Freitag, Oktober 4

Bei einem Carunfall sterben im Dezember 2018 auf der Sihlhochstrasse in Zürich zwei Personen. Hat der Fahrer fahrlässig gehandelt? Die wichtigsten Antworten zum heutigen Prozess in Zürich.

Worum geht es beim Prozess?

Der verhängnisvolle Unfall ereignete sich dort, wo die Sihlhochstrasse im Nichts endet. Am 16. Dezember 2018 um kurz nach 4 Uhr in der Früh geriet ein Flixbus-Reisecar auf der schneebedeckten Fahrbahn ins Schleudern und prallte in eine Mauer des Autobahn-Stummels bei Zürich Wiedikon.

Beim Aufprall wurde die Front des Busses eingedrückt. Die Folgen waren fatal: Eine 37-jährige Passagierin aus Italien wurde aus dem Fahrzeug geschleudert. Sie fiel 15 Meter tief in die Sihl, wurde bewusstlos und ertrank im Fluss. Auch einer der beiden Chauffeure überlebte das Unglück nicht. Der 61-Jährige wurde im Fahrzeug eingeklemmt und erlag seinen schweren Verletzungen rund zwei Wochen nach dem Vorfall im Zürcher Universitätsspital. 43 weitere Passagiere wurden verletzt.

Rund fünfeinhalb Jahre sind seit dem Unfall vergangen. Am Mittwoch muss sich nun der überlebende Chauffeur vor dem Bezirksgericht in Zürich verantworten. Der 63-jährige Italiener, der beim Unglück selbst verletzt wurde, sass am Steuer, als das Unglück passierte. Gegen eine Kaution wurde er Ende Dezember 2018 auf freien Fuss gesetzt. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, den Unfall mit seinem Fahrverhalten fahrlässig verursacht zu haben.

Was ergab die Untersuchung der Staatsanwaltschaft?

Die Rekonstruktion des Unfalls durch die Staatsanwaltschaft ergab, dass der Fahrer mit dem Bus fast geradeaus in den Stummel der Sihlhochstrasse fuhr und das Fahrzeug dort gegen die Betonwand prallte. Der Chauffeur hatte zuvor mehrere Signalisationen übersehen. Weshalb, ist nicht klar. In der Anklageschrift schreibt die Staatsanwaltschaft, der Italiener sei entweder unaufmerksam gewesen oder habe sich zu stark darauf konzentrieren müssen, nicht die Kontrolle über sein Fahrzeug zu verlieren. Die Geschwindigkeit betrug beim Aufprall noch immer 48 km/h.

Eigentlich ist auf diesem Abschnitt der Sihlhochstrasse Tempo 60 erlaubt. Angesichts der widrigen Wetter- und Strassenverhältnisse wären zum Unfallzeitpunkt 30 km/h für Reisecars und 40 km/h für Personenwagen angemessen gewesen, heisst es in der Anklage. Der italienische Fahrer war aber mit 68 km/h unterwegs. Kein einziges anderes Fahrzeug war Zeitraum kurz vor und nach dem Unfall schneller unterwegs als der Flixbus-Chauffeur.

Laut Untersuchungsbericht bremste der Mann erst 136 Meter vom Unfallort entfernt ein erstes Mal, allerdings nur kurz. Danach beschleunigte er nochmals – laut Anklage «hektisch und unüberlegt». Und erst knapp drei Sekunden vor dem Aufprall leitete er schliesslich eine Vollbremsung ein. Viel zu spät und «krass nicht den Verhältnissen angepasst», wie es in der Anklage heisst. Die deutlich zu hohe Geschwindigkeit habe in Kombination mit den schwierigen Strassenverhältnissen dazu geführt, dass der Car trotz Vollbremsung frontal gegen eine Mauer prallte.

Betraut mit den Abklärungen zum Unglück waren nicht nur Fachleute der Kantonspolizei Zürich und des Forensischen Instituts, sondern auch ein privater Sachverständiger.

Nimmt der beschuldigte Chauffeur am Prozess teil?

Der Fahrer wird selbst nicht an der Verhandlung am Bezirksgericht Zürich teilnehmen. Das Gericht hat einem entsprechenden Antrag der Verteidigung zugestimmt. Der Italiener befindet sich laut dem Gericht in einem psychisch schlechten Zustand, weshalb er die Reise in die Schweiz nicht unternehmen konnte. Das Verfahren wird deshalb in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt.

Was fordert die Staatsanwaltschaft?

Die Staatsanwaltschaft fordert eine Verurteilung wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, mehrfacher fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln. Der 63-Jährige soll dafür mit einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren bestraft werden.

«Wäre er langsamer gefahren, wäre der Unfall nicht passiert», sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Der Chauffeur sei mehr als doppelt so schnell unterwegs gewesen, wie angesichts der Witterungsverhältnisse erlaubt gewesen wäre. Der Mann habe einfach gehofft, dass es schon gut komme. Es sei kaum zu glauben, dass ein Berufschauffeur so fahre. Und der Staatsanwalt hält fest: «Nur 2 km/h mehr, und der Raser-Tatbestand wäre erfüllt gewesen.»

Was sagt die Verteidigung?

Die Verteidigerin des Unfallfahrers wird ihre Anträge an der Verhandlung stellen.

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