Dienstag, November 26

Scheidung, Betrug und die Suche nach Sinn: Der legendäre Captain der AS Roma weiss nicht, was aus ihm werden soll.

Am Ende des Films über sein Fussballerleben sagt Francesco Totti zu sich selbst: «Vor dir liegt eine Zukunft, die schöner ist, als du sie dir vorstellen kannst.» Vier Jahre alt ist die Dokumentation «Mein Name ist Francesco Totti», und heute weiss man, dass die Beschwörung des guten Lebens eine Hoffnung war, die sich zerschlagen hat.

Totti, die legendäre Nummer 10 der AS Roma, der Capitano, der seine Karriere 2017 beendet hat, ist zwar eine feste Grösse im italienischen Gesellschaftsleben, das immer auch ein bisschen Showbetrieb ist. Doch die Schlagzeilen, die er generiert, erscheinen immer öfter in der Rubrik «Gossip e Trash», sie erzählen die Geschichte eines Menschen, der gescheitert ist auf der Suche nach einer neuen Rolle. Erwägt er nun tatsächlich, die alte aufzuwärmen?

Como soll sich für Totti interessieren

Vor ein paar Tagen hat Totti in einem Interview gesagt, er könne sich vorstellen, in den Fussball zurückzukehren, nein, es sei kein Scherz, zwei Klubs hätten ihr Interesse angemeldet an einem Comeback: «Sie haben mir den Gedanken in den Kopf gesetzt, obwohl ich weiss, dass er verrückt ist.» Totti ist 48 Jahre alt.

Einer der Klubs soll laut «Repubblica» Como sein. Der Serie-A-Aufsteiger gehört der reichsten Familie Indonesiens und erfindet sich gerade neu als eine Art Mini-Hollywood; auf der Tribüne sitzt Hugh Grant, an der Linie steht Cesc Fabregas. Die Besitzer wollen Como zu einer der grossen Fussballtourismus-Destinationen aufpumpen, zu einer Pilgerstätte für Eventfans on the lake. Zum Glamourkonzept passt eine Ikone des Calcio – oder auch nur das Gerücht, sie könnte kommen.

Siebeneinhalb Jahre ist es her, seit an der Front der Busse in Rom nicht die Endstation angeschrieben war, sondern zwei Worte: «Grazie, capitano.» Es war Sonntag, der 28. Mai, und das Volk nahm im Stadio olimpico oder vor den Bildschirmen weinend Abschied von seinem König. Francesco Totti, Weltmeister von 2006, der nie bei einem anderen Klub gespielt hatte als der AS Roma – «aus Liebe und Faulheit», wie er einmal sagte, trat 40-jährig zurück. Oder musste zurücktreten.

Vielleicht liegt genau hier der Ursprung der Unfähigkeit, ein neues Leben zu beginnen: im Gefühl, man habe ihn das alte nicht abschliessen lassen. «Warum muss ich aufhören, wenn es mir noch gut geht?», fragt Totti in der Dokumentation. Er hat immer ignoriert, wie viel Energie dem Klub mit dem obsessiven Kreisen um jede weitere Vertragsverlängerung mit dem alternden Captain verlorenging.

Vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass es keinen adäquaten Job mehr gibt, wenn man einmal König war. Totti war nach dem Rücktritt zwei Jahre lang Manager bei der Roma. Als ihm mehr Einfluss auf sportliche Entscheide verweigert wurde, kam es zum Bruch. 350 Journalisten und Journalistinnen fanden sich zur Pressekonferenz ein, an der Totti die Scheidung bekanntgab. Er schrieb seine Autobiografie «Un capitano», die er 2018 im Kolosseum vorstellte – wo sonst? Er wirbt für Autos und Waschmittel und ist an verschiedenen Holdings beteiligt, die sich um Initiativen im Zusammenhang mit seiner Fussballkarriere kümmern oder um die Förderung von Fussballtalenten. Er spielt viel Padel. Nichts, was ihn ausfüllen könnte.

