Donnerstag, September 19

Fleisch essen gilt zunehmend als ungesund. Die wissenschaftlichen Belege dafür sind allerdings umstritten.

Leserfrage: Viele Menschen meinen, einmal pro Tag Fleisch zu essen, sei gesund. Stimmt das?

Das gesunde tägliche Stück Fleisch: Ist das heute tatsächlich noch eine verbreitete Vorstellung? Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung essen rund 31 Prozent der erwachsenen Männer und 19 Prozent der Frauen täglich Fleisch, alle anderen seltener. Wie viel dabei auf den Teller kommt, erhob die «menuCH»-Studie: Die erwachsene Bevölkerung in der Schweiz konsumiert im Durchschnitt täglich rund 110 Gramm Fleisch. Bei Männern und jüngeren Personen ist es mehr als bei Frauen und älteren Menschen. Knapp 5 Prozent der Befragten gaben an, sich fleischlos zu ernähren.

Wohl & Sein antwortet

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Damit wird deutlich mehr Fleisch gegessen als von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung empfohlen. Diese spricht von zwei bis drei Portionen zu je 100 bis 120 Gramm – also maximal 360 Gramm pro Woche. Der effektive Konsum liegt mehr als doppelt so hoch. Ähnlich sieht es in Deutschland aus: Die dortige Gesellschaft für Ernährung empfiehlt 300 Gramm pro Woche, und der geschätzte Konsum liegt bei rund einem Kilogramm, also mehr als dreimal so viel.

Studien mit Schwächen

Lässt sich aber klar sagen, wie gesund oder ungesund Fleischessen ist? Die Eidgenössische Ernährungskommission schrieb 2014 in einem Bericht, dass bei rotem Fleisch – also zum Beispiel Rind-, Schweine- und Schaffleisch – und insbesondere bei verarbeitetem Fleisch – etwa geräuchert oder gepökelt – «gesundheitlich negative Langzeitwirkungen (. . .) angenommen werden müssen». Dies in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Dickdarmkrebs, Diabetes Typ 2 und Sterblichkeit. Auch die Weltgesundheitsorganisation spricht davon, dass unverarbeitetes rotes Fleisch wahrscheinlich krebserregend und verarbeitetes Fleisch erwiesenermassen krebserregend sei.

Ist der Fall also klar? Für David Fäh, Gesundheitswissenschafter und Ernährungsexperte an der Berner Fachhochschule, ist das nicht so: «Die Evidenz ist allgemein relativ schwach. Niemand weiss genau, wie viel Fleischkonsum gesund ist.» Die Studien zeigten sehr unterschiedliche Resultate und hätten allesamt Schwächen. Zwar sei der Konsum von rotem Fleisch mit einer leicht erhöhten Sterblichkeit korreliert. Bei verarbeitetem rotem Fleisch sei der Zusammenhang noch etwas stärker. «Aber ob der Fleischkonsum wirklich die Ursache davon ist, ist nicht erwiesen», sagt Fäh.

Alle Studien hätten das Problem, dass andere Faktoren als der Fleischkonsum ebenfalls mitspielten und bei der Auswertung fast unmöglich zu kontrollieren seien. So zeigte etwa die «menuCH»-Studie: Wer raucht, isst auch mehr Fleisch. Auch fehlende Bewegung ist gemäss Fäh gesundheitsschädlicher als der Fleischkonsum. Um den Effekt von Fleisch ursächlich nachzuweisen, brauchte es aufwendige Studien, die Jahrzehnte dauerten. «Das ist im Bereich der Ernährung schwer umsetzbar und immer fehleranfällig», sagt Fäh.

Minimale Lebensverlängerung

Den Versuch, andere Verhaltensfaktoren zu kontrollieren, unternahm eine Studie, die eine religiöse Gemeinschaft in den USA untersuchte. Deren Mitglieder ähneln sich in vielem, aber nicht im Fleischkonsum. Das Resultat: Diejenigen, die wenig Fleisch assen, hatten vorteilhaftere Werte etwa bezüglich Körperfett, Blutdruck und Diabetes, lebten aber insgesamt nur minimal länger. Ausserdem zeigte sich: Vegetarier und Veganer innerhalb der Gemeinschaft schlafen länger, essen mehr Früchte und Gemüse und nehmen weniger gesättigte Fettsäuren zu sich, was positiv ist für die Gesundheit.

Zudem sei Fleisch nicht gleich Fleisch, sagt David Fäh. Auch die Tierhaltung und die Zubereitung des Fleisches seien entscheidend. Viele Ernährungsstudien stammten aus den USA, wo die Barbecue-Kultur sehr verbreitet sei. Dabei werde das Fleisch oft stark erhitzt und angebraten, wobei bekannterweise krebserregende Stoffe entstünden.

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Die Ökologie spielt mit

Umgekehrt gilt aber auch: Fleischkonsum ist nicht nötig, um sich gesund zu ernähren. «Man kann mit oder ohne Fleisch gesund leben. Viele Studien zeigen, dass Vegetarier und Veganer nicht länger leben und gesünder sind als moderate Fleischesser, die sonst einen gesunden Lebensstil pflegen», so das Fazit von David Fäh.

Klar ist: Die gesundheitlichen Auswirkungen des Fleischkonsums sind schwierig zu messen und in der Wissenschaft umstritten. Um auf die Frage unseres Lesers zurückzukommen: Ein täglicher Fleischkonsum liegt deutlich über der Empfehlung der Ernährungsgesellschaften. Deren Obergrenzen erachtet David Fäh auch ohne eindeutige wissenschaftliche Evidenz zum gesundheitlichen Aspekt als sinnvoll – aus ökologischen Gründen: «Weltweit betrachtet könnten die ökologischen Auswirkungen der Fleischproduktion sich sogar nachteiliger auf die Gesundheit der Menschen auswirken als der direkte Fleischkonsum.»

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