Sonntag, Oktober 27

Karibische Staaten zwingen dem Vereinigten Königreich eine «Konversation» zum Umgang mit dem Erbe des transatlantischen Sklavenhandels auf. Das befeuert auch die gesellschaftliche Debatte in Grossbritannien.

Für Grossbritannien ist das Commonwealth of Nations von grosser Bedeutung. Das Überbleibsel des alten Empire ist ein Verbund von über fünfzig afrikanischen, asiatischen und karibischen Staaten – gemeinsam ist ihnen, dass sie einst unter britischer Kolonialherrschaft standen. König Charles III. präsidiert die Ländergruppe und ist bis heute Staatsoberhaupt von vierzehn Mitgliedern. Das Commonwealth ist für die Briten für die Festigung von Handelsbeziehungen und die Ausübung von «soft power» bedeutsam – und erinnert sie an ihre vergangene Grösse. Etliche Brexiteers sahen in der Wiederbelebung des weltumspannenden Commonwealth eine Alternative zur ungeliebten EU.

Britische Geldnöte

Umso bemerkenswerter ist die diplomatische Niederlage, die der neue Labour-Premierminister Keir Starmer am Samstag bei seiner ersten Teilnahme an einem Gipfeltreffen der Commonwealth-Staaten im ozeanischen Inselstaat Samoa erlitten hat. Während Starmer über Themen wie Bildung und Klimawandel sprechen wollte, nutzte eine Gruppe von karibischen Ländern das Treffen, um die Forderung nach Reparationen für die britische Rolle im transatlantischen Sklavenhandel aufs Tapet zu bringen.

Zum Auftakt des Gipfeltreffens letzte Woche hatte Starmer den Forderungen noch eine klare Absage erteilt. Der Sklavenhandel sei «abscheulich» gewesen, doch stehe das Thema nicht auf der Agenda, betonte er. Anstatt sich in «endlosen Debatten» über die Vergangenheit zu verlieren, sollten die Commonwealth-Staaten in die Zukunft blicken und gemeinsame Herausforderungen angehen.

Auch die Forderung nach Reparationszahlungen wies London zurück. Schatzkanzlerin Rachel Reeves, die am Mittwoch ihre Haushaltspläne mit schmerzhaften Steuererhöhungen und Sparmassnahmen präsentieren will, erklärte, Grossbritannien könne sich Entschädigungen schlicht nicht leisten. Die Beratungsfirma Brattle Group war im letzten Jahr zu dem Schluss gekommen, dass Grossbritannien für das Unrecht des Sklavenhandels 24 Billionen Dollar schulde – das entspricht ungefähr 15 Mal den jährlichen britischen Staatsausgaben.

«Die Zeit ist reif»

Trotz dem heftigen Widerstand gelang es den britischen Diplomaten auf Samoa nicht, die Frage nach dem Umgang mit dem historischen Erbe des Sklavenhandels vom Gipfel fernzuhalten. In der einstimmig verabschiedeten Gipfelerklärung steht vielmehr, die Commonwealth-Staaten anerkennten die Bedeutung des Themas für einige Mitglieder: «Die Zeit ist reif für eine bedeutsame, wahrhaftige und respektvolle Konversation, um in eine gemeinsame und auf Fairness basierende Zukunft zu schreiten.»

Damit machte Starmer zwar keine finanziellen Zusagen, doch kommt er nicht darum herum, sich auf eine Debatte einzulassen. Als nächste Gelegenheit dazu gilt im nächsten Jahr die Tagung des UK-Caribbean Forum. Doch auch im Rahmen des Commonwealth dürfte das Thema wieder aufs Tapet kommen.

König Charles III. erklärte auf Samoa, die schmerzhaften Aspekte der gemeinsamen Geschichte seien noch immer spürbar und es sei notwendig, bis heute andauernde Ungleichheiten etwa in Bereichen wie Gesundheit oder Arbeitsmarkt anzugehen. «Wir müssen die richtigen Wege und Worte dafür finden», sagte der König. Eine Entschuldigung vermied Charles ebenso wie Starmer – auch aus Angst, ein solcher Schritt könnte finanzielle und juristische Folgen haben.

Dass die teilweise hoch verschuldeten ehemaligen Kolonien die Debatte um die Sklaverei gerade jetzt forcieren, könnte durchaus mit dem Regierungswechsel in London zu tun haben. Der Aussenminister der Bahamas, Fred Mitchell, erinnerte daran, dass Starmer einst als Menschenrechtsanwalt gewirkt habe. Auch der britische Aussenminister David Lammy, der guayanische Wurzeln hat und der Sklaven zu seinen Vorfahren zählt, habe Reparationen vor kurzem noch befürwortet. «Vielleicht wird es eine Weile dauern», sagte Mitchell, «aber am Ende werden sie einlenken.»

Gesellschaftliche Debatte ist im Gang

Zwar ist unrealistisch, dass Grossbritannien Billionen-Beträge in die Karibik oder nach Afrika überweisen könnte. Eher denkbar wäre aus britischer Sicht wohl, den betroffenen Ländern Schulden zu erlassen oder sie beim Umgang mit dem Klimawandel zu unterstützen. Auch in Grossbritannien hat die gesellschaftliche Debatte rund um mögliche Entschädigungen für das Unrecht der Sklaverei jüngst Fahrt aufgenommen. Eine steigende Zahl von wohlhabenden Familien und Institutionen, darunter die Church of England, arbeiten ihre Vergangenheit auf oder setzen Fonds zur Wiedergutmachung ein.

Doch die Debatte löst auch kritische und empörte Reaktionen aus. Kemi Badenoch und Robert Jenrick, die sich um den Vorsitz der Konservativen Partei bewerben, weisen Forderungen nach Reparationen in aller Form zurück. Ein Kommentator des konservativen Magazins «Spectator» meinte, die Reparationsdebatte im Commonwealth werde kaum verstummen. Daher wagte er die kühne Prognose, dass nach dem Brexit und der laufenden Debatte um die Mitgliedschaft in der Europäischen Menschenrechtskonvention auch ein britischer Commonwealth-Austritt zur Option werden könnte.

Der ehemalige britische Uno-Botschafter Mark Lyall Grant betonte gegenüber der BBC, es gelte in der Debate auch anzuerkennen, dass das Empire beim Kampf für die globale Abschaffung der Sklaverei eine entscheidende Rolle gespielt habe. Zudem sei völlig unklar, ob man solche Entschädigungen an Staaten oder nicht viel eher an Individuen ausschütten müsste. Allerdings lebten etliche Nachfahren von Sklaven nicht mehr in den einstigen Kolonien, sondern in Grossbritannien, wo sie als Steuerzahler allfällige britische Reparationen mitfinanzieren müssten.

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