Samstag, Januar 18

Am Montag legt Donald Trump zum zweiten Mal seinen Amtseid als Präsident ab. Der Inauguration Day in den USA hat schon immer für Spektakel gesorgt.

Es ist der wichtigste Umzugstermin der Weltpolitik: wenn der bisherige amerikanische Präsident das Weisse Haus verlässt und sein Nachfolger feierlich einzieht. Alle vier Jahre, jeweils am 20. Januar, ist Schlüsselübergabe – sofern nicht gerade eine zweite Amtszeit ansteht. Der Alte geht, der Neue legt seinen Eid ab. Und Washington putzt sich heraus, Sternenbanner überall. Wie es am Montag bei Joe Biden und Donald Trump der Fall sein wird.

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Der Inauguration Day demonstriert den «friedlichen Transfer der Macht vom einen zum anderen Präsidenten», wie der Historiker Paul F. Boller einmal schrieb, und diene «als Gelegenheit, die Grundwerte zu zelebrieren, die die Amerikaner vereint». Die Amtseinführung ist der grosse Tag der Demokratie in den USA, oder wie 1973 das «Wall Street Journal» witzelte: «Ein gesunder Mittelweg zwischen einer Krönung und einem Staatsstreich.»

Tatsächlich ist es ein eintägiges Polittheater, das seit über 200 Jahren aufgeführt wird – hoch ritualisiert und dennoch voller Absurditäten.

Die «lahme Ente» loswerden

Probleme gab es bereits bei der Premiere, als George Washington, der Held des Unabhängigkeitskriegs, hätte vereidigt werden sollen. Am 4. März 1789, dem Tag, an dem die Verfassung in Kraft trat, waren wegen widrigen Wetters noch zu wenige der hohen Männer aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat zugegen, um überhaupt beschlussfähig zu sein. Erst am 30. April legte Washington den Amtseid ab, und zwar mit der 35 Wörter langen Formel, die seither jeder amerikanische Präsident nachgesprochen hat: die Verfassung zu bewahren, zu beschützen und zu verteidigen.

Provisorische Hauptstadt war damals New York (und bei den folgenden beiden Inaugurationsfeiern Philadelphia), weil die neue Kapitale Washington DC am Potomac River noch gebaut wurde. Fortan fanden die Amtseinführungen jeweils am 4. März statt, also knapp fünf Monate nach der Präsidentenwahl. 1937 wurde dieser Termin dann per Verfassungszusatz auf den 20. Januar vorverlegt. Der Grund: Die «lame duck» im Weissen Haus sollte nicht länger im Amt bleiben als nötig.

Sonst ist verfassungsrechtlich nichts vorgeschrieben. Dass fast immer auf eine Bibel geschworen wird (wie es schon George Washington tat) ebenso wenig wie der vermeintlich obligate Zusatz «so help me God», der seit der ersten Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt im Jahr 1933 zum Standard geworden ist. Vieles am Inauguration Day ist gelebte Tradition.

Typischerweise nimmt der neugewählte Präsident an einem Gottesdienst teil, bevor er samt Gattin gegen 10 Uhr 30 Ostküstenzeit seinen Vorgänger im Weissen Haus besucht. Dieser hat sich derweil bereits von seinem Personal und den Räumlichkeiten verabschiedet. «Bittersüss» sei es gewesen, erinnerte sich Bill Clinton an seinen letzten Morgen als Präsident. Dem Nachfolger wird in der Regel eine handgeschriebene Notiz ins Oval Office gelegt. Ronald Reagan kritzelte etwa auf den Umschlag seines Briefs an George Bush senior: «Don’t let the Turkeys get you down» – lass dich nicht unterkriegen.

Gemeinsam fahren Vorgänger und Nachfolger dann zum Capitol Hill, wo um 11 Uhr 30 die Amtseinführung beginnt. Normalerweise zumindest. Fünf scheidende Präsidenten verweigerten die Teilnahme, Donald Trump war dabei der einzige in den letzten 150 Jahren. Er wetterte 2021 über die «gestohlene Wahl» und liess sich frühmorgens mit dem Präsidentenhelikopter Marine One ausfliegen. Andere wiederum respektierten die Tradition, ohne ihre Gefühlslage zu verbergen: Herbert Hoover sprach 1933 auf der Fahrt zum Capitol kein Wort mit dem neugewählten Franklin D. Roosevelt. Auch für einige First Ladies war es eine Mühsal: Nancy Reagan schrieb über das Zusammentreffen mit Rosalynn Carter 1981: «Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also habe ich auch geschwiegen. Zum Glück ist es nur eine kurze Fahrt.»

