Donnerstag, Mai 22

Bayern München will sich für die Verpflichtung des Leverkusener Mittelfeldspielers kräftig ins Zeug legen. Doch zieht der deutsche Rekordmeister letztlich den Kürzeren?

Wohin mit Florian Wirtz? Loswerden wollen sie ihn, den vielleicht begabtesten deutschen Mittelfeldspieler seit einer Generation, in Leverkusen nicht; gerne würden sie ihn bei sich behalten. Die Frage ist allerdings: Wird er zu halten sein?

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Ebendiese Frage beschäftigt seit einigen Wochen Hunderte von Journalisten in Deutschland, sie alle spekulieren über das Ziel des 21-jährigen Mittelfeldspielers. Längst hat die Debatte absurde Züge angenommen, ein Schwank, wie er selbst auf der bayerischen Fussballbühne selten zu erleben ist.

München sei Wirtz’ favorisierter Zielort, heisst es immer wieder, aber auch Real Madrid, erst recht, da davon auszugehen ist, dass der neue Trainer dort Xabi Alonso sein wird, unter dem Wirtz in Leverkusen eine rasante Entwicklung hingelegt hatte. Und auch ein Verbleib für ein weiteres Jahr sei möglich. Die Ablösesumme für ihn wäre stattlich: Von 150 Millionen Euro ist in diesem Jahr die Rede, von 100 im kommenden.

Rummenigge spricht vom besten deutschen Fussballer

Damit sind die Koordinaten gesetzt. Auch wenn es viele Parameter im Detail noch zu klären gäbe. Wie gross der Wunsch in München ist, Wirtz unter Vertrag zu nehmen, ist den Aussagen von Karl-Heinz Rummenigge zu entnehmen. Der nimmt als Mitglied des Bayern-Aufsichtsrats seit zwei Jahren immer wieder Einfluss auf die Geschehnisse. Der Münchner «Abendzeitung» sagte Rummenigge: «Alle beim FC Bayern sind sich einig, dass er genau der Spieler ist, den wir holen wollen.» Bei Wirtz handele es sich um den «besten Spieler Deutschlands».

Florian Wirtz is a Superior German Production 🇩🇪

Diese Aussage, obschon zweieinhalb Monate alt, ist nach wie vor bemerkenswert. Rummenigge formuliert hier keine rein persönliche Meinung. Er spricht für den Klub, wenn er sagt: «Alle sind sich einig.» Uli Hoeness, der Ehrenpräsident, der gegenwärtig die Diskussion um die Bayern mit öffentlichen Auftritten prägt wie zu seinen besten Zeiten, skizzierte allerdings die Probleme einer möglichen Finanzierung und räumte in diesem Zusammenhang ein, dass die liquiden Mittel der Bayern nicht mehr ganz so üppig seien wie vor einigen Jahren.

Das ebnete den Weg zu einer grossen Diskussion, in der es schliesslich auch um die Art und Weise ging, in der die Bayern ihr Erbe verwalten: Thomas Müller, der Offensiv-Allrounder, der wie kein anderer den Klub repräsentierte, wird den Münchner Verein verlassen müssen. Der Grund? Die Kosten. Denn der Transfer von Wirtz ist mehr als nur die Verpflichtung eines hochklassigen Gestalters, der entsprechend seiner Qualitäten entlohnt werden möchte. Es geht beim Wirtz-Transfer vor allem auch um das Selbstverständnis des FC Bayern als Taktgeber des deutschen Fussballs. Immer schon hatten die Münchner den Anspruch, die besten deutschen Strategen in ihren Reihen zu haben, diejenigen, die auch im Nationalteam den Ton angeben.

Das war bei Lothar Matthäus ebenso wie bei Stefan Effenberg, auch Bastian Schweinsteiger fällt in diese Kategorie. Dass die Fähigkeiten von Toni Kroos, der bei Real in Madrid zum Weltstar avancierte, in München verkannt wurden, ist angesichts des besonderen Anforderungsprofils der Bayern auf einer Schlüsselposition eine ganz besondere Pointe.

