Dienstag, November 11

Die rechtsbürgerliche N-VA und der radikale Vlaams Belang werden laut den ersten Auszählungen zu den grössten Parteien. Beide kommen aus der Opposition. Dem Gewinner Bart De Wever von der N-VA wird die Regierungsbildung schwerfallen. Die Stimmenverhältnisse können sich über Nacht aber noch verschieben.

Belgien ist ein kompliziertes Land. Es gibt drei Regionen (Wallonien, Flandern, Brüssel) und drei Sprachgemeinschaften (niederländisch, französisch, deutsch), die sich teilweise überlagern. Schwach ausgebildet ist der nationale Zusammenhalt auch, weil die Bewohner der französischsprachigen Region im Süden politisch eher links stehen, während die Flamen bürgerlich bis national-radikal ticken.

Entsprechend zersplittert ist das Parteienspektrum. Und das wiederum führt dazu, dass der Wahlausgang noch nicht viel darüber aussagt, wer in den kommenden fünf Jahren die Regierung bilden wird.

Ein überraschender Sieger

Vor den Wahlen vom Sonntag war dem Vlaams Belang («Flämische Interessen») ein grosser Sieg prognostiziert worden. Die Partei will die Einwanderung stoppen, woke Politik bekämpfen und vor allem Flandern in die Unabhängigkeit führen.

Die Rhetorik vieler seiner Exponenten ist fremdenfeindlich, manchmal rassistisch. Feindlich ist auch die Einstellung gegenüber Wallonien, der französischsprachigen Region: Die wohlhabende Region Flandern müsse für diese finanziell aufkommen, weil sich die Wallonen zu wenig anstrengten, lautet eine verbreitete Meinung im Vlaams Belang.

Laut den Auszählungen vom Sonntagabend ist es dem Vlaams Belang aber nicht gelungen, die grösste Partei zu werden. Mit einem Anteil von 17 Prozent liegt er auf Platz zwei – sowohl auf nationaler Ebene als auch in Flandern. Sieger ist überraschenderweise die N-VA (Neu-Flämische Allianz) mit einem Stimmenanteil von 21 Prozent.

Im Unterschied zum Vlaams Belang ist sie rechtsbürgerlich ausgerichtet, in Wirtschaftsfragen verfolgt sie eine liberale Politik. Zu den Verlierern der Wahlen zählt die liberale, flämische Partei Open VLD von Ministerpräsident Alexander De Croo (6,4Prozent). De Croo hat laut einem Medienbericht bereits seinen Rücktritt angekündigt.

Flamen sehen sich unterrepräsentiert

Eine Regierung zu bilden, wird sich auch dieses Mal schwierig gestalten. Bei den letzten Wahlen hatte es 494 Tage gedauert, bis die Regierung unter De Croo zustande gekommen war.

De Croo war es nach langen Verhandlungen gelungen, sieben Parteien zu einer Koalition zu vereinen. Dieser gehörten Sozialdemokraten, Liberale und Grüne aus den beiden grossen Regionen an sowie die Christlich-Demokraten aus Flandern.

In Anlehnung an die «Vier Jahreszeiten» des italienischen Komponisten Antonio Vivaldi erfand die Presse für dieses breite Bündnis den Namen «Vivaldi-Koalition». Diese hatte jedoch einen Haken: Weil die beiden grössten Parteien Flanderns nicht an der Regierung beteiligt waren, sahen sich viele Flamen darin nicht ausreichend repräsentiert.

Änderungen sind noch möglich

An der N-VA unter ihrem Chef Bart De Wever wird man bei der Regierungsbildung jetzt nicht vorbeikommen. Eine Neuauflage von Vivaldi wird es kaum geben. De Croo hat am Sonntagabend die Niederlage eingestanden.

Obwohl in den Statuten der N-VA festgehalten ist, dass man sich für die Unabhängigkeit Flanderns einsetzen wolle, hat sich De Wever vor den Wahlen davon distanziert. Stattdessen spricht er sich für den «Konföderalismus» aus. Die gesamtbelgische Regierung wäre nach diesem Modell hauptsächlich noch für die Aussenpolitik und die Verteidigung zuständig. Alle anderen Aufgaben würden noch stärker als bisher an die Regionen delegiert.

In Belgien heisst es allerdings, dass De Wever, der auch Bürgermeister von Antwerpen ist, aus opportunistischen Gründen vom Parteiprogramm abgewichen sei. Sein Ziel sei es, der Chef einer Mitte-rechts-Regierung zu werden.

Die wallonischen Liberalen und die ebenfalls im Süden verankerten ehemaligen Christlichdemokraten Les Engagés haben vor den Wahlen ein Interesse an einem solchen Bündnis bekundet. Beide Parteien haben laut den Auszahlungen vom Sonntagabend aber Stimmen verloren.

Doch das kann sich noch völlig ändern, da Wallonien, wo die beiden Parteien stark sind, beim Auszählen hinterherhinkt. Ein reines Mitte-rechts-Bündnis zu bilden, dürfte Stand Sonntagabend schwierig werden. Zumal De Wever stets betonte, mit dem Vlaams Belang keine Koalition einzugehen.

Hohe Staatsverschuldung

Die neue Regierung wird von ihrer Vorgängerin ein grosses Problem erben: den schlechten Zustand der öffentlichen Finanzen. Belgiens Schulden entsprechen 105 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Das ist einer der schlechtesten Werte in der EU und weit mehr, als laut dem Stabilitätspaket des Staatenbundes zulässig ist. Vorgeschrieben ist dort nämlich, dass die Schulden nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen dürfen.

Die flämische N-VA als überraschender Sieger

Stimmenanteil gemäss Hochrechnungen bei der Parlamentswahl 2024

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