Drohende Erfrierungen

Doch die grosse Bewährungsprobe steht dann erst bevor. Nicht beeinflussbar ist das Wetter, und in Washington ist der Winter oft garstig. Lyndon B. Johnson schrieb in sein Tagebuch, er habe sich kurz vor der Inaugurationsfeier 1965 noch von einem Doktor seine Kehle behandeln lassen und Thermounterwäsche angezogen. Weniger klug war William Henry Harrison, der 1841 hoch zu Ross antrabte, aber trotz bitterer Kälte und einsetzendem Regen weder Jacke noch Mütze trug. Nach seinem Eid hielt er die bis heute längste Antrittsrede aller Präsidenten. Er holte sich eine Lungenentzündung und starb nach nur einem Monat im Amt.

Bei John F. Kennedys Inauguration 1961 sorgte tags zuvor ein Schneesturm für Chaos in Washington. Die Armee setzte kurzerhand Flammenwerfer ein, um die Pennsylvania Avenue zwischen dem Weissen Haus und dem Capitol freizuräumen. Am Tag der Feier herrschte dann eitler Sonnenschein, nur ein Kabelbrand beim Rednerpult hätte fast zu einer Evakuierung der Tribüne geführt.

Das ärgste Wetterpech hatte Ronald Reagan 1985, als er seine zweite Amtszeit antrat. Weil das Thermometer minus 15 Grad Celsius anzeigte und unter den Ehrengästen und Zuschauern Erfrierungen zu befürchten waren, fand die Feier nur im kleinen Rahmen in der Rotunde des Capitols statt.

Als mit Barack Obama 2009 der erste schwarze Präsident der USA vereidigt wurde, strömten trotz Temperaturen unter dem Gefrierpunkt rund zwei Millionen Besucher zum Capitol Hill. Es ist bis heute der Rekordwert, auch wenn Donald Trump 2017 behauptete, bei ihm seien es viel mehr gewesen – was Fotos klar widerlegten.

Obama als klarer Publikumsliebling: Aufnahmen um 12 Uhr 01 von der Inaugurationsfeier von Donald Trump 2017 (links) und jener von Barack Obama 2009 (rechts).

Die «vergessenswerten» Reden

Zu den Höhepunkten des Tages zählt jeweils die präsidiale Rede. Auch wenn diese «inaugural adresses» höchst selten in die Geschichte eingehen oder – wie es der Historiker Jim Bendat in seinem Buch «Democracy’s Big Day» formuliert hat – meistens «ausserordentlich vergessenswert» gewesen seien. Die Rede ist ebenfalls nicht obligatorisch, wurde aber bisher von jedem Präsidenten gehalten, obwohl zumindest James Garfield «ernsthaft» darüber nachdachte, sie wegzulassen (und sie dann in der Nacht vor der Amtseinführung 1881 doch fertig schrieb). Die kürzeste Version stammt übrigens von George Washington und zählt gerade einmal 135 Wörter, nicht viel mehr als eine einminütige Ansprache.

Ohnehin wurden die Reden lange Zeit bestenfalls nachgelesen. Erst 1921 bei der Inauguration von Warren G. Harding kamen in Washington Lautsprecher zum Einsatz, worauf auch die Gäste, die nicht beim Rednerpult sassen, endlich etwas hörten. Vier Jahre später wurde die Rede erstmals im Radio übertragen, 1949 auch im Fernsehen – und seit 1997 im Internet.

Die akademischen Arbeiten, die sich mit der Rhetorik der Antrittsreden befassen, belegen, dass die Präsidenten sich oft mit Allgemeinplätzen an ihre «fellow Americans» wenden. Ins kollektive Gedächtnis haben sich nur wenige Reden eingebrannt: Abraham Lincolns Aufruf zur Versöhnung angesichts des Bürgerkriegs; Franklin D. Roosevelts Zuversicht während der Weltwirtschaftskrise, wonach man nur etwas fürchten müsse, nämlich «die Furcht selbst». Und natürlich John F. Kennedys Satz: «Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.»

Ganz vergessen sind die Reden, die von den Vizepräsidenten gehalten wurden – mit einer Ausnahme: Andrew Johnson, der Vize von Lincoln, genehmigte sich an der Inaugurationsfeier 1865 schon vormittags so viel Hochprozentiges, dass er bei seiner Ansprache lallte und beinahe zusammenklappte. Nur wenige Wochen nach dem peinlichen Auftritt wurde es für ihn aber ernst: Nach der Ermordung Lincolns wurde Johnson zum neuen Präsidenten vereidigt.

Zu solchen Blitzaktionen nach Todesfällen kam es in der amerikanischen Geschichte bisher achtmal. Das berühmteste Beispiel stammt aus dem Jahr 1963, als Lyndon B. Johnson nur zwei Stunden nach dem Attentat auf John F. Kennedy auf dem Flugplatz in Dallas seinen Amtseid ablegte, in der Air Force One stehend, neben ihm Jacqueline Kennedy, noch mit Blut ihres verstorbenen Mannes am rosafarbenen Chanel-Kleid.