Im Nationalteam harmonieren Wirtz und Musiala nicht

Tatsächlich handelt es sich bei Wirtz um einen Spieler, wie er im Weltfussball zurzeit selten anzutreffen ist. Torgefährlichkeit, Schnelligkeit, Explosivität, Kreativität und ein gutes Dribbling – das sind nur ein paar der Qualitäten, die er mitbringt. Taktisch denkt der eher wortkarge junge Mann meist ein, zwei Züge weiter als der Gegner, zudem ist er ein leidenschaftlicher Kontrahent im Zweikampf, der weite Wege geht. Kreatives Genie und fleissiger Arbeiter in einem – vollständiger in der Summe seiner Fähigkeiten als Wirtz kann ein Mittelfeldspieler kaum sein.

Auf den ersten Blick ist jemand wie er ein Geschenk für jeden Klub. Doch wer genauer hinschaut, der erkennt beim Blick auf das Kader der Bayern, dass für einen wie ihn erst einmal Raum geschaffen werden müsste. Wo soll er spielen? Die Annahme, dass er zusammen mit Jamal Musiala ein Duo bilden könnte, das jeden Fachmann begeistert, ist hypothetisch.

Zumal Auftritte im deutschen Nationalteam zeigten, dass zwei der besten jungen Fussballer ihrer Generation nicht unbedingt miteinander harmonieren. Geht es in München also um die blanke, fussballerische Notwendigkeit – oder darum, dem eigenen Selbstverständnis zu entsprechen und zu demonstrieren, wozu der deutsche Rekordmeister nach wie vor in der Lage ist?

Schliesslich haben sich die Verhältnisse geändert. Uli Hoeness und der Vater des Kickers sollen ein gutes Verhältnis zueinander unterhalten. Am Tegernsee wurde der ehedem Erziehungsberechtigte bereits gesichtet. Allerdings hinderte dies den Sohn nicht daran, nach absolvierter Saison einen Ausflug zu machen: Er flog nach Manchester – angeblich um von dort nach Liverpool weiterzureisen, wo offenbar ebenfalls Interesse an dem Spieler besteht. Spekulationen schiessen derweil ins Kraut. Aber zumindest auf eines weist die Reise der Familie hin: Ganz offensichtlich sind die Bayern nicht die Einzigen, die um Wirtz buhlen. Und das dürfte einen Klub mit einem solchen Sendungsbewusstsein masslos ärgern.

Zur Sache redet niemand, vielmehr hat man es mit einer Kommunikation in Chiffren zu tun. Einer, der gerade solche Spiele mit Andeutungen bestens versteht, ist Hoeness selbst. Kürzlich amüsierte er sich über das mediale Spektakel, das er selbst so gern befeuert: «Ihr habt doch wochenlang schönen Mist geschrieben: Er geht zu Manchester City, dabei war er in Liverpool. Wir versorgen euch irgendwann mit Fakten – und nicht mit weiteren Spekulationen. Dafür seid ihr zuständig.»

Musiala kam aus dem eigenen Nachwuchs

«Wir versorgen euch irgendwann mit Fakten» – das klingt schon fast wie ein Versprechen, dass es bald etwas zu verkünden gibt in Sachen Florian Wirtz. Nur: Ist der FC Bayern, der trotz grossen Ausgaben stets ein Hort wirtschaftlicher Vernunft war, bereit, dieses Risiko einzugehen? Wirtz ist schon mehrfach von Verletzungen heimgesucht worden, und ein Vertrag, der über vier oder fünf Jahre datiert ist, dürfte die Bayern womöglich eine Viertelmilliarde Euro oder mehr kosten.

Auch solche Dinge werden in Rechnung gestellt. Und sollte Wirtz nicht in München landen, so liesse sich dies problemlos als verantwortungsbewusstes Handeln verkaufen, was es tatsächlich auch wäre. Denn mit der Verpflichtung von Wirtz würden dem Klub Kosten entstehen, die weit grösser wären als jene für Jamal Musiala. Den mussten die Bayern nicht teuer einkaufen. Er kam aus der eigenen Jugend. Ein Konzept, das auch auf höchstem Niveau hier und dort erfolgreich sein kann.

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