Totti ist nicht der einzige ehemalige Profisportler, der Mühe hat, ein zweites Leben aufzubauen. Die Tennisspielerin Andrea Petkovic hat dem Abschied vom Profisport ein ganzes Buch gewidmet. In «Zeit, sich aus dem Staub zu machen» schreibt sie: «Ich fühlte mich nur echt, wenn ich arbeitete. So kannte ich es, seit ich fünfzehn war.» Als sie den Schläger weglegen muss, hat sie keine Ahnung, wer sie ist. Boris Becker, Jan Ullrich, nicht zu reden von Diego Armando Maradona, der im ersten Leben schon beinahe unterging – sie alle scheiterten bei der Sinnsuche. Bei allen kam verschärfend hinzu, dass jedes Stolpern genüsslich öffentlich verfolgt wurde.

Das ist bei Totti nicht anders. Und weil das Scheitern nicht allein beruflich ist, kommt ihm eine geradezu kolossale Aufmerksamkeit zu. Denn Totti bildete zusammen mit Ilary Blasi, ehemals Showgirl und TV-Moderatorin, 17 Jahr lang das Traumpaar des Landes. Ihre Hochzeit 2005 in der Basilica di Santa Maria in Aracoeli, neben dem Kapitol gelegen, wurde direkt auf Sky übertragen und vom halben Land verfolgt. Blasi war damals mit dem ersten Kind schwanger, Cristian, es folgten Chanel und Isabel.

Über Jahre waren sie eine Art Prototyp der idealen italienischen Familie: schöne Frau, schlitzohriger Mann, drei süsse Kinder. Was für die Schweiz in Ermangelung eines Königshauses die Zirkusfamilie Knie war, verkörperten für Italien die Tottis: Promis zwar, aber nicht zu abgehoben, als dass wir uns in ihnen wiedererkennen könnten – und doch glamourös genug, dass wir sie beneiden.

Als sie dann nach monatelangen Gerüchten über eine Ehekrise im Sommer 2022 die Trennung bestätigten, war das ein Schock. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Mit voyeuristischem Gruseln verfolgten die Italiener und Italienerinnen den Rosenkrieg der beiden. Blasi warf Totti Betrug vor, beglaubigt von einem Privatdetektiv. Sie liess Tottis Rolexsammlung im Wert von gut einer Million Euro verschwinden. Auf Instagram postete sie ein Video von sich, aufgenommen vor einem Rolex-Laden, sie zwinkert und macht eine Handbewegung, als würde sie die Uhren wegzaubern. Aus Rache versteckte er ihre Taschen von Dior und Louis Vuitton, ihren Schmuck und ihre Jimmy-Choo-Schuhe. Die Sache endete vor Gericht.

Ist Totti ein Serienbetrüger?

Totti war auf dem Fussballfeld der Inbegriff gewesen von Eleganz und Leichtigkeit; das wahre Leben entzauberte ihn zu einem plumpen Schwindler. Gerade soll er es wieder getan haben: Paparazzobilder sollen beweisen, dass er seine Freundin mit einer Sportjournalistin hintergangen hat. Und das Land fragt sich, wie ein Mann, dessen Name im Fussball für unvergleichliche Treue stand, nur ein gewöhnlicher Betrüger sein kann.

In einer Diskussionsrunde auf Rai 1 befassen sich sechs Experten und Expertinnen mit der Frage, ob Totti ein «Serienbetrüger» sei. Die «Repubblica» schreibt: «Es schmerzt uns zu sehen, wie er mit der Unfähigkeit zu kämpfen hat, sich zu entscheiden, was er tun soll, wenn er erwachsen ist.»

In der Filmdoku damals hat Francesco Totti einen Wunsch formuliert. Er, der seine Stadt irrsinnig liebt, konnte sich mit seinem Aufstieg in der AS Roma nicht mehr frei in ihr bewegen. «Eines Tages will ich unsichtbar sein», sagt er, «eine normale Person.» Er tut viel dafür, dass es nicht so weit kommt.

Ein Artikel aus der «»

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