Mit John F. Kennedy ist auch ein neues Element in den Inaugurationsfeiern verbunden. Neben den traditionellen musikalischen Darbietungen wie dem Stück «Hail to the Chief», gespielt von der Kapelle der Marines, und der Nationalhymne trat 1961 erstmals ein Literat auf. Doch die Einlage von Robert Frost wäre auch als Stand-up-Comedy durchgegangen. Zuerst konnte er im gleissenden Sonnenlicht seine eigens komponierten Verse nicht ablesen – und rezitierte dann ein altes Gedicht aus dem Kopf. Zum Schluss verwechselte er auch noch den Namen der Hauptperson: «Das Gedicht ist dem gewählten Präsidenten gewidmet – Mr. John Finley».

«Ihre Mittelfinger sprachen laut»

Seit über hundert Jahren gehört eine Parade zum Standardprogramm. Sie findet gleich nach dem Mittagessen statt. Bis heute legendär ist, was Dwight D. Eisenhower, der Weltkriegsgeneral, bei seiner Amtseinführung 1953 auffahren liess: eine Armada aus Musikgruppen, Umzugswagen und Militärfahrzeugen, dazu unzählige Pferde, drei Elefanten und eine Hundekolonne aus Alaska. Insgesamt 5000 Zivilisten beteiligten sich, unter ihnen einige hundert Indigene mit Kriegsbemalung, sowie über 20 000 Soldaten. Dauer: über viereinhalb Stunden.

Grossaufgebot von Truppen und Zivilisten zu Ehren des neuen Präsidenten Dwight D. Eisenhower an der Inaugurationsfeier 1953.

Es ging danach auch wieder bescheidener. Einen besonderen Platz in den Geschichtsbüchern bekam Jimmy Carter. Zum Entsetzen der Sicherheitskräfte stieg er 1977 während der Parade mit seiner Frau aus dem gepanzerten Wagen und lief zu Fuss vom Capitol zum Weissen Haus zurück – als Zeichen seiner Volksnähe.

Wo viele Menschen zusammenkommen, sind auch Proteste nie weit. Schon bei der ersten Inaugurationsfeier von Woodrow Wilson 1913 demonstrierten einige tausend Suffragetten für die Rechte der Frauen. Bei den beiden Inaugurationsfeiern von Richard Nixon in den Jahren 1969 und 1973 kam es zu Störmanövern von Gegnern des Vietnamkriegs, die skandierten: «Sieg Heil, inaugurate the pig». Sie waren indes nicht das einzige Problem von Nixons Stab: Um die vielen Tauben von den Bäumen an der Pennsylvania Avenue zu vertreiben, wurden vor der zweiten Amtseinführung Chemikalien eingesetzt. Mit der Folge, dass während der Feier massenhaft tote Tiere herumlagen.

Krawalle gab es später nicht nur bei Donald Trump, sondern auch bei den Inaugurationsfeiern von George W. Bush: zuerst wegen seines umstrittenen Siegs bei der Präsidentschaftswahl 2000, nach seiner Wiederwahl dann wegen des Irakkriegs. Er schrieb später über die Autofahrt zum Capitol: «Ich konnte die Worte zwar nicht verstehen, aber ihre Mittelfinger sprachen laut.»

In Gewalt artete einst sogar das nächtliche Fest aus, mit dem die Inaugurationen jeweils beschlossen werden. Zur Amtseinführung von Andrew Jackson, einem Haudegen und Liebling der «kleinen Leute», kamen im Jahr 1829 rund 20 000 Unterstützer nach Washington. Viele von ihnen zogen abends vor das Weisse Haus, um mit Jackson zu feiern. Es kam zu Tumulten, Leute stritten um Essen, Mobiliar ging kaputt. Die Lage beruhigte sich erst wieder, als auf dem Rasen des Weissen Hauses Whiskey ausgeschenkt wurde.

Die Bälle, die zur Feier des neuen Präsidenten veranstaltet werden, sind indes meist gesittete und glamouröse Anlässe. Als grösster Partylöwe hat sich bisher Bill Clinton hervorgetan, der bei seiner Amtseinführung 1997 gleich 14 Bälle ausrichtete. Wenig Glück bei seinen Festen hatte hingegen Ulysses S. Grant. Nach seiner ersten Amtseinführung 1869 wurden Teilnehmern seines Balls aus der Garderobe Kleider und Wertsachen gestohlen. Und als er vier Jahre später erneut zu einem Ball lud, war der Veranstaltungsort ungeheizt: Die Gäste mussten in Mänteln tanzen, den Musikern zerbarsten vor Kälte die Saiten – und die als exotische Attraktion herbeigeschafften Hunderte von Kanarienvögeln verendeten kläglich.

Wenn also Donald Trump am Montag zum zweiten Mal seinen Eid auf die Verfassung ablegt, wird es bestimmt nicht langweilig. Schon jetzt ist klar, dass der 45. und 47. Präsident der USA Inaugurationsgeschichte schreiben wird: Nie zuvor trat ein verurteilter Straftäter das Amt an – und nie zuvor war jemand älter.

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