auch als Model, Tänzerin und Schauspielerin in Szene setzt (2024 in «The Crow»), gelingt es vielmehr, Leben und Leiden in faszinierenden Klangbildern aufzuarbeiten. In ihrer Musik verwandeln sich sinnliche Impulse scheinbar ungefiltert in Worte und Sounds.
Die zumeist kurzen, prägnanten Lyrics nehmen sich tatsächlich aus wie kleine Eruptionen aus einem skeptischen Hirn. Die Harmonien schweben als wolkige Schlieren über dem Magnetfeld der Seele. Und die bald flirrenden, bald rauschenden Beats tönen, als würde eine Rhythmusmaschine über Herzfrequenzen und Atmung gesteuert.
Noch selten war in der Pop-Musik die Beziehung zwischen Mensch und Maschine so intim wie bei FKA Twigs. Da passt es auch, dass im Titelsong «Eusexua» der Rhythmus durch ihren Herzschlag vorgegeben wird. Sonst allerdings ergänzt und ersetzt die Künstlerin die innere, vegetative Musikalität nun vermehrt durch harte Techno-Grooves, die von aussen gebieterisch auf den Körper dringen. Dabei geht es fast buchstäblich darum, das verquälte Ego aus seinen verhärtenden Schalen zu klopfen – damit es sich öffnet für orgiastische Erfahrungen.
In «Keep It, Hold It» zögert die Sängerin zuerst. Was sie zu tun habe, fragt sie verloren in einem hallenden Echoraum, der durch Orgel- und Hackbrettklänge nur leicht dekoriert wird. So bleibt viel Platz für FKA Twigs’ verlorene Stimme, der schliesslich ein Chor antwortet: Lass dir und deinen Gefühlen freien Lauf – «just keep it walking, keep it walking, hold it close». Der Vers wird in der Wiederholung zum treibenden Beat.
«Keep It, Hold It» und «Sticky» bilden den Höhepunkt des Albums. Beide Stücke sind Beispiele für FKA Twigs’ unverwechselbare Musikalität. In den anderen Songs lässt sich die Sängerin hingegen vermehrt auf ein dialogisches Spiel mit Trends und Klischees ein.
Anklänge an Madonna
Rhythmisch läuft das auf eine gewisse Vereinfachung hinaus. Die zitierten Stile und Beats aus den neunziger und nuller Jahren – von Techno und Trip-Hop bis House und Elektro-Pop – erzeugen dafür einen hypnotischen Sog und die rauschhafte Atmosphäre eines Raves.
Auf «Eusexua» ist man an Massive Attack erinnert oder an Madonna-Alben wie «Ray Of Light». Madonnas technoider Pop widerhallt zum Beispiel in «Perfect Stranger». FKA Twigs empfiehlt hier kurze Affären mit anonymen Partnern, um sich vor sozialen Zwängen und Vorurteilen zu schützen. In «24hr Dog» propagiert sie masochistische Praktiken, um beim Sex als quasi entmenschlichtes Objekt nicht an die eigene, störende Identität erinnert zu werden. Und in «Drums Of Death» gibt ihr die eigene Stimme zu dröhnend-finsterem Groove teuflische Anweisungen: «Crash the system, diva doll, serve cunt, serve violence.»
In die erotischen Botschaften der Sängerin, deren geschmeidigen Gliedmassen stets auch ein Moment von Schmerz und Versehrtheit anhaftet, mischen sich so scheinbar zynische Phrasen. Insgesamt aber versteht FKA Twigs ihr drittes Album als ein Therapieprogramm. Sie propagiert ein Glück, das in einer zwanglosen und rauschhaften Verbindung von Körper und Geist, von Euphorie und Sexualität zu finden sei. Dafür hat sie auch einen neuen Begriff geprägt: «Eusexua».