Dienstag, Februar 4

Während Donald Trump der EU mit einem Handelskrieg droht, schlägt er gegenüber London leicht freundlichere Töne an. Der Labour-Regierungschef Starmer hofft, dass er sich nicht zwischen Brüssel und Washington entscheiden muss.

Als der britische Premierminister Edward Heath 1972 im Egmont-Palast in Brüssel ankam, um den Beitritt Grossbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft zu besiegeln, brandete ihm die Wut EU-skeptischer Demonstranten entgegen. Im Innern des neoklassizistischen Palasts wurde er von einer als Journalistin getarnten Aktivistin gar mit schwarzer Tinte bespritzt.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Keir Starmer war ein freundlicherer Empfang beschieden, als er am Montagabend zu einem Dinner mit den EU-Staats- und -Regierungschefs im Egmont-Palast erschien. Eine historische Note war freilich auch dem Besuch des seit dem letzten Sommer amtierenden Labour-Premierministers eigen. Erstmals seit dem Vollzug des Brexits vor fünf Jahren nahm ein britischer Regierungschef an einer Sitzung mit den EU-Amtskollegen teil. Es war das bisher sichtbarste Zeichen von Starmers Bemühungen, unter dem Titel «Brexit Reset» die Beziehungen zur EU zu verbessern.

Abbau der Brexit-Hürden?

Thema des informellen EU-Gipfels war die Verteidigungspolitik – ein Feld, in dem die Briten als Atom- und regionale Militärmacht Gewicht in die Waagschale werfen können. Im Lichte des russischen Überfalls auf die Ukraine und der Forderungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump sehen sich die Europäer gezwungen, ihre Investitionen in die Verteidigung erheblich zu erhöhen.

Die Rede ist von einer «Koalition der Willigen», an der sich auch Grossbritannien und Norwegen beteiligen könnten, die der Nato, aber nicht der EU angehören. Doch die Modalitäten der Rüstungskooperation blieben unklar. Starmer will den EU-Ländern einen umfassenden Sicherheitspakt anbieten – in der Hoffnung, dadurch Goodwill für eine Lockerung der Brexit-Handelsschranken zu schaffen.

Laut Umfragen hält eine wachsende Bevölkerungsmehrheit den Brexit für einen Fehler. Aus Angst vor einer neuen Europadebatte hat Starmer aber nicht nur den Wiedereintritt in die EU, sondern auch eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt oder die Zollunion ausgeschlossen. Im Bereich des Möglichen liegen daher bloss kleinere Erleichterungen.

Am 19. Mai ist ein formelles Treffen zwischen Starmer und den EU-Spitzen in London geplant. Im Raum stehen die verbesserte Anerkennung von Berufsabschlüssen oder ein Veterinärabkommen. Letzteres würde die Handelshürden für Lebensmittel und Landwirtschaftsprodukte aufheben, hätte aber wohl zur Folge, dass die Briten in begrenztem Mass EU-Recht übernehmen und Urteile des Europäischen Gerichtshofs akzeptieren müssten. Zudem haben EU-Staaten Gegenforderung erhoben – wie den Zugang zu britischen Fischgründen, über den bis im Sommer 2026 neu verhandelt werden muss.

Mittelweg zwischen Brüssel und Washington

Während Starmer die Handelsschranken zum EU-Markt verringern möchte, droht Trump mit der Errichtung neuer transatlantischer Barrieren. Am Wochenende hatte der Präsident nicht nur der EU unverhohlen mit Zöllen gedroht, sondern auch Grossbritannien handelspolitisch «schlechtes Benehmen» vorgeworfen. Gleichzeitig gab sich Trump zuversichtlich, die Differenzen mit London ausräumen zu können. Und er äusserte sich positiv zu Starmer, mit dem er sich sehr gut verstehe.

Die britischen Liberaldemokraten forderten Starmer auf, eine Aufnahme in die EU-Zollunion zu suchen und sich im drohenden Handelskrieg ganz auf die Seite der EU zu schlagen. Vertreter der Konservativen und vor allem der rechtsnationalen Reform-Partei sehen das Heil Grossbritanniens hingegen auf der Seite Trumps.

Starmer machte in Brüssel deutlich, dass er einen transatlantischen Balanceakt vollziehen will. Er erklärte, seine Regierung werde sich nicht zwischen der EU und den USA entscheiden. Es liege eindeutig im nationalen Interesse, mit den Partnern auf beiden Seiten des Atlantiks zusammenzuarbeiten, betonte der Premierminister. Daher vermied er es auch, den Europäern angesichts der Drohungen Trumps seine Unterstützung zuzusprechen.

Was wird Trump verlangen?

Ob Starmers Balanceakt gelingt, wird auch von den Forderungen Trumps abhängen. Hier gibt es einige Hürden. So dürften die Behörden in London demnächst dem Börsengang des umstrittenen chinesischen Online-Modehändlers Shein zustimmen – ein Schritt, vor dem Trumps Aussenminister Marco Rubio im letzten Jahr eindringlich warnte. Zudem bekundet Grossbritannien angesichts seiner desaströsen Finanzlage Mühe, die Verteidigungsausgaben von derzeit 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung substanziell zu erhöhen.

Handelspolitisch steht das Vereinigte Königreich weniger im Fokus als die EU: 2022 erzielten die USA einen Handelsbilanzüberschuss, 2023 exportierten die Briten mehr in die USA als umgekehrt. Ein Dorn im Auge ist Trump aber die britische Zurückhaltung gegenüber amerikanischen Landwirtschaftsprodukten. Doch mehr Nahrungsmittelimporte aus den USA würden im britischen Volk tiefe Ängste vor mit Chlor behandelten Poulets wecken und Starmers Pläne für ein Veterinärabkommen mit der EU durchkreuzen.

Dennoch ist denkbar, dass Starmer mit seinem mittleren Kurs durchkommt. Er bemühte sich bereits im September in New York geschickt um ein gutes Einvernehmen mit Trump. Nun war Starmer der erste europäische Regierungschef, den Trump nach seiner Amtsübernahme anrief. Gelingt es London, Zölle abzuwenden, während die EU in einen Handelskrieg mit den USA schlittert, hätte ausgerechnet der ehemalige Brexit-Gegner Starmer einen der bisher grössten Brexit-Gewinne für sein Land erzielt.

Exit mobile version