Freitag, März 21

Der Neuenburger Sozialdemokrat wird als der Mann in Erinnerung bleiben, der 1993 in den Bundesrat gewählt wurde – und die Wahl nicht annahm, weil seine Partei eine Frau wollte.

Francis Matthey war viel mehr als der Mann, der am 3. März 1993 unfreiwillig in den Bundesrat gewählt wurde und dann den Willen seiner Partei respektierte und verzichtete. Doch in die Annalen der Schweizer Politik ging Matthey mit diesem Akt ein.

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Nach dem Rücktritt von Bundesrat René Felber hatte die SP offiziell Christiane Brunner als Kandidatin nominiert. Eine Frau musste her, und die Männer hatten Kandidaturverbot. Die Partei wollte ein starkes Zeichen für die Frauen in der Politik setzen.

Alle gegen Christiane Brunner

Doch Christiane Brunner war eine Reizfigur: Gewerkschafterin, laut, selbstbewusst und dem bürgerlich geprägten Parlament in Bern viel zu links. Weil man ihr nichts Konkretes vorwerfen konnte, kursierten die wildesten Gerüchte.

Die SP hielt an der Genferin fest, aber die Vereinigte Bundesversammlung entschied anders: Man einigte sich am Vorabend in der «Bellevue»-Bar auf Nationalrat Francis Matthey – und der setzte sich prompt gegen Brunner durch.

Der Ausgang sorgte für ein politisches Beben. Die SP war empört und erklärte die Wahl zum Affront gegenüber der Gleichstellungspolitik und den Frauen allgemein. Frauenorganisationen, Parteivertreterinnen und zahlreiche politische Beobachterinnen und Beobachter sprachen von einem «Rückschritt» und einem «Misstrauensvotum gegenüber den Frauen».

Für Matthey war die Versuchung gross. Er wäre gerne Bundesrat geworden. Doch er bat seiner Partei zuliebe um Bedenkzeit, und nach zwei Tagen überwog sein Pflichtgefühl: Er verzichtete als Gentleman. In einer Medienkonferenz erklärte er seinen Entscheid mit Loyalität gegenüber seiner Partei. Er habe eine Spaltung verhindern wollen. «Ich will kein Hindernis sein», sagte er.

Die stille Grösse, mit der er – bei allem inneren Groll – seinen Verzicht erklärte, brachte ihm auch bei seinen politischen Gegnern grossen Respekt ein. Doch die Medien waren weniger gnädig. Während einige Kommentatoren Mattheys Haltung als Ausdruck politischer Moral lobten, stellten andere die Frage, weshalb er sich überhaupt zur Wahl habe stellen lassen.

Mattheys Rückzug machte schliesslich den Weg frei für die Wahl von Ruth Dreifuss – der ersten Frau der SP im Bundesrat. Die SP hatte Christiane Brunner am 10. März zwar nochmals zur Wahl antreten lassen, hatte aber auch Ruth Dreifuss nominiert, die dann im dritten Wahlgang gewählt wurde.

Uhren und Kultur – zwei Passionen

Der 1942 in Le Locle geborene Francis Matthey war als Präsident der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen nicht nur in Bern eine respektierte Figur. Als Stadtrat von La Chaux-de-Fonds (1980 bis 1988) sowie als Staatsrat des Kantons Neuenburg (1988 bis 2001) prägte er die Politik in seinem Heimatkanton über viele Jahre.

Matthey modernisierte die Stadtverwaltung von La Chaux-de-Fonds und liess auch keine Gelegenheit aus, das Image der Uhrenstadt zu stärken und gleichzeitig die Kultur zu fördern. So engagierte er sich für das internationale Festival von La Chaux-de-Fonds, das Musik und Kultur aus aller Welt zusammenbrachte. Während einer Eröffnungsrede sagte er, Zeit bedeute nicht nur Uhren, sondern auch die Musse für Kunst, Kultur und Neues.

Der Neuenburger war ein überzeugter Sozialdemokrat, aber immer auch Jurist. Sein Stil war geprägt von ruhigem Abwägen, Respekt gegenüber dem politischen Gegner und einem Gespür für Konsens.

Francis Matthey, der als kurzzeitiger Präsident der Expo 01 eine zweite Demütigung erleiden musste, ist im Alter von 82 gestorben, wie seine Familie mitteilte. Mit ihm verliert die Schweiz einen Politiker alter Schule – integer, klug und mit menschlicher Grösse.

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