Der Italiener kehrt mit 75 Jahren zurück in den Kommandostand von Alpine. Damit kann sich die Formel 1 auf mehr Unruhe gefasst machen.
Die Startaufstellung vor dem Rennen, der Laufsteg der Formel 1, das scheint seine Welt. Wenn Flavio Briatore den Autos entgegenschreitet, teilt sich die Menge vor ihm. Bleibt er stehen, zentriert sich alles um den Sonnenkönig. Der dreht sich mal nach links, mal nach rechts, alle anderen drehen sich mit. Dann grinst er zufrieden in den grau gewordenen Bart, rückt das orangefarbene Brillengestell für die perfekte Pose zurecht.
Dort, wo der gelernte Landvermesser steht, muss zwangsläufig die Pole-Position sein. Ist sie aber nicht. Der Werkrennstall von Alpine rangiert momentan nur auf dem vorletzten Platz der Konstrukteurswertung. Und das will nun gar nicht zu den Ansprüchen des inzwischen 75 Jahre alten Italieners passen.
Das muss sich radikal ändern, und zwar schnellstens. Dafür hatte der Renault-Chef Luca de Meo ihn im letzten Jahr in einem Akt der Verzweiflung als Berater geholt. Als vermeintliches Relikt aus einer anderen Grand-Prix-Welt, in der Briatore erst Michael Schumacher und dann Fernando Alonso zum Champion gemacht hat.
Seit dem Rennbetrug von Singapur 2008, als er mutmasslich Nelson Piquet junior absichtlich in die Boxenmauer rasen liess, galt der Mann als Persona non grata, zumindest öffentlich. Hinter den Kulissen hat ihm das kaum geschadet, seinen Ruf sogar eher gestählt. Und seit dieser Woche sitzt er selbst wieder auf dem Chefsessel, der junge britische Vorgänger Oliver Oakes verabschiedete sich hastig «aus persönlichen Gründen». Der Junior-Pilot Jack Doohan musste gleich mitgehen, wurde gegen Briatores persönlichen Favoriten Franco Colapinto ausgetauscht.
So dreht sich der Don der Boxengasse seine Welt immer wieder selbst zurecht. Immer dann, wenn er besonders harmlos erscheint, läuft irgendwas im Hintergrund. Siehe letztes Rennwochenende in Miami: Da feierte er den 21. Geburtstag seiner Tochter Leni Klum, mit bei der Party war auch deren Adoptivvater Seal. Der alternde Playboy gab für einmal den sanften Herrn Papa, besiegelte aber auch das Schicksal von Oakes und Doohan. Widersprüchlichkeiten kennt einer wie er nicht. Hätte es früher schon Netflix gegeben, Briatore hätte längst seine eigene Doku.
Die Macht ist sein Motor, Unruhestiften sein Prinzip, umstritten zu sein das grösste Kompliment. Man kann ihn anziehend finden, aber genauso gut abstossend. Er bedient spielend alle Klischees, auch um mit ihnen zu spielen. Denn natürlich wachte er immer schon über seine Eitelkeit, berichtete gern von vielen E-Mails, in denen er angeblich immer wieder gefragt wird: «Wie werde ich Flavio Briatore?» Vermutlich, indem man nicht auf das Glück vertraut, sondern ihm etwas nachhilft.
Als geborenes Alphatier bedient er heute perfekt den fast schon vermissten Macho-Ansatz im Motorsport: «Die Menschen kommen nicht zum Rennen, um die neueste Kolbenentwicklung zu betrachten. Sie kommen, um die Kämpfe zu sehen.» Vermutlich kommen jetzt ein paar mehr, um ihn zu sehen. Das Publikum mag nicht nur Dramen, sondern auch das Mysteriöse. Wäre die Formel 1 eine Person, würde sie Flavio Briatore heissen.
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