Mittwoch, Dezember 25

Beim deutschen Start-up aus Bayern gehen die Lichter endgültig aus. Vier Tage vor Weihnachten wurden nahezu alle Mitarbeiter freigestellt.

Die schlechte Nachricht für die rund 1000 Mitarbeiter des Startup-Unternehmens am bayrischen Sonderflughafen Oberpfaffenhofen bei München kam wohl nicht ganz überraschend. Denn bereits Ende Oktober hatte der Flugtaxi-Hersteller Lilium einen Antrag auf Insolvenz gestellt.

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Seitdem durfte das Unternehmen durch die genehmigte Insolvenz in Eigenverwaltung intensiv auf die Suche nach möglichen Investoren gehen. Gebracht hat das aber nichts, denn am 20. Dezember wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass sie freigestellt sind. Damit ist eine Rettung des Unternehmens wohl unmöglich, der einst stolze Aktienkurs tendierte gegen null.

Zuvor hatte es schon die deutsche Bundesregierung abgelehnt, eine Bürgschaft über 50 Millionen Euro bereitzustellen. Bayern hätte bei einer Zusage des Bundes ebenfalls 50 Millionen Euro beigesteuert, um die Weiterentwicklung des sogenannten Lilium Jet zu finanzieren. Dieser ist aber keineswegs wie der Name suggeriert ein strahlgetriebener Jet, sondern ein senkrechtstart- und landefähiges elektrisches Flugtaxi für kurze Strecken und maximal sechs Passagiere.

Das hochkomplexe Fluggerät war in der Entwicklung seit 2015 aber trotz bisher investierter rund 1,5 Milliarden Euro bislang nicht über ferngesteuertes Fliegen hinausgekommen. Für 2025 wurde ein erstmaliger Flug mit einem Piloten an Bord angekündigt. 2026 hätte eine Zulassung der europäischen Flugsicherheitsagentur EASA in Reichweite sein sollen, was von Luftfahrt-Fachleuten aber als unrealistisch eingeschätzt wurde. Theoretisch hätte anschliessend eine Serienproduktion in Oberpfaffenhofen starten können.

Meilensteine wurden verfehlt

Das Problem: Keines der von Lilium in den vergangenen acht Jahren je genannten Zwischenziele wurde bisher auch nur annähernd im vorgesehenen Zeitraum erreicht. Dem Mitbegründer des Unternehmens und Ex-CEO, Daniel Wiegand, bei der Gründung von Lilium junger Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik, gelang es mit gekonnter Überzeugungsarbeit allerdings, den möglichen Bau des Lilium-Jets quasi als eine Art neuer «Tesla der Lüfte» und zukunftsträchtiges Renditeobjekt anzupreisen.

Dass Fachleute, darunter etwa Professoren für Antriebssysteme, Spezialisten für Akkutechnik und auch etliche Fachjournalisten schon sehr früh berechtigte Kritik am Konzept des Lilium Jet übten, das etliche Aviatik-Experten angesichts heutiger Akku- und Elektromotorentechnik als nicht realisierbar bezeichneten, focht Wiegand nicht an. Er und sein Nachfolger auf dem CEO-Posten ab 2022, Ex-Airbus-Mann Klaus Roewe, unterstellten diesen Kritikern, nicht visionär genug zu sein, um die Entwicklung einer neuen aviatischen Revolution zu begreifen.

Dabei hat der Lilium Jet bisher weder bewiesen, dass er tatsächlich eines Tages die versprochenen Flugleistungen liefern würde. Auch ist das Unternehmen den Beweis schuldig geblieben, dass es wirklich ein tragfähiges Geschäftsmodell für dieses Flugtaxi geben könnte. Die vielen Bestellungen aus aller Welt, die Lilium als Beweis seines Geschäftskonzepts präsentierte, waren lediglich Absichtserklärungen.

Denn kommerzielle Luftfahrt ist ein knallhartes Geschäft. Nur wenn ein Fluggerät die versprochenen Flugleistungen erbringt, genau den Energiekonsum einhält wie vorausberechnet und exakt das kostet, was im Prospekt stand, werden potenzielle Kunden ihre Absichtserklärungen auch in echte Bestellungen, verbunden mit einer tatsächlichen Anzahlung umwandeln.

Das Wichtigste: Nur wenn das Fluggerät die offizielle Musterzulassung, das sogenannte Type Certificate, sowohl der europäischen Agentur für Flugsicherheit EASA als auch der US-amerikanischen Flugsicherheitsbehörde FAA vorweisen kann, ist es überhaupt kommerziell einsetzbar. Solange die Zertifizierung nicht erreicht ist, sind die angeblich mehr als 700 Lilium-Jet-Bestellungen wertlos.

Rentabilität von Helikoptern ist besser

Lilium hat zudem bereits enorm viel Geld verbrannt. Dennoch blieb eine EASA-Zulassung bis zuletzt zweifelhaft. Denn das Schwenken der an den Tragflächen und sogenannten Canards montierten 30 Elektromotoren mit ihren Minipropellern, um nach dem senkrechten Start in den Reiseflug zu gehen, ist mit etlichen aerodynamischen und technischen Risiken und Unwägbarkeiten behaftet.

So versucht etwa das europäische Luftfahrtunternehmen Leonardo, in der Schweiz durch seine Rega-Helikopter und die Übernahme der eidgenössischen Hubschrauberfirma Kopter bekannt, seit dem Erstflug vor 21 Jahren sein mit ebenfalls schwenkbaren Rotoren ausgestattetes Senkrechtstartflugzeug vom Typ AW609 für sieben Passagiere bei der EASA zuzulassen. Bis heute ist es nicht gelungen, dabei hat der millardenschwere Leonardo-Konzern Erfahrung aus mehreren tausend gebauten Helikoptern über viele Jahrzehnte hinweg.

Zudem schien Lilium vor allem auf das Prinzip Hoffnung zu setzen: Hoffnung, dass die Akkus leistungsfähiger werden, Hoffnung, dass die Zulassungsbehörden ihm entgegenkommen und Hoffnung, dass die Behörden eines Tages innerstädtische Flächen zum Starten und Landen der elektrischen Senkrechtstarter und -lander (eVTOL) genehmigen. Denn nur dann wäre ein Flugtaxi-Geschäftsmodell erst möglich.

Bleibt als einer von wenigen Vorteilen neben dem emissionsfreien Flug, falls der Ladestrom aus regenerativen Energien kommt, noch die gegenüber Helikoptern deutlich geringere Geräuschentwicklung. Aber auch da wurde nicht mit offenen Karten gespielt. Lilium gab keine exakten Dezibelangaben seines Fluggeräts bei Start und Landung bekannt. Und nachdem erste Videos mit echten Fluggeräuschen veröffentlicht wurden, war klar: «Leise» sind die hochdrehenden 30 Rotoren nicht.

Auch weitere eVTOL-Hersteller wie der deutsche Volocopter, die amerikanischen Unternehmen Joby und Archer oder chinesische Firmen dürften mit Lärmproblemen zu kämpfen haben. Denn wenn der Geräuschvorteil wegfällt, spricht fast alles für den bewährten, leistungsfähigen und reichweitenstarken Helikopter. Der kann zudem bei Ausfall seines Motors im Notfall noch per Autorotation sicher an den Boden kommen – eine Möglichkeit, die es für eVTOL mit ihren zahlreichen Rotoren nicht gibt. Deren teils übertrieben optimistisch dargestellte Prognosen haben durch den Exodus des einstigen Vorzeigeunternehmens in Bayern nun wohl weltweit einen heftigen Dämpfer bekommen.

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